box 20/6
14: Der Schleier der Beatrice
nose Arbeiter
Der Bahnho ans #
d unübersehbare Mengen von Zu¬
Osaka.
stürzt.
en Hauptes den Kondukt vorbei¬
Das Erdbebengebiet ist nicht großer us
200 Personen wurden getötet und 400 verletzt.
dem Krematorium. Die Fenster
25 Quadratmeilen. Die Verluste an Menschenleben wer¬
Tausende von Flüchtlingen kampieren auf freiem
lus selbst wie eine Flamme, klar
den auf 1500 geschätzt. Der Materialschaden beträgt
Felde.
den Sarg Müllers ins Kremato¬
Augenblick furchtbares Schweigen,
In Kinosaki brach nach den ersten Erdstößen ein 70 Millionen Yen.
tieferer Erwägungen hin= und hergerissen, nicht mehr weiß,
lauter Renaissance. Gift, Dolch, Guitarre, italienische Hei߬
heater.
luft,
ob Sein oder Nichtsein ihm besser anstünde, überläßt er, nach
Schönheit, Krudelität, Abenteuer, Leidenschaft und
Dichters Wunsch, die Entscheidung den Zuhörern. „Darf
rasche Entscheidung. Das Leben steht unter'm Hochdruck
ragigroteske von Friedrich
Jullemann leben, ja oder nein?“ fragt Jullemann das Publi¬
ichtnecker.
des Todes, jede Minute birgt Schicksal, Haß und Liebe
kum. Aber dem ist das, wie ich Jullemann versichern kann,
treiben's so üppig wie plötzlich, im Wort lauert schon die Tat,
ht schlecht.
ganz und gar Wurscht.
überhitztes Gefühl des Daseins wirft Blasen wie kochendes
in die Gemeinschaft eingegliederten
Wasser, und alles, was ist, ist pathetisch.
als Summe von Fiktionen. Als ein
„Der Schleier der Beatrice.“
Heimlichkeiten, zuwidren Geltungen,
Der Schleier der Beatrice ist nicht nur ein richtiger
Wir blicken, zuinnerst unbeschäftigt, mit hie und da ver¬
Teil eines nur durch tausenderlei
Schleier, den sie bei dem Dichter Filippo vergißt, sondern auch
gnügten Sinnen auf dieses Spiel, in dem der Masken mehr
chgewicht erhaltenen Gefüges. Bricht
Symbol für ihr Wesensgeheimnis, ein Stückchen vom Schleier
sind als der Gesichter, der leidenschaftlichen Gebärden mehr
iebt sich das Ganze augenblicks nach
der Maja. Beatrice liebt den Dichter Filippo, aber sie träumt
als der Leidenschaften, und dessen Menschen mehr Blut
Wer stirbt, macht Platz: die seine An¬
vom Herzog. Und da sie ihren Traum Filippo erzählt, sagt
fatieren, als sie haben. Die psychologischen Verkürzungen,
g und Verkrümmung genötigt hat,
sich dieser los von ihr, in Versen beteuernd, daß ihm ein so
deren sich das Werk bedient, sind kühn: wo kein Weg, da ein
natürlichere Haltung ein. Und wenn
signifikanter Wunschtraum nicht weniger gelte, denn eine er¬
Schwung. Und was geschieht, geschieht, wenn auch nicht mit
dieser Tragikgroteske, den skurrilen
wiesene Schuld. Beatrice, die Filippo, sich selbst, die Liebe und
Notwendigkeit, so doch mit Grazie. Dieses ganz rege, bunte
gen wieder zu kommen, so ist für ihn
das Leben nicht versteht, aber fühlt, daß sie so tun müsse, wie
Spiel der Lippen und Gefühle: wie sehr bleibt es Spiel! Be¬
aum mehr da. Die Reihen haben sich
sie muß, wird, durch wunderliche Fügung, des Herzogs Ge¬
wegtes Theater . . . das uns nicht bewegt. Sein Ton klingt
er, der schon ausgestiegen war und
mahlin. Nun liebt sie den Herzog, träumt aber von Filippo.
gedämpft, denn um und um ist es in Weiches gewickelt, in den
t hat, starrt ein unbarmherziges „kom¬
Vielleicht liebt sie im Herzog nur das Herzogliche, die Gipfel¬
Schleier des Arthur Schnitzler.
haftliche Ordnung geht über natür¬
existenz, den Gebietermenschen. Und in Filippo, kann sein,
daß der einzige, der den wiedergekom¬
Die figurenreiche Dichtung wird im Burgtheater zwi¬
auch was ganz anderes als den zarten, schwermütigen Jüng¬
schen schönen Kulissen (Remigius Geyling) glatt abgewickelt.
