II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 103

11. Reigen
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Donnerstag, 26. November 1903.
Münchener Angelegenheiten.
München, 25. November.
Ein Reigen.
Vor einigen Jahren — es war 1900 — hatten wir genügsamen
Deutschen wieder einmal ein Kulturjahr. Sie sind selten bei uns,
die Kulturjahre. Im besten Falle ereignen sie sich alle sieben Jahre,
wie bei dem Volke Israel das Sabbathjahr; vielleicht auch nur alle
iebenmalsieben Jahre, wie das Jobeljahr, das freilich nie gefeiert
wvorden sein soll. Wir aber hatten unser Kulturjahr. Aus der tiefen
Winternacht der drohenden Lex=Heinze erhob sich schöner und ver¬
heißender denn je die Morgenröte der Freiheit und kündete Künsten
und Wissenschaften sonnigen Lenz. Es waren die Tage des Goethe¬
bundes, die ach so rasch verlebten. Die Sozialdemokratie tat ihre
Pflicht, ohne sich lange bitten zu lassen. Aber auch in den Kreisen
von Besitz und Bildung regte es sich merklich. Leute, die nie hinter
die buntbemalte Leinwand des politischen Lebens geblickt hatten, ver¬
ließen Atelier und Tarokpartie und tateten mit. „Wenn gute Reden
ie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort.“ Ja, die Reden
flossen sehr munter. Die ewigjungen Schwärmer mit liberaler Ver¬
gangenheit witterten bereits in jedem bayerischen Bezirksamte die
Wiege ungeahnter Kulturmöglichkeiten, schon wurden die letzten Spie߬
bürger aufgefordert, sich den hehren Trost für die Sterbestunde zu
sichern, wenigstens auch einmal im Leben Kulturträger gewesen zu
sein. Als Mitglieder des Goethebundes nämlich. Allein es fiel ein
harter Frost an demselben Tage, da die Lex=Heinze fiel, und zerstörte
die junge Saat. Alles kehrte zum Tarok und zu den anderen Kultur¬
taten zurück, nicht ohne zuvor schnadahüpferlfrohe Siegesfeiern abge¬
halten zu haben. Für die nächsten sieben — oder siebenmalsieben Jahre
war genug geschehen, wenigstens an Reden. Sudermann war
zudem beinahe ein großer Mann geworden. Sonst blieb freilich alles
beim alten. Und manchem schien jetzt die angebliche Morgenröte nur
ein letztes Abendglühen gewesen zu sein.
Vor allem blieb die Gefahr der Lex Heinze viel lebendiger als
ihre Bekämpfer. Gewiß ist sie nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt
viedergekommen. Sie begnügte sich — nach kurzer Schonzeit¬
parlamentarisch=denunziatorisch, administrativ, disziplinarisch, polizei¬
mäßig, kurzum auf kaltem Wege zu wirken. Statt des Gesetzes, das
man vor ganz Europa blamiert hatte, haben wir die Praxis. Und
die ist mannigfaltig
In der diesjährigen Landtagssession war es Herrn Dr. Schädler
vorbehalten, als freiwilliges Organ der nicht Gesetz gewordenen Ler
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Heinze zu wirken und der weißblauen Sittlichkeit ein getreuer Hüter
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zu sein. Leider war ihm nur eine kleine Aktion beschieden,

er durch den ganzen Sommer aus Zeitungen Zitate gesammel
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die von Berlin bis Augsburg reichten. Indes die Berliner
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sich selbst mit ihren unsittlichen Auslagen der Buchhandb
finden, da für sie unseres Wissens der bayerische Landtag
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denn aber, was die moralt
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rhalb der bayerischen Zus
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Zeitungsausschnitten des Heren
Schädler, der von all dem, was er hier verurteilt und angreift, nichts
mit eigenen Augen und Ohren erlebt hat, stiegen zunächst die bösen
11 Scharfrichter empor. Dann kam der akademisch=drama¬
tische Verein an die Reihe, weil er am 25. Juni Schnitzlers
Reigen aufgeführt hatte und der Theaterreferent der „liberalen“
Allgemeinen Zeitung — auf den sich Herr Schädler allein
berief — sich den blutigen Kalauer nicht hatte verkneifen können, diese
Schauspiele kleine „Sauspiele“ zu betiteln. Grund genug für
Herr Schädler, nach der Polizei zu schreien.
Solche Jeremiaden und moralische Anreizungen der Polizei, würden
uns wenig bekümmert haben, wenn sie nicht gewisse Folgen gehabt
hätten. Die 11 Scharfrichter verfielen unnötig verschärfter Zensur.
Ueberlassen wir sie für heute ihrem Schicksale. Gegen den Akademisch¬
dramatischen Verein aber konnte die Polizei beim besten Willen nichts
mehr ausrichten. Geschehenes kann selbst die Polizei nicht ungeschehen
machen. Die zarten Andeutungen des Herrn Schädler hätten jedoch
auch im Kultusministerium aufmerksame Beachtung gefunden.
Dieser sittenverderbende Akademisch=dramatische Verein untersteht doch
der hohen Weisheit des akademischen Senats und der Disziplinar¬
Gewalt des Rektors. Also bedachte es ein hohes Ministerium. Die