II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 531


wirklich treibenden Kräfte des Dramas
übersah. Dazu kam als äußerer Rahmen die
damals eine Modesache gewesene Renaissance,
die verschiedenen Dichtern — hier sei nur
an Wildes „Florentinische Tragödie“ er¬
innert — das Stoffgebiet für ihre Werke
abgab. In beiderlei Hinsicht ist „Der
Schleier der Beatrice“ ein Kind seiner Zeit:
der jugendliche Held weit entfernt daron,
ein Renaissancemensch zu sein, hat vielmehr
alle neurotischen Fehler eines Kindes des
„Fin de siecle“ — wie denn überhaupt alle
Figuren trotz Prunkkostümen und Bubikopf
stark an den „Anatol"=Kreis Schnitzlers er¬
innern — und faßt seine folgenschweren
Entschlüsse auf Grund von Stimmungen,
die selbst seiner eigenen ruhigeren Ueber¬
legung nicht standzuhalten vermögen. So
berührt das erregende Moment, die Ver¬
treibung der von ihm über alles geliebten
Beatrice, nur weil ihr in einem Traum ein
anderer Mann als angenehmer Werber er¬
schien, trotz oder vielleicht eben wegen der
Vorahnung der damals in ihren Anfängen
steckenden Psychoanalyse eher befremdend
und peinlich, so auch hat der freiwillige Tod
des Helden nach durchschwärmter Nacht
nichts Notwendiges und damit nichts Ueber¬
zeugendes. Und wie diese Hauptfigur, so
verwaschen und vieldeutig sind auch die
übrigen führenden Gestalten des Werkes,
namentlich Beatrice selbst, die, verjagt, sich

in die Arme eines nahen Verwandten
Brackenburgs flüchtet, auf dem Wege zur
3=
Kirche jedoch dem Werben des Herzogs
nachgibt und dessen Gattin wird, in der
Hochzeitsnacht wieder zum einzig Geliebten
t.
zurückkehrt, entschlossen, mit ihm zu sterben,
dann jedoch vor den Schauern des Todes
zum Herzog zurückflieht, um schließlich von
ihrem Bruder, einem jungen Valentin, er¬
dolcht zu werden. (Weil übrigens gerade
von Aehnlichkeiten die Rede ist: Wer er¬
innert sich bei Beatrices in des Geliebten
en
Hause vergessenem Hochzeitsschleier, einem
ie
nkostbaren Geschenk des Herzogs, nicht des
Schnupftuches Desdemonas? Nur daß im
Werke Shakespeares mit sinnvoller Schau¬
rigkeit zutiefst in die Handlung verwoben
erscheint, was hier ein bloßes Requisit ist.)
Auch der Herzog, in seinem Tun und Lassen
vollkommen Stimmungen unterworfen, auch
en
der Bruder der um Beatrices willen ver¬
lassenen Verlobten des Helden, nach seinen
eigenen Worten entschlossen, den Eidbrecher
zu töten, dann aber ihn zu beweinen — also
eine Art von empfindsamem Wüterich

zeigen jene schwankende Kontur, die der
vorherrschende Eindruck dieses Schauspiels
ist. Das Burgtheater legte das Hauptgewicht
auf die erste Silbe und veranstaltete tatsäch¬
lich eine fast märchenhaft anmutende Schau
von Dekorationen und Kostümen, die den
klingenden Versen im vorhinein Eindruck
sichern mußten. In der Hauptrolle des
jungen Dichters Filippo Loschi zeigte Herr
Andersen sein jugendliches Feuer und
schenkte der etwas blutarmen Gestalt sein
eigenes heißes Blut. Frau Wagener,
reizend in Aussehen und den lyrischen Par¬
#en tien des Stückes, besaß nicht das Format,
st
um der Tragik dieser Rolle gerecht zu wer¬
den. Den Zuhörern zu Dank löste Herr
de
Aslan seinen Part in die edle Melodie
ef
seiner Sprache auf. Dem Brackenburg, hier
Vittorino, und dem Valentin, hier Fran¬
cesco geheißen, gaben die Herren Philipp
[Zeska und Lohner, was den Rollen ge¬
bührte. In Episoden seien genannt Herr
Hennings — wundervoll aussehend, wie
ein damasziertes Florett — und Herr
Straßni und Frau Devrient=Rein¬
Im
hold als Beatrices Eltern. Bei der um¬

im
sichtigen Spielleitung des Direktors Her¬
terich verwunderte nur die wenig ent¬
sprechende Bewältigung der Massenszene.
Dr. Mirko Jelusich.
Das Konzert der Dresdner
Sänger.
die