II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 298

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Reigen
begrüßte den neuen Direktor namens der Künstlerschaft.
Schnitzlers „Reigen“ wurde in den Wiener Kammer¬
penKorrespondent drahtet, bei der Erstaufführung
von Bild zu Bild mit größerem Beifall ausgenommen. Für den
der aber den Hervorrufen nicht Folge
anwesenden Verfasser,
leistete, dankte Direktor Bernau. Christlich=soziale Blätter hatten
einen Sittlichkeitssturm angekündigt. Das Premierenpublikum be¬
nahm sich aber durchaus sittlich.
PER
Pröf. Dr. Julius v. Braun von
Hochschulnachrichten.
der Berliner Landwirtschaftlichen Hochschule wird dem Rufe
au fdas Ordinariat der emie an der Universität Frankfurt
als Nachfolger des Pre Freund Folge leisten.
Prof. Dr. Alfreh# Bergeat, Direktor des mineralogischen
Instituts in Königsberg, hat den Ruf an die Universität Kiel
als Nachfolger Prof. Johnsens angenommen.
Der Oberingenieur und Konstruktionschef der Gothaer Firma
Was die Bourgeoisie nicht sehen will
Der „Re#ey vor Schnitzler.
In den Kammerspielen uurd jetzt der „Rizgan be¬
Schnitzler aufgeführt. Ein Stu, über dessen Bühnen¬
wirksamkeit Meinungsderschjedenhesten bestchen, dessen
künstlerischer Wert aber von keinem, der irgend etwas von
Kunst verstehl, bastritten wird. Der Dichter Schnitzler zeigt
hier in Form von psychologisch sehr feinen und witzigen
Dialogen, wie in puncto Menschliches und Allzumensch¬
liches zwischen den Menschen der nerschiedenen Gesell¬
schaftsklassen seinerlei Unterschiede bestehen. Das heißt, e
wagt, die Maske zu lüsten, hinter der die Bourgeoisie,
die bekanntlich in der Theovis für die Heiligkeit der Ehe
und Familie wie für das „reine“ Weib schwärmt, in der
Praxis sich aber nicht ganz dementsprechend verrält, ihr
wahres Intlitz verbirgt. Die Bourgeoisie ist ob dieser De¬
maskierung selbstverständlich wenig erbauf. Und es ha# isch
überal, wo geschäftstüchtige Theoterdirektoren, darauf
bauend, daß die Freude an der Pikanterie die Prüderie
des Publikums überwinden werde, den „Reigen“ aufs
Revertoire geietzt haben, eine wüste Hetze gegen das Stück
erhoben. Eins Hatze, die selbstverständlich von der hohen,
zur Wahrung der guten Sitte und bürgerlichen Ordnung
bestellten Obrigleit auf das tatkräftigste unterstützt wird.
So ist es in München unlöngst zu Skandalszenen bei der
Aufführung des Stückez gekommen, und die bayrische Re¬
gierung hat, dem Duick der öffentlichen Meinung nach¬
gebend, das Stück verboten. So haben sich auch in Wien
vorgestern Skandalszenen im Thaater abgespielt. Zwartzig
junge Leute angeblich alle Misglieder der Orel=Partei,
höben die Aufführung des „Reigen“ zu sören versucht.
Und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Polizei sich aus
Sicherheitsgründen“ auch bei uns zum Verhot d#s
Stückes entschließt. Woraus junge Theaterbichter die Lehre
ziehen sollten Schweinercien ja, Szenon auf dem Spfa je
öfter, desto besser. Nackte Hälse, Arme, Busen, Bäte,
so
viel als möglich. Aber keine Entklößung de Leesenk Um
Gottes wissen, eim nackte Wahrheit.
