11.
R
—gen
box 18/1
Kieie & Leidel
Bureau für Zeitungsausschmine
Berlin Ho. 93, Georgenkirchplats 2
zelung Berlin- Zeitung am Mitag
Berlin
Ort:
eesenskeueaereteesesseenenee
Datum:
Schnitzlers „Reigen“.
Zum(gestenmal im Kleinen Schauspiel¬
haus.
Verbot durch einstweilige Verfügung, das
mittags, bekannt wird. Dennoch soll gespielt wer¬
den. Leise Unruhe in dem bis auf wenige Plotz¬
reihen vollen Saal. Die Direktorin Gertrud
Eysoldt. Sie richtet einen Protest gegen das
Landgericht III an das Publikum. Die kleine¬
schwache Frau sagt, daß ihr und ihrem Kom¬
pagnon Herrn Slodek nicht Geldstrafe, sondern
Haft bis zu sechs Wochen angedroht sei, wenn sie
diese Vorstellung (sagt sie) „aufführe“. Dieser
und ein anderer Sprachirrtum zeigen, daß die
kleine Frau in wirklicher Erregung da oben steht.
Und daß man dos herausfühlt, entscheidet zu
ihren Gunsten. Beifallsdemonstration, als sie an
kündigt, daß sie den Kampf wagt. Es wird ein
Erfolg der Gesinnung. Nachher erst kommt Herr
Sladek, der im Namen des Dichters für die
„würdige Aufnahme“ dankt. Und Frau Eysoldt
wieder macht den Schluß, indem sie mit ihrem
schwachen Stimmchen die Hoffnung äußert, daß
„etwas von der leisen erotischen Schmerzlichkeit.“
die Schnitzler in sein Werk gelegt habe, fühlbar
geworden sei.
In ihrer Vorrede hat sie die „Büchse der
Pandora“ erwähnt, die im selben Saal der Hoch¬
schule für Musik ohne Einwand durch Monate
gegeben wurde, und hiermit sehr klug die So¬
phistik der Gegenpartei dargetan. Und sie hat
recht noch insosern, als der „Reigen“, ganz wie
die „Pandora“ ehedem auch von der bücherkon¬
siszierenden Staatsanwaltschaft der Laszivität
beschuldigt worden ist. Aber soll man sich auf
die Frage selbst, ob Schnitzlers zehn Dialoge
unsittlich oder sittlich seien, überhaupt für eine
Sekunde einlassen? Weiß nicht jeder, daß sie
echter und feinster Schnitzler sind so gut wie
der „Anatol“ und der „Grüne Kakadu“? Im
Winter aus 1897 sind sie geschrieben, lange vor
1900, dem Jahr des Erscheinens, zwischen „Liebe¬
lei“ und dem „Vermächtnis“. Sie waren für
das Buch gedacht wie die Dialoge der jüngeren
Franzosen. Zehnmal ist, mit Rückkehr zum Aus¬
gangspunkt, die erotische Situation abgewandelt.
Doch in diesen zehn Gesprächen ist alle Tierheit
der Menschennatur, all ihre Tragikomik, von
einem schwermütigen Beobachter gesehen, ist die
lanse macabre des Geschlechtlichen. Das muß
man kaum wiederholen. Und es handelt sich
einzig darum, zu prüfen, was aus dem „Reigen“
in der verspäteten Einrichtung für das Theater
geworden ist.
Gespielt wird ohne Pause, mit einer festen
Dekoration, die Ernst Stern entworfen hat,
eine hellgrünen Rahmen mit Blattornamenten,
weißlich leuchtende Laternen links und recht
und immer geht bei der Verdunkelung ein zarter
grüner Zwischenvorhang hernieder. Anfangs
scheint er trotz dieser Zartheit ein wenig brutal.