alle so dringend zureden, doch tot zu
ling, der er ist. Wer weiß es denn? Niemand. Mulier semper
Eine wohlerzogene, etwas anämische Renaissance, wie sie im
anguiert, Anarchist ist, also Feind der
incerta. Niemand kennt die Frauen, auch Arthur Schnitzler
ledernen Buch steht, betätigt sich, und die Leidenschaften ent¬
schaft.
nicht, der sie genau kennt. Von diesem tiefen Wissen um die
laden sich, obzwar tödlich, so doch gesittet. Herr Aslan ist
scheint das: „Niemand ist unersetzlich“
Frau, das gar nichts weiß, liegt auf dem Haupt der
der Herzog, bewußt und kühl, mit Distanz auch zu den Din¬
ichtiger hieße es: Jeder ist irgendwie
tragisch=kindlichen Beatrice ein Abglanz. In der Hoch¬
gen, die ihm scheinbar nahe gehen, und, selbst mitten drin in
so dahin und hat gar keine Ahnung,
zeitsnacht geht die Helle, die Dunkle, zu dem Dichter, mit
der Situation, doch immer über ihr. Er hat die schöne und
ftig er fortgewünscht wird. Und meist
ihm zu sterben. Als sie den Gifttrank, der keiner ist, doch von
sichere Haltung eines Mannes, der eben weil er um die
Lücke, die er hinterläßt. Was aber ist
dem sie glaubt, er sei's, getrunken hat, schlägt ihr Wille zu
Ewigkeit weiß, den Tag pflückt. Der Filippo des Herrn
leben in Flammen auf. Ach, sie steht zu Leben und Tod wie
Andersen ist eine blasse Erscheinung, sympathisch, aber un¬
einer derben, billigen Klextechnik hin¬
zu Filippo und dem Herzog: beim einen träumt sie vom
persönlich. Seine Affekte blühen an Abgründen der Gleich¬
rben nicht mehr gilt als Harlekins¬
andern. Ihr Ernst noch ist geheimes Spiel, ihre Sicherheit
gültigkeit und sein Temperament explodiert rücksichtsvoll und
e unangenehm. Es steckt voll Ironie
ein Versteck vor'm Ungewissen, ihr Herz hat Strömung und
geräuschlos. Solche Zurückhaltung mag sich für den schwer¬
llt sich oft in einer fatalen, flauen
Gezeiten wie das Meer, und was sie lügt, ist ihre heiligste
mütigen Zweifler ja schicken, aber sie nimmt der Figur noch
Wahrheit. Wenn aber die Männer das Weib bei seiner Wahr¬
it Grinsen verwechselt. Das Betrüb¬
etwas von dem Wenigen an menschlicher Substanz, das ihr der
heit erwischen, schreien sie Betrug. Nicht so der Herzog. An
anzen Sache. Herr Lichtnecker ist zwan¬
Dichter zugeteilt hat. Als Beatrice schlägt Frau Wagener
der Leiche Filippos, der hinging, weil es ihm schon zu kom¬
heimlich, so ein gut frappierter Jüng¬
die zartesten Töne an, die ihr in der Kehle und in der Seele
pliziert war, versteht der Herzog, daß er nichts versteht, und
sitzen. Das traumhafte Tun und Wandeln, das Schicksal¬
blickt in Güte auf Beatricen. Doch ein Bruder, der es mit der
Regie, Scharfes verschärfend, schließt
bestimmte der Figur macht Frau Wagener mit leisen Mitteln
Ehre hat, sticht sie tot.
Stück dem Leben und dem Tode schnei¬
manifest, dem Todeswillen und der Todesangst gibt sie drama¬
schen Figuren zusammen. Den Julle¬
Diese verschwebende Beatrice, so fern jedem, dem sie
tischen, nur etwas leeren Ausdruck. Am feinsten glückt ihr die
nahe, ist ein poetisches Geschöpf, lichtdurchlässig und undurch¬
höhnt und stöhnt Herr Forest — im
wehrlose Hingegebenheit der Beatrice an das Unentrinnbare.
schaubar, eine Nachtwandlerin am Tage, schuldlos schuldig,
mit aller Verbissenheit, mit der er sich
Sozusagen: das eigentlichste Aktivum ihrer Darstellung liegt
spielend in der Wellen Tanz, bereit, der Liebe das Leben hinzu¬
ter=Rollen hinein= oder sie aus sich
Alfred Polgar,
geben, und es doch mehr liebend als die Liebe. Um sie aber ist im Passiven.
