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14. Der Schleier der Beatrice
Weg er Strahlen aus, was freilich nur ein Zufun war.
-id- London, 4. September. (Privattelegramm.) Die
Das Beschießen des Ballons hatte daher keinen Erfolg.
Kampagne zugunsten der Flottenvergrößerung, die von offi¬
Jedenfalls waren es wichtige Erfahrungen, die an diesem
ziöser Seite mit einem Artikel in der Morning Post
Manövertage gesammelt wurden: die Flugmaschine wurde
eingeleitet wurde, findet wieder einen neuen Anwalt in
als das „wahre Auge der Kanone festgestellt.
rasthenisch gewandelt. Heute erkennt man, daß es unter
Maler in die Armut; sie die Verwöhnte, kann dieses aber
allen Umständen ein Verhängnis ist, wenn sich das an¬
nicht ertragen und sinkt endlich dem Millionärprofessor in die
geborene Weltbild des absoluten Instinktmenschen nicht
Arme. Dem Verlassenen gibt zum Schluß das gute aber
mit den festen Umrissen der realen Gegenwart zu decken
beschränkte Ehefrauchen einen Beweis, daß sie sich über sich
weiß. Ein Mensch, der seine eingebildete Welt der ob¬
selbst erheben kann, indem sie zum Giftfläschchen greift (!).
jektiven Welt entgegenhält und aus Lebenssehnsucht am
Peter Fehrs stürzt zur Staffelei, um mit Hülfe der Toten
Leben zugrundegeht, kommt der unverrückbaren Logit
ein groher Maler zu werden. Weiter kann man sich von der
unserer Tage als verrücktes Gebilde vor. Dabei vergißt
schlichten Natur unmöglich entfernen.
man, daß sich gerade die Erkenntnisse der modernen
Wissenschaft in manchen Individuen zu neuen Instinkt¬
Die Aufführung unter Herrn Joß ers Regie gab die
kräften umgeformt haben. Der komplizierte Intellekt
grelle, aber nicht unwirksame Theatralik der Novität treffend
unserer Zeit hat auch der Phantasie unserer Zeit in
wieder. Frau Franck=Witt war eine sehr elegante und ver¬
manchen Individuen ein kompliziertes Gepräge gegeben.
führerische Maria, Herr Farecht ein sehr pathetischer
Neben der Bildung hat sich die Einbildung unsaglich ver¬
Peter Fehrs, Frl. Bré ein allerliebstes kleines Maler¬
feinert. Die Tragik des Phantasiemenschen, der sich
frauchen, Herr Bozenhard ein erschrecklich dämonischer
dem Wirklichkeitsmenschen entgegenstellt, besteht dem¬
Millionax##ofessor. Mit besten Humoren charakterisierte
gemäß och immer zu Recht und ist unter den Einwir¬
Herr Hiann den reichen Dummkonf Tehrens, den
kungen der neueren Kultur umso stärker und schärfer ge¬
Mann de Marka. Die Aufnahme war nach dem zweiten
diehen. Die Figur des praktischen Phantasten, der das
und drittg#t lebhaft, nach dem Schluß lau.
H. O.
Sein in sich aufsangen will, aber an die Außenwelt nur
selbstgeschaffene Maßstäbe anlegt und darum den Gegen¬
kräften des falschbehandesen Lebens erliegen muß, ist
also ein unveraltetes Pyanomen. Ein Phänomen, das
2
Deutsches Schauspielhaus.
Ein Phänomen, das
sich unsäglich differenziert hat.
etwa von Parsifal zu Anatol führt und in Filippo Loschi
Der Schleier der Beatrice von Arthur Schnitzler.
eine noch steiler gebahnte Stufe erklimmt.
Menschen, die auf den Wirlichteitswert ihrer Empfin¬
Als Schnitzler diesen autobiographischen Grundpfeiler
dungen, Stimmungen, „Launen und Träume eingeschworen
des Beatricedramas in den Jahren 1899 und 1900 schuf,
sind, können in den Realitäten des Lebens nur unwirk¬
stand er zwischen den Problemen der „Kakadu“=Tragödie
liche Phantome erblicken. Dor positive Gehalt des Seins
und den wesensverwandten Gedankengängen der „Leben¬
beginnt ihnen erst dort, wo die vermneintlich negative
digen Stunden". Schein und Sein, Irrealität und Wirk¬
Natur der sichtbaren, greisbaren, meßbaren, wägbaren
lichkeit in ihren erstaunlichen und erschütternden Beziehun¬
Erscheinungen aufhört. Die grauen Weiden zu beiden
gen beschäftigten seinen kombinierenden und interpre¬
Seiten der Landstraße tanzen ihnen mit silbernenSchleiern
tierenden Sinn. Es ergab sich, daß er geneigt war, die
als Erlkönigstöchter entgegen. Geheimnisse, Wunder,
tragenden Fundamente des gegenständlichen Lebens in
Symbole, Räisel, Versuchungen, Offenbarungen und son¬
die übersinnlichen Bereiche der intuitiven Menschennatur
stige Gefahren, die von der Normallinie einer nüchternen
Ein
zu verlegen. In der mystischen Region des halbwachen
Existenz ablenken, lauern auf allen ihren Wegen.
