ehe.
Berliner Börsen-Courier
Theater und Rluste
Schema, in dem vielfach Nestroy gespielt wird:
Wiener Premieren.
als Parodie in alten Vorstadttheatern, eine
- „Soll
„Schleier der Beatrice“
wirkungsvolle, aber innerlich unverbundene Auf¬
man es sagen?“ — „Ja oder Nein?“
führung zustande. Dieses Theater auf dem
Theater braucht Labiche gar nicht, solche Selbst¬
Das Theater ist dauernd krank. Also darf der
verspottung macht seinen sachlichen, trockenen,
Kritiker auch einmal krank sein. Er versäumte
schlagkräftigen Witz spielerisch und klein. In der
darum Ludwig Winders in Prag uraufge¬
Art, wie Brahm alle Schleusen der Komödianterie
führtes und jetzt vom Burgtheater gespieltes
öffnete, lag etwas Angestrengtes, transpirierend
Drama „Doktor Guillotine“. Als er es
Mühsames. Es sprudelte nur so, aber es ächzte
sehen wollte, war schon eine andere Premiere da.
auch. Jedoch so parodistisch schlechte Schauspieler
„Der Schleier der Beatrice“ von Arthur
zu mimen, ist nicht schwer und ergibt immer
Schnitzler. Eine Premiere? Ja, fürs Burg¬
Wirkungen.
theateScher und Kainz hatten das Drama
Friedrich Lichtnecker hat einen blonden
vor mehr als zwanzig Jahren auf eine stille Weise
Haarschopf und ist jung. Seine Tragigroteske
umgebracht. Es wurde ein lauter Lärm daraus,
„Darf Jullemann leben?“ oder, wie das
Schnitzler und das Burgtheater wurden bös.
Wiener Kleine Theater sie nannte, „Ja
Längst sind sie wieder gut. Jetzt führt das Burg¬
soder Nein?“ ist grauhaarig und recht ange¬
theater „Den Schleier der Beatrice“ auf. Wird
jahrt. Eine Uraufführung, die keine ist. Denn
Schnitzler nicht wieder böse werden? Längst ist
all das wurde schon einmal aufgeführt: der
er ja über dieses Renaissance=Bologna hinaus
Scheintote, der lebendig wird, die kleinen Gemein¬
und sein Kraftmeiertum, hinter dem sich eine zage
heiten der Mitunmenschen, die zuerst lachenden,
feine Seele versteckt.
dann geprellten Erben, die den rechten Philister
Vor wievielen Jahren schrieb er das Drama?
verratende Stichelei der Philister, die Antithese
Vor fünfundzwanzig? Nein, es müssen min¬
Denkmalerrichtung und noch Leben, das zynische
nd 1171
destens tausend sein. So weit sino wir von diesen Witzeln mit dem Tod, das Nicht=zu=ende=Dichten
Jamben entfernt, in denen soviel Blut ver¬
durch den Autor, die Aufforderung an das Publi¬
gossen wird, trotzdem in ihnen keines ist. Manch¬
kum, weiter= und fertigzuspielen.
mal ist man gerührt, als sähe man ein gewaltiges
Dieser Friedrich Lichtnecker ist einer, der es
Schiff, aber alles, was Eisen, Holz, Seil sein
Pirandello angetan hat. So ein bißchen mit dem
müßte, wäre aus Spinnwebenfäden — ein Hauch,
Publikum Katz und Maus zu spielen, scheint ihm
und es ist weg. Und manchmal ist man belustigt:
letzter Schrei der Mode. Aber er hat keine Krallen
ach ja, Kostümfest des Männergesangvereins, der
der Dialektik, keinen Ansprung des Witzes, er ist
junge Schlumberger hat sich als Prinz Leonardo
plump, banal, absichtlich
ein Mäuschen, das
verkleidet und der Librettift Mausgruber als Re¬
Papierstreifen zieht und dem Publikum zum
naissancedichter und irgendein süßes Mädel als
Lesen gibt — keine Katze.
Beatrice, Tochter des Wappenschneiders Nardi —
Wie alt ist nach diesem Stück Friedrich Licht¬
gleich wird alles aus sein und gleich werden sie
necker? Er muß ein Theatermethusalem sein. Ich
einen Walzer tanzen. Und manchmal ist man be¬
wünsche ihm von Herzen, jünger zu werden, so
troffen, durch diese dicke Schicht von Karneval
jung wie er aussieht.
und Feuilleton stößt ein Dichter. Lebensgier
Die drei Akte könnten nur als gespenstisches
brennt in ihm. Schönes, wunderreiches Leben
Furioso Wirksamkeit erlangen. Nur eine Szene,
spricht es aus ihm und zugleich wiegt er die Herr¬
die des puppenhaften, blau geschminkten Leichen¬
lichkeiten in der hohlen Hand und schüttelt nur
bestattungsbeamten traf diesen Stil. Alles ander
Staub. Nichtigkeit aller Existenz schlägt mitten
kam breiig, gemütlich, theaterhaft heraus.
aus Flamme des Lebens. Diesen Schnitzler liebt
Oskar Maurus Fontanagf
man und wird man lieben. Das Burgtheater
machte aus dem „Schleier der Beatrice“ mit
meistenteils jungen Schauspielern
ältestes
Theater.