m Schluß, vom Wirbel flacherer und
7•—
7%
14: Der Schleier der Beatrice
nose Arbeiter
Der Bahnho ans #
d unübersehbare Mengen von Zu¬
Osaka.
stürzt.
en Hauptes den Kondukt vorbei¬
Das Erdbebengebiet ist nicht großer us
200 Personen wurden getötet und 400 verletzt.
dem Krematorium. Die Fenster
25 Quadratmeilen. Die Verluste an Menschenleben wer¬
Tausende von Flüchtlingen kampieren auf freiem
lus selbst wie eine Flamme, klar
den auf 1500 geschätzt. Der Materialschaden beträgt
Felde.
den Sarg Müllers ins Kremato¬
Augenblick furchtbares Schweigen,
In Kinosaki brach nach den ersten Erdstößen ein 70 Millionen Yen.
tieferer Erwägungen hin= und hergerissen, nicht mehr weiß,
lauter Renaissance. Gift, Dolch, Guitarre, italienische Hei߬
heater.
luft,
ob Sein oder Nichtsein ihm besser anstünde, überläßt er, nach
Schönheit, Krudelität, Abenteuer, Leidenschaft und
Dichters Wunsch, die Entscheidung den Zuhörern. „Darf
rasche Entscheidung. Das Leben steht unter'm Hochdruck
ragigroteske von Friedrich
Jullemann leben, ja oder nein?“ fragt Jullemann das Publi¬
ichtnecker.
des Todes, jede Minute birgt Schicksal, Haß und Liebe
kum. Aber dem ist das, wie ich Jullemann versichern kann,
treiben's so üppig wie plötzlich, im Wort lauert schon die Tat,
ht schlecht.
ganz und gar Wurscht.
überhitztes Gefühl des Daseins wirft Blasen wie kochendes
in die Gemeinschaft eingegliederten
Wasser, und alles, was ist, ist pathetisch.
als Summe von Fiktionen. Als ein
„Der Schleier der Beatrice.“
Heimlichkeiten, zuwidren Geltungen,
Der Schleier der Beatrice ist nicht nur ein richtiger
Wir blicken, zuinnerst unbeschäftigt, mit hie und da ver¬
Teil eines nur durch tausenderlei
Schleier, den sie bei dem Dichter Filippo vergißt, sondern auch
gnügten Sinnen auf dieses Spiel, in dem der Masken mehr
chgewicht erhaltenen Gefüges. Bricht
Symbol für ihr Wesensgeheimnis, ein Stückchen vom Schleier
sind als der Gesichter, der leidenschaftlichen Gebärden mehr
iebt sich das Ganze augenblicks nach
der Maja. Beatrice liebt den Dichter Filippo, aber sie träumt
als der Leidenschaften, und dessen Menschen mehr Blut
Wer stirbt, macht Platz: die seine An¬
vom Herzog. Und da sie ihren Traum Filippo erzählt, sagt
fatieren, als sie haben. Die psychologischen Verkürzungen,
g und Verkrümmung genötigt hat,
sich dieser los von ihr, in Versen beteuernd, daß ihm ein so
deren sich das Werk bedient, sind kühn: wo kein Weg, da ein
natürlichere Haltung ein. Und wenn
signifikanter Wunschtraum nicht weniger gelte, denn eine er¬
Schwung. Und was geschieht, geschieht, wenn auch nicht mit
dieser Tragikgroteske, den skurrilen
wiesene Schuld. Beatrice, die Filippo, sich selbst, die Liebe und
Notwendigkeit, so doch mit Grazie. Dieses ganz rege, bunte
gen wieder zu kommen, so ist für ihn
das Leben nicht versteht, aber fühlt, daß sie so tun müsse, wie
Spiel der Lippen und Gefühle: wie sehr bleibt es Spiel! Be¬
aum mehr da. Die Reihen haben sich
sie muß, wird, durch wunderliche Fügung, des Herzogs Ge¬
wegtes Theater . . . das uns nicht bewegt. Sein Ton klingt
er, der schon ausgestiegen war und
mahlin. Nun liebt sie den Herzog, träumt aber von Filippo.
gedämpft, denn um und um ist es in Weiches gewickelt, in den
t hat, starrt ein unbarmherziges „kom¬
Vielleicht liebt sie im Herzog nur das Herzogliche, die Gipfel¬
Schleier des Arthur Schnitzler.
haftliche Ordnung geht über natür¬
existenz, den Gebietermenschen. Und in Filippo, kann sein,
daß der einzige, der den wiedergekom¬
Die figurenreiche Dichtung wird im Burgtheater zwi¬
auch was ganz anderes als den zarten, schwermütigen Jüng¬
schen schönen Kulissen (Remigius Geyling) glatt abgewickelt.