oder schlafwandlerischen Wesens, des triebhaften Ge¬
Die
unheilbares Fieber ist ihr natürlichstes Element.
schohens und Werdens suchte er nach den Ursprüngen
Geister der unbegrenzten Begierde, der Sehnsucht, der
unserer Erkenntnisse und Entschlüsse, unserer Gedanken,
Nichterfüllung, der Enttäuschung, der Verzweiflung, sind
Taten, Siege und Niederlagen. Und es geschah, daß er
die befruchtenden Gewalten ihrer Reise. Aber im Augen¬
zwischen den Sphären des Wahns und der Wahrheit nicht
blick, da sic „sicher und warm“ das Ziel ihrer Wünsche zu
mehr oder nur leichthin unterscheiden wollte, weil ihm
erreichen scheinen, sterben sie an sich selbst, wie das Kind
gerade in den Grenzflächen beider Gebiete der erste und
der Ballade, das durch Nacht und Wind dem häuslichen
letzte Keim des menschlichen Glücks und der seelischen
Frieden entgegenreitet.
Katastrophen zu wurzeln schien. Aus der weltmännischen
Es gab eine Zeit, die in diesen problematischen Men¬
Bewußtheit Anatols fand er in die phantastisch=grüblerische
schen den märchenhaften Typus der Sonntagskinder er¬
Unbewußtheit Filippos hinein. Beide Gestalten sind
kennen wollte. Eine Zeit, die ihnen den Segen des
Entwicklungsstadien seiner eigen Natur. Und in beiden
inneren und äußeren Wohllauts, der heimlichen und offen¬
Kauren nimmt das Problem der Lebenskunst ein beson¬
kundigen Harmonie anzudichten liebte. Heute will man
deres Gesicht an.
die „süße Harmonia“, des Simplizius Simplizissimus
Ein Renaissancerahmen umgrenzt dieses zweite Selbst¬
selbst den Sonntagskindern nicht mehr zugestehen. Heute
hat sich die menschliche Spielart der Sonntagskinder neu¬ I porträt.
ce
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14. Der Schleier der Beatrice
Weg er Strahlen aus, was freilich nur ein Zufun war.
-id- London, 4. September. (Privattelegramm.) Die
Das Beschießen des Ballons hatte daher keinen Erfolg.
Kampagne zugunsten der Flottenvergrößerung, die von offi¬
Jedenfalls waren es wichtige Erfahrungen, die an diesem
ziöser Seite mit einem Artikel in der Morning Post
Manövertage gesammelt wurden: die Flugmaschine wurde
eingeleitet wurde, findet wieder einen neuen Anwalt in
als das „wahre Auge der Kanone festgestellt.
rasthenisch gewandelt. Heute erkennt man, daß es unter
Maler in die Armut; sie die Verwöhnte, kann dieses aber
allen Umständen ein Verhängnis ist, wenn sich das an¬
nicht ertragen und sinkt endlich dem Millionärprofessor in die
geborene Weltbild des absoluten Instinktmenschen nicht
Arme. Dem Verlassenen gibt zum Schluß das gute aber
mit den festen Umrissen der realen Gegenwart zu decken
beschränkte Ehefrauchen einen Beweis, daß sie sich über sich
weiß. Ein Mensch, der seine eingebildete Welt der ob¬
selbst erheben kann, indem sie zum Giftfläschchen greift (!).
jektiven Welt entgegenhält und aus Lebenssehnsucht am
Peter Fehrs stürzt zur Staffelei, um mit Hülfe der Toten
Leben zugrundegeht, kommt der unverrückbaren Logit
ein groher Maler zu werden. Weiter kann man sich von der
unserer Tage als verrücktes Gebilde vor. Dabei vergißt
schlichten Natur unmöglich entfernen.
man, daß sich gerade die Erkenntnisse der modernen
Wissenschaft in manchen Individuen zu neuen Instinkt¬
Die Aufführung unter Herrn Joß ers Regie gab die
kräften umgeformt haben. Der komplizierte Intellekt
grelle, aber nicht unwirksame Theatralik der Novität treffend
unserer Zeit hat auch der Phantasie unserer Zeit in
wieder. Frau Franck=Witt war eine sehr elegante und ver¬
manchen Individuen ein kompliziertes Gepräge gegeben.
führerische Maria, Herr Farecht ein sehr pathetischer
Neben der Bildung hat sich die Einbildung unsaglich ver¬
Peter Fehrs, Frl. Bré ein allerliebstes kleines Maler¬
feinert. Die Tragik des Phantasiemenschen, der sich
frauchen, Herr Bozenhard ein erschrecklich dämonischer
dem Wirklichkeitsmenschen entgegenstellt, besteht dem¬
Millionax##ofessor. Mit besten Humoren charakterisierte
gemäß och immer zu Recht und ist unter den Einwir¬
Herr Hiann den reichen Dummkonf Tehrens, den
kungen der neueren Kultur umso stärker und schärfer ge¬
Mann de Marka. Die Aufnahme war nach dem zweiten
diehen. Die Figur des praktischen Phantasten, der das
und drittg#t lebhaft, nach dem Schluß lau.
