II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 608

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14: Der Schleier der Bestrice
Burgtheater=Première.
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ist weiß, Herzl ist schwarz. Wittmann von
erlesener Güte und Liebenswürdigkeit mit er¬

freudiger Betonung des unverwüstlichen,
alten Adams — Herzl mehr elegischer
Spöttler, sentimentalischer Weltmann, übri¬
gens ein schöner Mensch, dem man eigentlich
einen grünen Turban aufsetzen, einen weißen
Burnus umhängen sollte, um ihn dann auf
einem feurigen Araberroß als Propheten

auszusenden, daß er die Völker des Ostens
unter seiner Fehne vereine. Ich glaube
aber, er würde vorziehen, sich wieder in
Paris anzusiedeln und boulevardier zu
spielen, statt dieser mühsamen und undank¬
baren Aufgabe nachzugehen. Herzl plauderte
viel mit Alfred von Berger der wieder
einmal von Hamburg nach Wien gefahren
war, um neue Kräfte aus dem heimischen
SA
Boden hinauszuführen an die Stelle, wo
er vom Theoretiker zum Praktiker werden
Gin
durfte und die ersehnte Wirklichkeit der
J. J. David.
Dinge für die bisherige Wissenschaft ein¬
(Aufnahme von J. Löwy=Wien.)
tauschte. Ganz nah von Berger saß Felix
Dörmann; er hat eine reizende Frau, sieht
gar nicht mehr dekadent aus, gar nicht mehr
Bauer heißt er; er sieht sehr zierlich und
à la Wahnsinn frisiert, sondern sehr englisch
elegant aus, trug eine Weste von fabelhafter
und sehr korrekt. Er soll letzter Zeit fleißig
Schönheit, seine Kritik über den heutigen Abend
geworden sein, das Bummeln aufgegeben
schicke ich Dir mit, sie wird Dich sicher ebenso
amüsieren wie mich — nächstens mache ich ihm
einen Besuch. Vetter Franz hat mir den An¬
fang einer Ballade gesagt, in der Adele Sand¬
rock und Charlotte Wolter vorkommen, Ju¬
lius Bauer muß mir die Fortsetzung sagen.
Man bekommt nämlich seine Verse nirgends
zu kaufen; er hat sie gerade so wenig ge¬
sammelt wie Speidel seine Feuilletons.
Speidel, der berühmteste Kritiker Wiens, saß
auch da. Wie ein grauer Löwe sieht er aus.
Aber er kann sich gar nicht mehr entschließen,
zu schreiben. Er soll sich früher auch nur
sehr schwer und nur auf vieles Bitten seiner
Frau und seines Chefredakteurs entschlossen
haben, aber jetzt soll gar nichts mehr helfen.
Der letzte Satz, den er für die Offent¬
lichkeit geprägt hat, stammt von dem Fest
seines 70. Geburtstages, wo er auf eine
lange Rede mit den knappen Worten er¬
widerte: „Meine Herrn, Sie haben mich
gefeiert und mir mehr gesagt, als ich ver¬
diene; ich habe ja nur Feuilletons geschrieben,

und ein Feuilleton ist die Unsterblichkeit eines
Tages.“ Jetzt hat er die Unsterblichkeit dieser
S
Art an seinen alten Freund Wittmann und
an Theodor Herzl abgetreten. Wittmann
Julius Bauer.