II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 328

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Reigen
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Wien, Freitag
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Minister des Innern weiß also nicht einmal, daß die
und
Polizeidirektion da nichts zu entscheiden hat —
welche „Wahrnehmungen“ die Polizei=Inspektions¬
beamten da „bisher“ gemacht haben. (Die Polizei¬
Inspektionsbeamten als Beurteiler von Kunstwerken!)
Der Herr Polizeipräsident findet natürlich, daß die
Polizeibedenken durch die Aufführungen „vollauf
gerechtfertigt wurden“: nämlich das Publikum müsse
ich die „Vorgänge“, die sich nicht abspielen, als sich ab¬
pielend denken. Aber wenn das für den „moralisch
Empfindenden“ peinlich sein soll, so muß dieser moralisch
Empfindende ja in die Kammerspiele nicht hineingehen;
es ist ja niemand gezwungen, sich das Stück anzu¬
sehen, und auch durch ein Ungefähr kommt man zu
dem Schauspiel nicht. Wenn nun der Herr Minister
von dem Polizeipräsidenten etwas „abverlangt“, so mag
das eine Angelegenheit zwischen den beiden Beamten
bleiben; Herr Glanz hat sich aber auch an den Bürger¬
meister, und zwar mit dem Ansinnen gewendet,
dieser möge die weitere Aufführung verbieten. Herr
Glanz habe bisher gezögert, die schweren Bedenken
mitzuteilen, die er von vornherein gegen die Zulassung
hegte; er wollte mit einem Schritt „seinerseits“ war¬
ten, ob vielleicht durch etwaige Aufführungsbedingungen
seine Bedenken „wenigstens einigermaßen abgeschwächt
werden würden“. Aber da sich jene Bedenken nur
bestätigt haben — nämlich weil sich die Zuschauer
die „Vorg änge“ als sich abspielend denken müssen — und
in der Oeffentlichkeit die Stimmen gegen die Auf¬
führung sich mehren, so glaubt der Herr Minister „vom
Standpunkt des ihm zustehenden
Aufführungsrechtes nahelegen zu müssen,
dieser Auffassung, die, abgesehen von einem kleinen,
für das Wiener Volksempfinden gewiß nicht ma߬
gebenden Zuhörerkreis, wohl eine einmütige ist,
durch Untersagen der weiteren
Aufführung Rechnung tragen zu
wollen“. Da Herr Glanz den Bürgermeister bittet,
ihm über die „sodann getroffene Verfügung bald¬
möglichst eine Mitteilung zukommen zu lassen, so hat,
wie wir zu wissen glauben, der Bürgermeister mit der
„Mitteilung“ nicht gezögert und Herrn Glanz wissen
tassen, er habe keinen Anlaß, von der einmal und nach
sorgfältiger Erwägung aller Umstände getroffenen Ver¬
fügung abzugehen, und werde eine neue und andere
Verfügung auch nicht treffen. Womit die Sache eben
zum zweitenmal erledigt ist.
Denn was der Minister des Innern da unter¬
nimmt, ist ein dreister Eingriff in eine Rechtssphäre,
die ihm nicht untertan ist; ein Eingriff ganz im Geiste
des alten Polizeiösterreich, wo er ja der ständige Brauch
war. Da war es freilich möglich, daß man im Burgtheater
die weiteren Aufführungen von „Rose Bernd“ von
Gerhart Hauptmann verbot, weil irgend ein Frauen¬
zimmer vom Hof an dem unehelichen Kinde
„Aergernis“ genommen hatte; aber in der Republik
werden die altösterreichischen Polizeimanieren trotz des
Glanz nicht einreißen. Die Behauptung, daß dem Minister
des Innern gegenüber einem Bundesland — das ist
ein „Aufsichtsrecht“ zustehe, ist einfach
Wien
der Bundesminister hat
eine Unverschämtheit;
gegenüber den Landeshauptleuten die Zuständig¬
eiten, die ihm die Verfassung gibt: keine anderen.
Und daß in der Bundesverfassung von einem Rechte
der Aussicht über die Verwaltung der Bundesländer
die Rede wäre, ist natürlich unwahr; das hat sich
Herr Glanz einfach erfunden. Der Wackere würde sich
natürlich hüten, etwa gegen den Landeshauptmann von
Vorarlberg dieses Aufsichtsrecht in Anspruch
zu
nehmen; gegen den Landeshauptmann von Wien
erdreistet er sich dieses Anspruchs und vermeint,
sich ihm gegenüber als Vorgesetzter aufspielen zu
dürsen! Daß dieselbige „Reichspost“, die, wenn etwa ein
sozialdemokratischer Minister des Innern den Landes¬
hauptmann von Steiermark beaufsichtigen wollte, auf
die Bundesverfassung verweisen würde, der Tat¬
ache aanz veraißt daß wir nun ein Bundes¬


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