H. O.
Sein in sich aufsangen will, aber an die Außenwelt nur
selbstgeschaffene Maßstäbe anlegt und darum den Gegen¬
kräften des falschbehandesen Lebens erliegen muß, ist
also ein unveraltetes Pyanomen. Ein Phänomen, das
2
Deutsches Schauspielhaus.
Ein Phänomen, das
sich unsäglich differenziert hat.
etwa von Parsifal zu Anatol führt und in Filippo Loschi
Der Schleier der Beatrice von Arthur Schnitzler.
eine noch steiler gebahnte Stufe erklimmt.
Menschen, die auf den Wirlichteitswert ihrer Empfin¬
Als Schnitzler diesen autobiographischen Grundpfeiler
dungen, Stimmungen, „Launen und Träume eingeschworen
des Beatricedramas in den Jahren 1899 und 1900 schuf,
sind, können in den Realitäten des Lebens nur unwirk¬
stand er zwischen den Problemen der „Kakadu“=Tragödie
liche Phantome erblicken. Dor positive Gehalt des Seins
und den wesensverwandten Gedankengängen der „Leben¬
beginnt ihnen erst dort, wo die vermneintlich negative
digen Stunden". Schein und Sein, Irrealität und Wirk¬
Natur der sichtbaren, greisbaren, meßbaren, wägbaren
lichkeit in ihren erstaunlichen und erschütternden Beziehun¬
Erscheinungen aufhört. Die grauen Weiden zu beiden
gen beschäftigten seinen kombinierenden und interpre¬
Seiten der Landstraße tanzen ihnen mit silbernenSchleiern
tierenden Sinn. Es ergab sich, daß er geneigt war, die
als Erlkönigstöchter entgegen. Geheimnisse, Wunder,
tragenden Fundamente des gegenständlichen Lebens in
Symbole, Räisel, Versuchungen, Offenbarungen und son¬
die übersinnlichen Bereiche der intuitiven Menschennatur
stige Gefahren, die von der Normallinie einer nüchternen
Ein
zu verlegen. In der mystischen Region des halbwachen
Existenz ablenken, lauern auf allen ihren Wegen.
oder schlafwandlerischen Wesens, des triebhaften Ge¬
Die
unheilbares Fieber ist ihr natürlichstes Element.
schohens und Werdens suchte er nach den Ursprüngen
Geister der unbegrenzten Begierde, der Sehnsucht, der
unserer Erkenntnisse und Entschlüsse, unserer Gedanken,
Nichterfüllung, der Enttäuschung, der Verzweiflung, sind
Taten, Siege und Niederlagen. Und es geschah, daß er
die befruchtenden Gewalten ihrer Reise. Aber im Augen¬
zwischen den Sphären des Wahns und der Wahrheit nicht
blick, da sic „sicher und warm“ das Ziel ihrer Wünsche zu
mehr oder nur leichthin unterscheiden wollte, weil ihm
erreichen scheinen, sterben sie an sich selbst, wie das Kind
gerade in den Grenzflächen beider Gebiete der erste und
der Ballade, das durch Nacht und Wind dem häuslichen
letzte Keim des menschlichen Glücks und der seelischen
Frieden entgegenreitet.
Katastrophen zu wurzeln schien. Aus der weltmännischen
Es gab eine Zeit, die in diesen problematischen Men¬
Bewußtheit Anatols fand er in die phantastisch=grüblerische
schen den märchenhaften Typus der Sonntagskinder er¬
Unbewußtheit Filippos hinein. Beide Gestalten sind
kennen wollte. Eine Zeit, die ihnen den Segen des
Entwicklungsstadien seiner eigen Natur. Und in beiden
inneren und äußeren Wohllauts, der heimlichen und offen¬
Kauren nimmt das Problem der Lebenskunst ein beson¬
kundigen Harmonie anzudichten liebte. Heute will man
deres Gesicht an.
die „süße Harmonia“, des Simplizius Simplizissimus
Ein Renaissancerahmen umgrenzt dieses zweite Selbst¬
selbst den Sonntagskindern nicht mehr zugestehen. Heute
hat sich die menschliche Spielart der Sonntagskinder neu¬ I porträt.
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