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Gestörter „Reigen“
Wie die Polizeikorrespondenz meldet, drangen gestern
abend etwa 20 junge Leute in den Zuschauerraum der
„Kammerspiele“, wo eben das vorletzte Bild von
Schnitzlers „Reigen“ vorgeführt wurde, und wollten
durch lebhafte Pfuirufe die Fortführung der Vorstellung
unmöglich machen. Jedenfalls rechneten sie auch damit,
daß sie im Publikum das Reinlichkeitsgefühl wachrufen
werden. In dieser Erwartung wurden sie durch das
Verhalten der Zuschauer, die den „Reigen“ bis zum
Ende ungestört genießen wollten, getäuicht; denn das
Publikum nahm „entrüstet“ gegen die „Störenfriede
Stellung. Die Vorstellung wurde unterbrochen, sechs der
Demonstranten arretiert und nach Feststellung ihrer Per¬
sonalien wieder entlassen. Es befinden sich unter ihnen:
ein Privatbeamter, ein Schlossergehilfe, ein Optiker und
ein Postbeamter. Wie es heißt, wurde gegen sie die
Strafamtshandlung eingeleitet.
In München hat siche bekannilich das Publikum
freilich setzt sich das Theaternublikum in München aus
anderen Elementen zusammen als das Publikum ge¬
wisser Theater in Wien — kräftig dagegen gem brt, daß
man ihm Aeußerungen der Judenbrunst als deutsche
Kunst vorzusetzen wagt, mit dem Erfolge, daß der Voli¬
zeipräsident die weitere Aufführung der Schnitzler¬
die Münchner
Dialoge verboten hat. Besonders
Frauen, die allerdings die „Freibeiten“ des Marris¬
mus während der Diktatur zu genießen Gelegenheit
hatten, wehrten sich gegen die Zumutung. Sie riesen
während der Vorstellung: „Das ist eine Schweinerei! So
was wagt man deutschen Frauen zuzumuten!" Rufe wie:
„Saustall! Gemeinheit! Unverschämtheit; Frechheit!
durchschwirrten den Raum; auf mitgebrachten Triller¬
pfeifen brach ein ohrenzerreißender Lärm los. Plötzlich
wurden vom ersten Rang Stinkbomben auf die Bühne
geschleudert. Der Vorhang fiel endlich und das Publikum
verließ das Huuf. In dem polizeilichen Verbotserkennt¬
nis heißt es, daß das Stück Schnitzlers „j dem ge¬
sunden Volksempfinden Hohn sorichtund
daher mit Recht in weiten Kreisen der Bevölkerung
Anstoßerregt“.
In Wien spricht das Stück keineswegs dem Emp¬
finden des Volkes Hohn, das sich solche Dialoge bieten
läßt, ganz im Gegenteil, es wendet sich in sozusagen
sittlicher Entrüstung gegen jene, die daran Anstoß neh¬
men. Hier wird nicht die Attacke gegen den Anstand, son¬
dern der Protest gegen die Attacke verboten. Wer eine
Gegenmeinung wagt, riskiert, Obiekt einer Strafamts¬
handlung zu werden. Denn Wien ist ja nicht mehr Wien
sondern Wien ist Tarnopoi ...
In einem Mittagblatte erklärt Direktor Bernau,
er halte „die ganze Sache für bestellt“, nämlich die Ent¬
rüstung der jungen Theaterbesucher.
„Ich werde mich keinesfalls von der Gasse
her bestimmen lassen din „Reigen“ abzusetzen. Solche
Kindereien werden dasselbe Fiasko erleben, wie sie es in
Berlin erlebt haben. Wien hat doch sicher nicht den Ehr¬
geiz, dort hinten nachzuziehen, wo München vorneweg
marschiert. Nur verbohrte Menschen und Leute mit einer
schwarzen Brille nehmen Anstoß.
Der Reigen“ ist kein
Stück für Kinder und wem er nicht gefällt, der braucht
nicht ins Theater zu gehen.“
Es ist also nicht die Spekulation auf jene Gasse, die
Strich heißt, von der die Vorführung der Schnitzler¬
Nr. 30
Dialoge bestimmt wurde. Wien soll marschieren wie Ber¬
lin, zwar nicht im Stechschritt, sondern im Schweinstrab,
aber sich vor dem Anschiuß an das minder verjudete
München hüten. Wem's nicht gefällt, gehe nicht ins Thea¬
ter. Das Theater des Direktors Bernau ist nämlich nur
für die da, denen „es“ gefällt ....
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