II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 559

box 20/6
14. Der Schleier der Beatrice
Nr. 132 (XXVII. Jahrgang).
II. Juni-Hälfte 1925.
Preis 20 Groschen (2000 K)
Honer
Näeg iadtse
Gntdekkituna
mit dem tägl. „Programm“ (Theaterzettel) der beiden Staatstheater zur Straßenkolportage.
Telephon Nr. 23-1-87.
10
igentümer und Herausgeber: Karl Ed. Klopfer. Commandit-Verlag Klopfer & Comp., Wien, VIII., Skodagasse 28.
bonnement (kann mit jeder Nummer beginnen) 1½ Schilling für 10 fortlaufende Nummern mit Postversandt: ohne Theaterzettel. Man verlange Erlagschein.
Satzschluß dieser Nummer: 5. Juni. Die nächste wird ab 1. Septbr. ausgegeben. Bei sämtl. Artikeln ist der Nachdruck verboten.
Liedern und einer symphonischen Tondichtung
die unveränderlich Kleinen und lebt in glück¬
„Kaleidoscop“.)
lichster Unkenntnis dahin. Und sie plaudert
Der Schleier der Beatrice.“
Spät genug also tat sich das Burgtheater dem
weiter in heiterem Mitteilungsdrang, als blättere
Schauspiel in fünf Akten von Arthur
Drama auf, dessen Schicksal es schien, von den
sie in einem Bilderbuch. Bentivoglio, Bolognas
hnitzler. (Samstag, den 23. Mai zum ersten
Zeitgenossen verkannt zu werden, wurden ja heute
Herzog, ist von seiner römischen Reise zurück.
le im Burgtheater.)
noch kritische Stimmen laut, die in Schnitzler
Er kam mit großem Gefolg durch ihre Straße
Istets nur den Dichter des unsterblichen Süßen
Es ist das erste der zwei großen Versstücke
und — nur auf ihr ließ er den Blick ruhn. Das
Mädels und den bevollmächtigten Geschäftsträger
nitzlers, und man darf es als das bedeutendste
brachte ihr dann einen anmutigen Traum, als sie
der „Decadence“ erblicken wollen. So kann ein
Erk des bedeutendsten österreichischen Dichters
zum Gange hierher ihre Schuhe wechselnd —
Gegenwart ansprechen. Bereits 1899 ent-Verworbener Ruhm zum Verhargnis werden. Wie
auf ihrem Bette in kurzen Schlummer verfiel.
Tanders wür es, wenn man das Stück nun anonym
nden, wurde es 1900 von Schlenther für's
„Denk' nur, ich war die Herzogin!“ Filippo
hätte aufführen können! Ich glaube, da hätte
rgtheater erworben, um im September des
wird stutzig. Und weiter? Sie setzt ganz arglos
man allgemein begriffen, warum Schnitzler sein
bigen Jahres — zurückgereicht zu werden,
fort, daß sie huldvoll nach allen Seiten gedankt
sden Protest von sechs namhaften Burgtheater- Bologneser Mädchen zwischen jedes Volk und in
habe, auch ihm, Filippo, der ehrfürchtig das Knie
Jjedes Zeitalter versetzen dürfte und daß es nur
itikern herausforderte, aber keine andere ein
vor ihr beugte. Und daß ihr dann gewesen sei,
auf die Umwelt ankommt, ob ein zögernd auf- als führe der Herzog sie durch ein Dunkel, ihren
mische Bühne bewog, sich um das Stück zu
werben, das nach der Uraufführung (in Breslau,
blühendes Weibtum — das die Neuheit jeder
Namen flüsternd und seine Lippen den ihrigen
Minute in animalischer Unschuld erlebt, sich über
1. XII. 1900) in Druck erschien. Anfangs
nähernd. — Filippo stößt sie empört zurück:
Nichts oder Alles wundert und bald lächelnd
03 brachte es Brahm in Berlin, erst sieben
Träume sind freche Wünsche, Begierden ohne
genußfroh, bald in furchtsamer Scheu vor ge¬
er acht Jahre später kam es in Hamburg heraus.
Mut“ und nennt sie die Dirne ihres Traumes.
ahnten Abgründen triebhaft den verläßlichen
Sie kann’s nicht verstehen. Liebt er sie nicht
d man scheint es nirgends gebührend gewürdigt
Führer durch die Buntheit des Daseins sucht —
haben. Freilich, der Autor der „Liebelei“ und
mehr? Er weist sie aus seinem Garten. „Wann
als holdes Naturkind geliebt oder als leicht¬
soll ich wiederkommen?“ ist ihre bettelnde Frage.
8 „Anatol“-Cyklus war da bereits rubriziert.
fertiges Dirnchen bis zur Hexenprobe verdammt
auf eine Spezialitht verpflichtet, und „Schuster.