Ein lebendiggewordenes Theater¬
museum: Zeit vor den Meiningern.
Eugen Labiche,
der den Paris Na¬
poleon III. ein geliebter Spaßmacher war, er¬
heitert nun auch das (übrigens nicht sehr an¬
spruchsvolle) Publikum des Akademie¬
theaters durch sein Lustspiel „Soll man
essagen?“ Die naive Kindhaftigkeit, mit der
das heillose Treiben der Erwachsenen ins Absurde
und Wichtigtuerisch=Nichtige verkehrt wird, schafft
ein Possenklima, in dem den Figuren die
Schminke des Alltags gerinnt. Allenthalben wird
ihr wahres Spitzbubengesicht offenbar, ob sie nun
als Marquis, Generalkonsul, Fabrikant, Justiz¬
rat, Sekretär und Beamter verkleidet sind. Die
Handlung, locker gefügt, nimmt sich nicht wichtig,
ist jederzeit zu Seitensprüngen bereit. Wie könnte
sie auch sonst die Wichtigkeit der Unwichtigen
durch Gelächter zerstören? Die Figur des Wald¬
menschen aber, der die Wahrheit sagen will, die
niemandes Glück ist und die keiner hören will,
und der schließlich selbst rettungslos in die Lüge
und Zweideutigkeit des Lebens verstrickt wird, ist
mehr als Posse, reicht ins Lebendige, uns immer
Nahe.
Andreas Latzko übertrug und bearbeitete
das Lustspiel Labiches. Dadurch gewann es eine
Leuchtkraft des Dialogs, eine Raschheit zielsicherer
Gedanken, die sonst übersetzten Lustspielen fremd
sind. Doch scheint mir Latzkos Ziel ein anderes
zu sein als das der Akademietheater=Aufführung.
Er hielt es für nicht unzeitgemäß, Labiches
„Vexierhumer, ein wenig neu auf den Glanz auf¬
poliert, den eigenen Zeitgenossen aufzutischen“.
Er erneuerte sozusagen Labiche.
Die Regie Hans Brahms übertrug ihn
twieder ins Alte. Sie brachte nach dem billigen
Berliner Börsen-Courier
Theater und Rluste
Schema, in dem vielfach Nestroy gespielt wird:
Wiener Premieren.
als Parodie in alten Vorstadttheatern, eine
- „Soll
„Schleier der Beatrice“
wirkungsvolle, aber innerlich unverbundene Auf¬
man es sagen?“ — „Ja oder Nein?“
führung zustande. Dieses Theater auf dem
Theater braucht Labiche gar nicht, solche Selbst¬
Das Theater ist dauernd krank. Also darf der
verspottung macht seinen sachlichen, trockenen,
Kritiker auch einmal krank sein. Er versäumte
schlagkräftigen Witz spielerisch und klein. In der
darum Ludwig Winders in Prag uraufge¬
Art, wie Brahm alle Schleusen der Komödianterie
führtes und jetzt vom Burgtheater gespieltes
öffnete, lag etwas Angestrengtes, transpirierend
Drama „Doktor Guillotine“. Als er es
Mühsames. Es sprudelte nur so, aber es ächzte
sehen wollte, war schon eine andere Premiere da.
auch. Jedoch so parodistisch schlechte Schauspieler
„Der Schleier der Beatrice“ von Arthur
zu mimen, ist nicht schwer und ergibt immer
Schnitzler. Eine Premiere? Ja, fürs Burg¬
Wirkungen.
theateScher und Kainz hatten das Drama
Friedrich Lichtnecker hat einen blonden
vor mehr als zwanzig Jahren auf eine stille Weise
Haarschopf und ist jung. Seine Tragigroteske
umgebracht. Es wurde ein lauter Lärm daraus,
„Darf Jullemann leben?“ oder, wie das
Schnitzler und das Burgtheater wurden bös.