Denn er fällt immer da, wo Schnitzler, das Be¬
gehren des Vorher, die satte Roheit und Feigheit
des Nachher trennend, im Buch Gedankenstriche
hat; und das Tempo, in dem sich der grüne
Schleier wieder hebt, verdickt, verdeutlicht. Aber
das ist nur anfangs so. Dann merkt man: es ist
Takt in der Nuancierung; und was sich irgend
verbergen läßt, wird der Bühnenoptik entzogen.
Dabei gereicht den Szenen die Folge im Buch
zum Vorteil: daß die zweite Hälfte geistiger in
der Ironie und schauspielerisch dankbarer als die
erste ist. Nach dem Soldaten in der Donau=Au
und im Prater, beim Svoboda, nach den Aben¬
teuern des jungen Herrn und dem (sehr neben¬
sächlichen) Ehedialog, nach dem süßen Mädel, das
fast aus der „Liebelei“ ist, dieser wunderbore
Dichter, der sich Bibitz nennt, diese köstliche
Schauspielerin in zwei Lebenslagen, diesen
gräfliche Oberleutnant mit der Genußphilosophie
des aristokratischen Bubi: das wird immer mehr
zu einer Serie von Miniaturkomödien. Und
in der zweiten Hälfte bietet auch die Vorstellung
des Kleinen Schauspielhauses, nach dem vulgär
feschen Deutschmeister des Herrn Ralph, dem
jungen Herrn, den als Gast Götz gibt, dem
herzhaften süßen Mädel der Wienerin Pold
Müller ihr Bestes. In dem Dichter des
Herrn Ettlinger, der aussieht wie ein
Lohengrin von Kremsmünster, in der frechen
Heroine des witzigen Fräuleins Dergan, in
dem Grafen des Herrn Forster=Larri¬
naga, der mit seinem schmalen Bubischädel in
jedes k. u. k. Dragoner=Regiment gepaßt haben
würde, und der ganz reizend ist. Forster=Larri¬
naga, Komponist, Autor und Bonivant, hat auch
eine sonst überflüssige Zwischenaktsmusik ge¬
liefert.
P. W.
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box 18/1
Kieie & Leidel
Bureau für Zeitungsausschmine
Berlin Ho. 93, Georgenkirchplats 2
zelung Berlin- Zeitung am Mitag
Berlin
Ort:
eesenskeueaereteesesseenenee
Datum:
Schnitzlers „Reigen“.
Zum(gestenmal im Kleinen Schauspiel¬
haus.
Verbot durch einstweilige Verfügung, das
mittags, bekannt wird. Dennoch soll gespielt wer¬
den. Leise Unruhe in dem bis auf wenige Plotz¬
reihen vollen Saal. Die Direktorin Gertrud
Eysoldt. Sie richtet einen Protest gegen das
Landgericht III an das Publikum. Die kleine¬
schwache Frau sagt, daß ihr und ihrem Kom¬
pagnon Herrn Slodek nicht Geldstrafe, sondern
Haft bis zu sechs Wochen angedroht sei, wenn sie
diese Vorstellung (sagt sie) „aufführe“. Dieser
und ein anderer Sprachirrtum zeigen, daß die
kleine Frau in wirklicher Erregung da oben steht.
Und daß man dos herausfühlt, entscheidet zu
ihren Gunsten. Beifallsdemonstration, als sie an
kündigt, daß sie den Kampf wagt. Es wird ein
Erfolg der Gesinnung. Nachher erst kommt Herr
Sladek, der im Namen des Dichters für die
„würdige Aufnahme“ dankt. Und Frau Eysoldt
wieder macht den Schluß, indem sie mit ihrem
schwachen Stimmchen die Hoffnung äußert, daß
„etwas von der leisen erotischen Schmerzlichkeit.“
die Schnitzler in sein Werk gelegt habe, fühlbar
geworden sei.