alle so dringend zureden, doch tot zu
ling, der er ist. Wer weiß es denn? Niemand. Mulier semper
Eine wohlerzogene, etwas anämische Renaissance, wie sie im
anguiert, Anarchist ist, also Feind der
incerta. Niemand kennt die Frauen, auch Arthur Schnitzler
ledernen Buch steht, betätigt sich, und die Leidenschaften ent¬
schaft.
nicht, der sie genau kennt. Von diesem tiefen Wissen um die
laden sich, obzwar tödlich, so doch gesittet. Herr Aslan ist
scheint das: „Niemand ist unersetzlich“
Frau, das gar nichts weiß, liegt auf dem Haupt der
der Herzog, bewußt und kühl, mit Distanz auch zu den Din¬
ichtiger hieße es: Jeder ist irgendwie
tragisch=kindlichen Beatrice ein Abglanz. In der Hoch¬
gen, die ihm scheinbar nahe gehen, und, selbst mitten drin in
so dahin und hat gar keine Ahnung,
zeitsnacht geht die Helle, die Dunkle, zu dem Dichter, mit
der Situation, doch immer über ihr. Er hat die schöne und
ftig er fortgewünscht wird. Und meist
ihm zu sterben. Als sie den Gifttrank, der keiner ist, doch von
sichere Haltung eines Mannes, der eben weil er um die
Lücke, die er hinterläßt. Was aber ist
dem sie glaubt, er sei's, getrunken hat, schlägt ihr Wille zu
Ewigkeit weiß, den Tag pflückt. Der Filippo des Herrn
leben in Flammen auf. Ach, sie steht zu Leben und Tod wie
Andersen ist eine blasse Erscheinung, sympathisch, aber un¬
einer derben, billigen Klextechnik hin¬
zu Filippo und dem Herzog: beim einen träumt sie vom
persönlich. Seine Affekte blühen an Abgründen der Gleich¬
rben nicht mehr gilt als Harlekins¬
andern. Ihr Ernst noch ist geheimes Spiel, ihre Sicherheit
gültigkeit und sein Temperament explodiert rücksichtsvoll und
e unangenehm. Es steckt voll Ironie
ein Versteck vor'm Ungewissen, ihr Herz hat Strömung und
geräuschlos. Solche Zurückhaltung mag sich für den schwer¬
llt sich oft in einer fatalen, flauen
Gezeiten wie das Meer, und was sie lügt, ist ihre heiligste
mütigen Zweifler ja schicken, aber sie nimmt der Figur noch
Wahrheit. Wenn aber die Männer das Weib bei seiner Wahr¬
it Grinsen verwechselt. Das Betrüb¬
etwas von dem Wenigen an menschlicher Substanz, das ihr der
heit erwischen, schreien sie Betrug. Nicht so der Herzog. An
anzen Sache. Herr Lichtnecker ist zwan¬
Dichter zugeteilt hat. Als Beatrice schlägt Frau Wagener
der Leiche Filippos, der hinging, weil es ihm schon zu kom¬
heimlich, so ein gut frappierter Jüng¬
die zartesten Töne an, die ihr in der Kehle und in der Seele
pliziert war, versteht der Herzog, daß er nichts versteht, und
sitzen. Das traumhafte Tun und Wandeln, das Schicksal¬
blickt in Güte auf Beatricen. Doch ein Bruder, der es mit der
Regie, Scharfes verschärfend, schließt
bestimmte der Figur macht Frau Wagener mit leisen Mitteln
Ehre hat, sticht sie tot.
Stück dem Leben und dem Tode schnei¬
manifest, dem Todeswillen und der Todesangst gibt sie drama¬
schen Figuren zusammen. Den Julle¬
Diese verschwebende Beatrice, so fern jedem, dem sie
tischen, nur etwas leeren Ausdruck. Am feinsten glückt ihr die
nahe, ist ein poetisches Geschöpf, lichtdurchlässig und undurch¬
höhnt und stöhnt Herr Forest — im
wehrlose Hingegebenheit der Beatrice an das Unentrinnbare.
schaubar, eine Nachtwandlerin am Tage, schuldlos schuldig,
mit aller Verbissenheit, mit der er sich
Sozusagen: das eigentlichste Aktivum ihrer Darstellung liegt
spielend in der Wellen Tanz, bereit, der Liebe das Leben hinzu¬
ter=Rollen hinein= oder sie aus sich
Alfred Polgar,
geben, und es doch mehr liebend als die Liebe. Um sie aber ist im Passiven.
m Schluß, vom Wirbel flacherer und
7•—
7%