II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 613

15. Syivesternacht
1901
Emil: Daß Ihre Freundin todt ist. Ich
hätte eine solche Frau einmal sehen mögen; ich
habe nicht geglaubt, daß es solche Frauen über¬
haupt gibt. Sie sind ja Alle so bequem, so feig!
Agathe: Beinah wie die Männer.
Bmil: Ihre Geschichte hat mich sehr ergriffen,
gnädige Frau — ja... Sie sind gewiß nur des¬
halb hierher gekommen und sind am Fenster stehen
geblieben, um sich an diese Freundin und an ihr
sonderbares Abenteuer erinnern zu können.
Agathe: Nein. Wenn ich die Wahrheit sagen
soll, ich hatte sie schon lang vergessen. Ich stehe
hier am Fenster nur, weil die Luft mir wohlthut.
Und dann — da ich weder tanze, noch Karten
spiele —
Emil: Jedenfalls steht es fest: Auch Sie feiern
Ihren Sylvester nicht an dem rechten Ort. Auch
Sie sind nicht — wo Sie eigentlich sein möchten —
Agathe (lachend): Was fällt Ihnen denn ein!
Bmil: Und ich sage noch mehr: Sie wären
mit ihm, wenn er nicht sehr fern wäre.
Agathe: Er? Welcher Er?
Emil: Er mit dem Sie in dieser festlichen
Stunde am liebsten zusammen sein möchten.
Agathe: Sehr fern?... Nicht einmal — da
drin sitzt er und spielt Whist mit Ihrem Papa
und Herrn Friedmann.
Emil: Wieso? Entschuldigen Sie... das ist
ja Ihr Mann.
Agathe: Natürlich.
Bmil: Aber —!
Agarhe: Nun ja; er ist's, mit dem ich Syl¬
vester feiern möchte — und er spielt Whist mit
Ihrem Papa und Herrn Friedmann. Uebrigens
wäre er nicht sehr geschmeichelt, wenn er jetzt Ihr
Gesicht sähe. Ich bin nicht so romantisch, wie
Sie glauben — und wie meine todte Freundin war.
Bmil: O gnädige Frau, ich durchschaue Sie
Das ist einfach ein ehrenvoller Rückzug, nichts
anderes.
Agathe: Sie irren sich sehr. Ich versichere
Ihnen, daß es keinen Menschen auf der Welt
gibt, der mir näher steht, als mein Mann — ja.
Sehen Sie mich nicht so dumm an. Es ist nun
einmal so. Ich sage Ihnen, wenn zwei Menschen
nur überhaupt zusammen bleiben, so kommt immer
eine Zeit, wo sie einander wieder finden. Und
man verzeiht einander sehr viel, hauptsächlich weil
es gar nichts Unverzeihliches gibt, wenn es nur
vorbei ist.
Emik: Nun — warum sind Sie dann eigent¬
lich so melancholisch am Fenster gestanden? Sie
werden Ihr Fest eben um zwei Stunden später
feiern, das ist Alles. Denn in zwei Stunden
fahren Sie mit Ihrem Mann nach Hause. Ich
hingegen bin und bleibe allein.
Agathe: Und doch ist Ihre Sylvesterfeier die
schönere. Denn bei jedem Fest kommt es auf das
Morgen an. Und darum gibt es nur Feste, so
lung man auch morgen noch jung ist.
Emil: Gnädige Frau, reden Sie doch nicht
so — man kann Ihnen wirklich gar nicht zu¬
hören. Sie reden vom Altwerden! Sie wissen
ja gar nicht wie jung Sie sind. Während Sie
die Geschichte Ihrer verstorbenen Freundin er¬
zählten — o gnädige Frau .
Agathe (auf den Himmel weisend): Sie ver¬
gessen —
Bmil: Nein, gnädige Frau; wenn Sie vom
Alter reden, das ist wirklich..
Agathe: Koketterie — natürlich. Ja, ich weiß
schon, wenn ich wollte — o gewiß, es kostete
mich nicht viel Mühe, einen jungen Mann vom
großen Bären herunterzuholen — vielleicht nur
ein Wort.
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Paul Rierh (Paris)
Musterehe
Wie leben Sie nun mit Ihrem Herrn Gemahl, Gnädige?
Sehr glücklich, wir treffen uns nur alljährlich auf den Redouten.
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Nr. 8