In ihrer Vorrede hat sie die „Büchse der
Pandora“ erwähnt, die im selben Saal der Hoch¬
schule für Musik ohne Einwand durch Monate
gegeben wurde, und hiermit sehr klug die So¬
phistik der Gegenpartei dargetan. Und sie hat
recht noch insosern, als der „Reigen“, ganz wie
die „Pandora“ ehedem auch von der bücherkon¬
siszierenden Staatsanwaltschaft der Laszivität
beschuldigt worden ist. Aber soll man sich auf
die Frage selbst, ob Schnitzlers zehn Dialoge
unsittlich oder sittlich seien, überhaupt für eine
Sekunde einlassen? Weiß nicht jeder, daß sie
echter und feinster Schnitzler sind so gut wie
der „Anatol“ und der „Grüne Kakadu“? Im
Winter aus 1897 sind sie geschrieben, lange vor
1900, dem Jahr des Erscheinens, zwischen „Liebe¬
lei“ und dem „Vermächtnis“. Sie waren für
das Buch gedacht wie die Dialoge der jüngeren
Franzosen. Zehnmal ist, mit Rückkehr zum Aus¬
gangspunkt, die erotische Situation abgewandelt.
Doch in diesen zehn Gesprächen ist alle Tierheit
der Menschennatur, all ihre Tragikomik, von
einem schwermütigen Beobachter gesehen, ist die
lanse macabre des Geschlechtlichen. Das muß
man kaum wiederholen. Und es handelt sich
einzig darum, zu prüfen, was aus dem „Reigen“
in der verspäteten Einrichtung für das Theater
geworden ist.
Gespielt wird ohne Pause, mit einer festen
Dekoration, die Ernst Stern entworfen hat,
eine hellgrünen Rahmen mit Blattornamenten,
weißlich leuchtende Laternen links und recht
und immer geht bei der Verdunkelung ein zarter
grüner Zwischenvorhang hernieder. Anfangs
scheint er trotz dieser Zartheit ein wenig brutal.
Denn er fällt immer da, wo Schnitzler, das Be¬
gehren des Vorher, die satte Roheit und Feigheit
des Nachher trennend, im Buch Gedankenstriche
hat; und das Tempo, in dem sich der grüne
Schleier wieder hebt, verdickt, verdeutlicht. Aber
das ist nur anfangs so. Dann merkt man: es ist
Takt in der Nuancierung; und was sich irgend
verbergen läßt, wird der Bühnenoptik entzogen.
Dabei gereicht den Szenen die Folge im Buch
zum Vorteil: daß die zweite Hälfte geistiger in
der Ironie und schauspielerisch dankbarer als die
erste ist. Nach dem Soldaten in der Donau=Au
und im Prater, beim Svoboda, nach den Aben¬
teuern des jungen Herrn und dem (sehr neben¬
sächlichen) Ehedialog, nach dem süßen Mädel, das
fast aus der „Liebelei“ ist, dieser wunderbore
Dichter, der sich Bibitz nennt, diese köstliche
Schauspielerin in zwei Lebenslagen, diesen
gräfliche Oberleutnant mit der Genußphilosophie
des aristokratischen Bubi: das wird immer mehr
zu einer Serie von Miniaturkomödien. Und
in der zweiten Hälfte bietet auch die Vorstellung
des Kleinen Schauspielhauses, nach dem vulgär
feschen Deutschmeister des Herrn Ralph, dem
jungen Herrn, den als Gast Götz gibt, dem
herzhaften süßen Mädel der Wienerin Pold
Müller ihr Bestes. In dem Dichter des
Herrn Ettlinger, der aussieht wie ein
Lohengrin von Kremsmünster, in der frechen
Heroine des witzigen Fräuleins Dergan, in
dem Grafen des Herrn Forster=Larri¬
naga, der mit seinem schmalen Bubischädel in
jedes k. u. k. Dragoner=Regiment gepaßt haben
würde, und der ganz reizend ist. Forster=Larri¬
naga, Komponist, Autor und Bonivant, hat auch
eine sonst überflüssige Zwischenaktsmusik ge¬
liefert.
P. W.