11.
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Reigen
Thegter und Kunst.
Hinter den Kulissen.
1
(Das „Reigen“=Verbot. — Von der früheren Zensur und ihrem Wirken.
Das neue Opernballeit. — Lina Loos und ihr Stück. — „Reigen“
und die ältere Generation.)
Sensation des Tages: der „Reigen“ ist verboten, wird ver¬
boten, das Verbot auf dem Wege ... Eine Theateraffäre, die
das Gefüge des Staates bedroht, dem Kampf der Parteien Zünd¬
stoff gibt. Schnitzler stand schon zweimal im Mittelpunkt von
Affären. Einmal, da er den „Leutnant Gustl“ schrieb, den das
Offizierskorps der Armee als Beleidigung empfand, und das
zweitemal aus Anlaß sseines „Professor Bernhardi“, den die
Zensur verbot, weil er das religiöse Empfinden der Staats¬
bürger zu verletzen geeignet. Jetzt, beim „Reigen“, handelt es
sich um die Sittlichkeit, die angeblich gefährdet. Die Regierung
wird gegen die tolerante Landesregierung zu Hilfe gerufen und
schreitet ein, nachdem ein paar tausend Wiener Menschen durch
den „Reigen“ bereits „schwere sittliche Schäden erlitten ....
Es ist immerhin nicht allläglich, daß ein Stück nicht vor der Premiere
sondern nach der Aufführung das Mißfallen der Behörden erregt.
Aber keineswegs das erstemal. Eine ganz ähnliche Geschichte
passierte, freilich im alten k. Oesterreich, mit dem „Feldherrn¬
hügel“. Er wurde nach der achtzehnten Aufführung vom Repertoire
„abgesetzt". Auf Verfügung von oben. Damals ließen sich solche
Dinge noch viel, viel leichter machen, als heute. „Der Feld¬
herrnhügel“ hatte großen Zulauf und bald sprach es sich herum,
daß die „Hoheit“ kein Geringerer als weiland Erzherzog Otto fei
und auch hinier den diversen Offizierstypen Originale aus der
Werreichischen Gegenwart ständen.
Aber die Zenjurfreigabe war nun einmal erfolgt. Was da
tun? Während der ersten Vorstellungen überwachte die Behörde
die Madken der einzelnen Darsteller. Jede Aehnlichkeit war un¬
Neues Wiener Joulnal
bedingt verboten. Charlé, der die „Hoheit“ spielte, mußte sich
anstrengen, um nur ja an keinen Habsburger zu erinnern, und
jeden Tag kam der Direktion eine Verwarnung zu, dieser oder
jener Schauspieler hätte, irgendeiner militärischen Kapazität
ähnlich gesehen. Einige Erzherzoge besuchten inkognito die Vorstellung,
antüsierten sich ausgezeichnet und waren gar nicht böse. Eines
Abends passierte ein Malheur. Eine Hofdame der Erzherzogin
Die
Maria Josefa saß im Theater und war empört
Folgen dieser Empörung machten sich schon am nächsten Tag
bemerkbar. Die Direktoren der Neuen Wiener Bühne wurden aufs
Polizeipräsidium gebeten. Dort legte man ihnen nahe, auf weiters
Aufführungen des interessanten Werkes zu verzichten. Falle
nicht . .. deutete man ihnen zart an, mögen sie bedenken, daß
sie nur eine „erweiterte Singsyielhallenkonzession“, besäßen und
laut dieser nach einem Gesetz aus dem Jahre 52 oder früher nur
Die Direktoren verstanden, und der „Feld¬
berechtigt seien ...
herrnhügel“ verschwand. Das war natürlich im alten Oesterreich.
Heute ist dergleichen ja nicht mehr möglich —, sagt man.
Eine Zensurvergangenheit hat auch Robert Misch' Komödie
„Biederleute“, die heutige Volkstheater=Novität. Sie wurde vor
zirka siebzehn Jahren im Berliner Lustspielhaus unter Martin
Zichel zum erstenmal gespielt. Mit Fischer in der Hauptrolle,
der auch heute diese Rolle spielt. Vor ein paar Jahren sollte
die Komödie schon im Volkstheater drankommen. Mit Tyrolt.
Aber vor der Generalprobe wurde sie abgesetzt und verschwand.
Sie war Herrn Direktor Weisse, dem damaligen Volkstheater¬
direktor, zu „stark“, er wollte dergleichen seinem Publikum
nicht zumuten und opferte Probenmühe und Erfolgchance für das
gesellschaftliche Niveau seines Theaters, das eine Welt wie die
der „Biederleute“ nicht kennen durste.
Spricht man von Zensur und Zeusurpraktiken, darf man
jenes Zensurverbot im Burgtheater nicht vergessen, das damals in
ganz Deutschland Aufsehen machte: das Verbot der „Rose Bernd“
von Hauptmann, das gleichfalls auf höfische Intervention zurück¬
zuführen war. Eine Enherzogin war bei der Aufführung, plötzlich
sprang sie entrüstet auf und rauschte aus der Loge, nicht ohne
vother einen Sessel umzuwerfen. Der Direktionsstuhl Schlenthers
wackelte.
Im Opernhallett gab es jetzt erregte Tage. Gestern abend
endlich wurde die Reise nach Spanien angetreten mit herzlichen,
rührenden Abschiedsszenen. Bis zur letzten Minute gleichsam war
wer der künstlerische Leiter der Tournee
es noch ungewit
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Reigen
Thegter und Kunst.
