II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 95

11.
Reigen
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noch nicht, Ibsen und d' Annunzio stellen dem jungen Musenkinde die Taufpaten,
vielleicht ohne daß es der Antor ahnt. Echt ist nur ein jugendlicher Ueberschwang
der Gefühle und es hatte für mich einen feinen Reiz als Introduktion zu der artisti¬
schen Spielerei Schnitzlers so viel Treffliches und auch Verstiegenes über die Erhabenheit
der Kunst reden zu hören.
Ueber die Oper verbteibt mir noch einige Worte zu sagen. Trotz der rastlosen
Arbeit für die in den ersten Augusttagen beginnenden Wagner=Festspiele im
Prinzregentheater brachte die Hofbühne nach eine Premiere, freilich keine von den
versprochenen, die geradezu für ein Opernhaus nötig sind, wenn es das Beste unserer
Tage nicht übersehen will. Massenets „Mirakel“ vom „Gankler unserer
lieben Fran“ gehört auch nicht zu den besten, dieses Tonkünstlers, der in vielen
hier nicht gegebenen Werken viel mehr Klangreiz, Melodienfluß und Temperament
zeigt als hier. Der Stoff ist nicht ungeschickt, aber doch vergröbernd von Lona einer
alten Legende entnommen, die u. a. auch Wilh. Hertz (der Tänzer unserer lieben
Frau) erzählt und deren Quellen bis in die Antike verfolgt hat. Am frischesten ist
die Musik im humorvollen in Haus Sachs meistersingerlicher Manier, anders im
religiösen; die Botschaft hörten wir wohl, ein feinsinniger Musiker sprach zu uns,
für den Glauben mußte jedoch der Theatermeister sorgen und die Mutter Gottes
stieg in solch künstlerisch vollendeter Weise zu Himmel empor, daß das Publikum
das „Mirakel“ sehr freundlich aufnahm.