Wiener Kleine Theater sie nannte, „Ja
Längst sind sie wieder gut. Jetzt führt das Burg¬
soder Nein?“ ist grauhaarig und recht ange¬
theater „Den Schleier der Beatrice“ auf. Wird
jahrt. Eine Uraufführung, die keine ist. Denn
Schnitzler nicht wieder böse werden? Längst ist
all das wurde schon einmal aufgeführt: der
er ja über dieses Renaissance=Bologna hinaus
Scheintote, der lebendig wird, die kleinen Gemein¬
und sein Kraftmeiertum, hinter dem sich eine zage
heiten der Mitunmenschen, die zuerst lachenden,
feine Seele versteckt.
dann geprellten Erben, die den rechten Philister
Vor wievielen Jahren schrieb er das Drama?
verratende Stichelei der Philister, die Antithese
Vor fünfundzwanzig? Nein, es müssen min¬
Denkmalerrichtung und noch Leben, das zynische
nd 1171
destens tausend sein. So weit sino wir von diesen Witzeln mit dem Tod, das Nicht=zu=ende=Dichten
Jamben entfernt, in denen soviel Blut ver¬
durch den Autor, die Aufforderung an das Publi¬
gossen wird, trotzdem in ihnen keines ist. Manch¬
kum, weiter= und fertigzuspielen.
mal ist man gerührt, als sähe man ein gewaltiges
Dieser Friedrich Lichtnecker ist einer, der es
Schiff, aber alles, was Eisen, Holz, Seil sein
Pirandello angetan hat. So ein bißchen mit dem
müßte, wäre aus Spinnwebenfäden — ein Hauch,
Publikum Katz und Maus zu spielen, scheint ihm
und es ist weg. Und manchmal ist man belustigt:
letzter Schrei der Mode. Aber er hat keine Krallen
ach ja, Kostümfest des Männergesangvereins, der
der Dialektik, keinen Ansprung des Witzes, er ist
junge Schlumberger hat sich als Prinz Leonardo
plump, banal, absichtlich
ein Mäuschen, das
verkleidet und der Librettift Mausgruber als Re¬
Papierstreifen zieht und dem Publikum zum
naissancedichter und irgendein süßes Mädel als
Lesen gibt — keine Katze.
Beatrice, Tochter des Wappenschneiders Nardi —
Wie alt ist nach diesem Stück Friedrich Licht¬
gleich wird alles aus sein und gleich werden sie
necker? Er muß ein Theatermethusalem sein. Ich
einen Walzer tanzen. Und manchmal ist man be¬
wünsche ihm von Herzen, jünger zu werden, so
troffen, durch diese dicke Schicht von Karneval
jung wie er aussieht.
und Feuilleton stößt ein Dichter. Lebensgier
Die drei Akte könnten nur als gespenstisches
brennt in ihm. Schönes, wunderreiches Leben
Furioso Wirksamkeit erlangen. Nur eine Szene,
spricht es aus ihm und zugleich wiegt er die Herr¬
die des puppenhaften, blau geschminkten Leichen¬
lichkeiten in der hohlen Hand und schüttelt nur
bestattungsbeamten traf diesen Stil. Alles ander
Staub. Nichtigkeit aller Existenz schlägt mitten
kam breiig, gemütlich, theaterhaft heraus.
aus Flamme des Lebens. Diesen Schnitzler liebt
Oskar Maurus Fontanagf
man und wird man lieben. Das Burgtheater
machte aus dem „Schleier der Beatrice“ mit
meistenteils jungen Schauspielern
ältestes
Theater.
Ein lebendiggewordenes Theater¬
museum: Zeit vor den Meiningern.
Eugen Labiche,
der den Paris Na¬
poleon III. ein geliebter Spaßmacher war, er¬
heitert nun auch das (übrigens nicht sehr an¬
spruchsvolle) Publikum des Akademie¬
theaters durch sein Lustspiel „Soll man
essagen?“ Die naive Kindhaftigkeit, mit der
das heillose Treiben der Erwachsenen ins Absurde
und Wichtigtuerisch=Nichtige verkehrt wird, schafft
ein Possenklima, in dem den Figuren die
Schminke des Alltags gerinnt. Allenthalben wird
ihr wahres Spitzbubengesicht offenbar, ob sie nun
als Marquis, Generalkonsul, Fabrikant, Justiz¬
rat, Sekretär und Beamter verkleidet sind. Die
Handlung, locker gefügt, nimmt sich nicht wichtig,
ist jederzeit zu Seitensprüngen bereit. Wie könnte
sie auch sonst die Wichtigkeit der Unwichtigen
durch Gelächter zerstören? Die Figur des Wald¬
menschen aber, der die Wahrheit sagen will, die
niemandes Glück ist und die keiner hören will,
und der schließlich selbst rettungslos in die Lüge
und Zweideutigkeit des Lebens verstrickt wird, ist
mehr als Posse, reicht ins Lebendige, uns immer
Nahe.
Andreas Latzko übertrug und bearbeitete
das Lustspiel Labiches. Dadurch gewann es eine
Leuchtkraft des Dialogs, eine Raschheit zielsicherer
Gedanken, die sonst übersetzten Lustspielen fremd
sind. Doch scheint mir Latzkos Ziel ein anderes
zu sein als das der Akademietheater=Aufführung.
Er hielt es für nicht unzeitgemäß, Labiches
„Vexierhumer, ein wenig neu auf den Glanz auf¬
poliert, den eigenen Zeitgenossen aufzutischen“.
Er erneuerte sozusagen Labiche.
Die Regie Hans Brahms übertrug ihn
twieder ins Alte. Sie brachte nach dem billigen