„Im Leben nicht.“ Das dringt ihr zu Herzen,
ibe bei deinem Leisten!“ ist eine Mahnung.
wird. Das echte Weib geht unverbildet durch die
und mit schier überirdischer Heiterkeit geht es
ren sich alle — Schuster befleißen, auch wenn
Jahrhunderte, denen die wechselnden Kampfziele
ihr ein, daß er ihr die Möglichkeit ließe, mit
und -spiele des Mannes den „Zeitgeist“ verleihen.
sich Dramaturgen oder gar „Kunstrichter“
ihm zu sterben, wenn sie erkenne, daß sie ohne
nken. Schlenther, der in Wahrheit das Prä¬
Mitten in jeder Kultur-Hochblüte sitzt auch
ihn nicht zu leben vermöchte. — Filippo fühlt
niere vor einer verantwortungslosen Geheim¬
die Fäulnis. Schnitzlers Verständnis für diese
sich in seinem Vertrauen betrogen — durch den
nsur spielte, gebrauchte die Ausrede, das Stück
Erscheinung hat man für die perverse Lust dran
Traum dieser undisziplinierten Mädchenseele, die
genommen. Aber der Dichter hat vielfältige
ht besetzen zu können, obwohl Frl. Medelsk,
also doch nicht bis in die geheimste Falte sein
mals das Gretchen spielte, bald auch die Isabel
Fühler und senkt sie in alle Kelche. Sich voll¬
Herreneigentum wäre. Er hätte ja allen An¬
lderons, und sich ebenso sicher Fr. Hohenfels,
saugend mit Allem, was Lebensgenuß ist, gelangt
spruch darauf, er, der sich — nicht bloß in
zweieinhalb Jahre darnach als Monna Vanna
er zu seiner Weltgefühls-Plastik, die jede seiner
Dichterträumen — jeden Tag anderen Wünschen
tzückte, für die Beatrice interessiert hütte.
Gestalten zum Träger ge-griffener Wahrheit
hingibt und auch dem erreichten Idealweib, das
fr den Herzog wäre wohl Georg Reimers¬
macht. Und eben deßhalb darf man ihn nie mit
mit jedem Gedankenkeim restlos die Seine wäre,
Finzivalli, später Gerasch, für den Filippo aber
einer seiner Gestalten völlig identifizieren, mit
nur so lange treu bliebe, als es ihn nicht ge¬
gewisser Josef Kainz zur Verfügung ge¬
diesem Filippo Loschi etwa, der wirklich ein
lüstet, sich eine Erhöhung des Glückes durch
anden. Es sollte nicht sein. Nach der Ham-Dekndenter ist, bereits ein Ermüdender, der an
das Bewußtsein zu schaffen, daß es ihm auch
rger Aufführung plante Alfred v. Berger alsdem Tag, an dem #r die Braut aus edlem Ge¬
noch die Freiheit ließe, sich anderswo
achfolger Schlenthers die Aufführung am Burg-Ischlecht am Sterbebert ihrer Mutter mit brünsti-Zwischenstimmung zu suchen. So ergreift er
eater — und starb, eh es dazu kam. Auchigem Antrag beschmutzte, aus einer bunten Volks-Tauch jetzt ein probates Mittel, sein trauerndes
illenkovich und Max Paulsen versprachen sie.
menge die kleine Beatrice Nardi an sich zog Herz zu betäuben, als zwei adlige Lebejünglinge
er es schob sich immer Etwas dazwischen.
und mitnahm, wie man von der Hecke die Rose
ein Paar Florentiner Kurtisanen bei ihm ein¬
ittlerweil wurde der Stoff nach des Dichters
stiehlt. Durch sie, die sich dem Gold seiner
führen, die den berühmten Dichter Bolognas zu
rsprungsentwurf in das Wiener Biedermeier¬
Geisteskraft wie einer neuen Sonne erschließt,
sehn und zu sprechen wünschen. Er behält sie
ilien übertragen und kam als Pantomime (Musik
wird auch er noch einmal Neuempfänger. Seinsamt den mitgebrachten Musikanten bei sich. Eine
n Ernst Dohanyi) unter dem Titel „Der Schleier
Vorsatz ist, mit ihr zu flichen. In eine Fremde.durchlärmte Nacht soll ihm vergessen helfen.
r Pierrette“ ans Deutsche Volkstheater (jetzt
wo niemand ihn kennt und Beatrice — dort so
Zuhause wird Beatrice von ihrem Bruder
ll sie mit einem russischen Giste-Ensemble am sentwurzelt wie er —
bis in die letzte Faser
Francesco, der schon den Panzer des freiwilligen
aimundtheater erscheinen) — begreiflicherweis mit ihm verschmölze.
Stadtverteidigers trügt, zur Vermählung mit dem
ne Erfolg, da die Handlung trotz ihrer voll¬
Beatrice erscheint: „Da hast du mich!“ Sie
Jugendgespielen Vittorino gedrängt. Die gefähr¬
ramatischen Kraft mißdentet wird, wenn sie der hat sich durch arges Gedräng schlagen, müissen.
liche Stunde heischt raschen Entschluß, nur diesen
Fläuternden Sprache entbehren muß, noch dazu
Ganz Bologna ist auf in Erwartung der Scharen
Abend noch ließe sich für zwei Leute ein heim¬