Hinter den Kulissen.
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(Das „Reigen“=Verbot. — Von der früheren Zensur und ihrem Wirken.
Das neue Opernballeit. — Lina Loos und ihr Stück. — „Reigen“
und die ältere Generation.)
Sensation des Tages: der „Reigen“ ist verboten, wird ver¬
boten, das Verbot auf dem Wege ... Eine Theateraffäre, die
das Gefüge des Staates bedroht, dem Kampf der Parteien Zünd¬
stoff gibt. Schnitzler stand schon zweimal im Mittelpunkt von
Affären. Einmal, da er den „Leutnant Gustl“ schrieb, den das
Offizierskorps der Armee als Beleidigung empfand, und das
zweitemal aus Anlaß sseines „Professor Bernhardi“, den die
Zensur verbot, weil er das religiöse Empfinden der Staats¬
bürger zu verletzen geeignet. Jetzt, beim „Reigen“, handelt es
sich um die Sittlichkeit, die angeblich gefährdet. Die Regierung
wird gegen die tolerante Landesregierung zu Hilfe gerufen und
schreitet ein, nachdem ein paar tausend Wiener Menschen durch
den „Reigen“ bereits „schwere sittliche Schäden erlitten ....
Es ist immerhin nicht allläglich, daß ein Stück nicht vor der Premiere
sondern nach der Aufführung das Mißfallen der Behörden erregt.
Aber keineswegs das erstemal. Eine ganz ähnliche Geschichte
passierte, freilich im alten k. Oesterreich, mit dem „Feldherrn¬
hügel“. Er wurde nach der achtzehnten Aufführung vom Repertoire
„abgesetzt". Auf Verfügung von oben. Damals ließen sich solche
Dinge noch viel, viel leichter machen, als heute. „Der Feld¬
herrnhügel“ hatte großen Zulauf und bald sprach es sich herum,
daß die „Hoheit“ kein Geringerer als weiland Erzherzog Otto fei
und auch hinier den diversen Offizierstypen Originale aus der
Werreichischen Gegenwart ständen.
Aber die Zenjurfreigabe war nun einmal erfolgt. Was da
tun? Während der ersten Vorstellungen überwachte die Behörde
die Madken der einzelnen Darsteller. Jede Aehnlichkeit war un¬
Neues Wiener Joulnal
bedingt verboten. Charlé, der die „Hoheit“ spielte, mußte sich
anstrengen, um nur ja an keinen Habsburger zu erinnern, und
jeden Tag kam der Direktion eine Verwarnung zu, dieser oder
jener Schauspieler hätte, irgendeiner militärischen Kapazität
ähnlich gesehen. Einige Erzherzoge besuchten inkognito die Vorstellung,
antüsierten sich ausgezeichnet und waren gar nicht böse. Eines
Abends passierte ein Malheur. Eine Hofdame der Erzherzogin
Die
Maria Josefa saß im Theater und war empört
Folgen dieser Empörung machten sich schon am nächsten Tag
bemerkbar. Die Direktoren der Neuen Wiener Bühne wurden aufs
Polizeipräsidium gebeten. Dort legte man ihnen nahe, auf weiters
Aufführungen des interessanten Werkes zu verzichten. Falle
nicht . .. deutete man ihnen zart an, mögen sie bedenken, daß
sie nur eine „erweiterte Singsyielhallenkonzession“, besäßen und
laut dieser nach einem Gesetz aus dem Jahre 52 oder früher nur
Die Direktoren verstanden, und der „Feld¬
berechtigt seien ...
herrnhügel“ verschwand. Das war natürlich im alten Oesterreich.
Heute ist dergleichen ja nicht mehr möglich —, sagt man.
Eine Zensurvergangenheit hat auch Robert Misch' Komödie
„Biederleute“, die heutige Volkstheater=Novität. Sie wurde vor
zirka siebzehn Jahren im Berliner Lustspielhaus unter Martin
Zichel zum erstenmal gespielt. Mit Fischer in der Hauptrolle,
der auch heute diese Rolle spielt. Vor ein paar Jahren sollte
die Komödie schon im Volkstheater drankommen. Mit Tyrolt.
Aber vor der Generalprobe wurde sie abgesetzt und verschwand.
Sie war Herrn Direktor Weisse, dem damaligen Volkstheater¬
direktor, zu „stark“, er wollte dergleichen seinem Publikum
nicht zumuten und opferte Probenmühe und Erfolgchance für das
gesellschaftliche Niveau seines Theaters, das eine Welt wie die
der „Biederleute“ nicht kennen durste.
Spricht man von Zensur und Zeusurpraktiken, darf man
jenes Zensurverbot im Burgtheater nicht vergessen, das damals in
ganz Deutschland Aufsehen machte: das Verbot der „Rose Bernd“
von Hauptmann, das gleichfalls auf höfische Intervention zurück¬
zuführen war. Eine Enherzogin war bei der Aufführung, plötzlich
sprang sie entrüstet auf und rauschte aus der Loge, nicht ohne
vother einen Sessel umzuwerfen. Der Direktionsstuhl Schlenthers
wackelte.
Im Opernhallett gab es jetzt erregte Tage. Gestern abend
endlich wurde die Reise nach Spanien angetreten mit herzlichen,
rührenden Abschiedsszenen. Bis zur letzten Minute gleichsam war
wer der künstlerische Leiter der Tournee
es noch ungewit