11. Reigen
box 18/1
# Lide 77 (Dnensten
1i000 & Celde.
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
S
Zeitung
Mnnsede
Ort:
Datug:
Gein PT. 19h.
Die Gertrud Eysoldt aber, die vor 17 Jahren als
Salome berühmt wurde, zelchnet heute als Direktorin des
„Kleinen Schaufplelhauses“ das sich in der Siaatlichen Hoch¬
schule für Musik am Steinplatz befindet. (N. J. sie zeichnet,
aber der Konzern des Deutschen Thekters liefert Schauspieler
und Regissedre und scheint überhaupt ganz sonverän über
has Instltut zn verfügen). Diese Gerrrud Cysoldt alse kün¬
digte die Aufführung von Arthur Schnitzlers
en“ an. Es sind dies zehn sexuelle Diakoge, die nur durch
Personalinion zusammenhängen, in denen jebesmal ein Pas¬
sus der ersten Begegnung noch in der zweiten mitspielt, bis in
der zehnten der Graf den Kreiskauf mit sener Dirne schließt,
die mit dem Soldaten das Spiel begann. So ist das Ganze ein
böser Wit, und die einzelne Szene, in deren Mitte jedesmal
bedeu ungsvolle Gedankenstriche
jenen Punkt andeu¬
ten, der überall, wo Seeke und Leidenschaft nicht mitspielen,
dern freilich der einzig wesentliche Punkt bleibt, — auch die
einzelnen Szenen zeigen oft genug die bekannte, melancholisch¬
ronische Anmut Schnitzker'scher Dialoge. Sie werden be¬
onders lustig, wenn in der zweiten Hälfte die allgemiine
Verlogenheit der erotischen Phrase durch Fachleute, Schrift¬
steller und Schauspie'erin, mit phantastischer Energie gehand¬
habt wird. Das Buch gibt der Sinnlichkeit der entseelten
Welt gewiß kelnen mystisch dämonischen Schimmer wie der
Wildesche Alt, aber es seziert den gleichen Zustand einer
Erotik, der alles Seelische zur Lüge wird mit trockenster Ironie
und wird dadurch in einem kaum vergleichlichen Grade deut¬
lich. — Früher hatte der Zensor sogar das Buch verboten,
jetzt sgibt as keine Zenfur mehr, aber in diesem speztellen
Falle hatte das Kuktusministerium, zu dem die Hochschule für
Musik gehört, Rechte des Hausherrn. Es erklärte die Auf¬
führung eines solchen Sücks in seinen Räumen für vertrags¬
wibzig unb erwirkte wenige Stunden vor der Aufführung eine
gerichtliche Verfügung, die das Spiel bei Haftstrafe der Di¬
rektion verbot. Dennoch ging nach einer emphatischen An¬
sprache der Frau Eysoldt die Schnitzlersche Szenenreihe über
die Bre ier und das Premierpublikum demonstrierte mit hef¬
igem Veifall für die bedrohte „Freiheit der Kunst.“
Die Aufführung mit sehr hübschen Szenenbildern
von Ernst Sternt und manchen hübschen schauspielerischen
Einzelleistungen (besonders die Herren Göt, Schwannecke, der
eite Komiker Karl Etlinger und Blanche Dergan, die sehr
lustig eine einst berühmte Heroine parodierte, die schon dem
Dichter Vorbild für seine „Schaufplelerin“# sein soll —
diese ganze Au'führung war nicht ohne Qualität und nach
Möglichkeit dezent.
Trotzdem bringe ich die rechte Entrüstung über diesen
tückischen Angriff auf die freie Kunst nicht auf. Wenn der¬
artige Stücke (und an der gleichen Stelle hat man mehrere
hunhert Male die „Büchse der Pandora“ gesvielt) ihren
Kassenerfolg machen, so tun sie es ganz gewiß nicht durch die
i ihnen enthaltenen artistischen ober geistigen Werte. Als
Unterne'men bleibt das eine trübe Svekulation mit niedersten
Masseninstinkten, wobei man den Gebrauch großartiger Worte
nur #wa dem unbegrenzten Mangel an Selbsterkenntnis bei
allen Theaterleuten zugute halten kann. Verbote werden wohl
nicht die richtigen Mittel sein, um Aufführungen solcher
Art zu bekämpfen; daß sie aber bekämpfenswert sind, meine
ich allerdings. Artistische S'udien über entfesselte Sexpalität
mögen ihre technische Quakität und kusturgeschichtliches Inter¬
asse haben — als Massennabrung auf dem Theater dargeboten
wirken solche Proben zersetzter Kultur weiter zersetzend und
sind zweifellos eine Kulturgefahr.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: ich werde für
ede, auch die kühnste Darstellung sexuellen Lebens ein¬
treten, auch für ihre Darbietung auf einer Velksbüne, sobald
diese Dinge nicht, entzückt oder tronisch, dargebotener Selbst¬
zweck, sondern Sto'f sind, an dessen Gestaltung sich eins Leiden¬
schaft feelisch geistiger Art auswirkt, die die gestaltenden,
rbnenden, mehr als sinnlichen Mächte im Menschen weckt.
Solche Macht kann bei Shalespeare, bai Kleist, dei Strind¬
berg noch im tiefsten Erleben des Geschlechtlichen sich aus¬
prechen — sie braucht keineswegs aus einer so anti=erotischen
Seistigkeit zu kommen, wie bei Bernard Shaw, dem
vollkomminen Gegenspieker seines trischen Landsmannes Oscar
Wilde. Von ihm hat man in eben diesen Tagen das „Spiel
für Puritaner“ auf die Bretter gebracht, das man gerabezu die
Anti=Salome neunen könnte: „Cäsar und Cleopatra“.
Statt der ästhetischen Verherrlichung tötlicher Sinnlich¬
keit stellt hier Shaw, aus unendlich überlegener Höhe herab¬
lächelnb, einen gelstigen Menschen nach salnem Sinn als Julius
Cäsar neben das beginnende Panthorkätzchen Cleopatra, bessen
schillernde Sinnlichkeit dem Semyf der im kunten Aber¬
glauben erstickenden ägyptischen Ueberkultur entsprießt. Cäsar
st der ganz sachliche Mensch, der senseits von Haß und Liebe
die Dinge nach ihrem inneren Wesen zu leiten und zu be¬
greisen strebt, und er bemüht sich, bei flüchtiger Begegnung
aus diesem finnlich wilden Kind ein Weib und einen Menschen
zu erziehen. Der Erfolg ist nicht groß, der Versuch aber für
den großen Weltordner auch viel zu nebensächlich, als daß
ein Mißlingen für ihn tragisch sein könnte.
Der ganze
nnere Reiz, mit dem uns das Stück trotzdem gewinnt,
teckt in der geistigen Größe, die diese Cäsargestalt entfaltet.
Sein äußerer Reiz steckt in den vielerlei irischen Scherzen, mit
deren Shaw dennoch die kleinen Menschlichkeiten seines Ueber¬
nenschen zur Schau stellt, mit denen er die Kultur stnn¬
ichen Aberglaubens in Aegypten verspottet und gar höchst
anachronistisch als Cäsars Sekretär Pritannus einen ver¬
ekten Engländer auf die Szene belngt, der für jede sachliche
Erwägung stets die blöden Korrektheitsindeen des Gentle¬
mand bei der Hand hat. gLun 5#
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# Lide 77 (Dnensten
1i000 & Celde.
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
S
Zeitung
Mnnsede
Ort:
Datug:
Gein PT. 19h.
Die Gertrud Eysoldt aber, die vor 17 Jahren als
Salome berühmt wurde, zelchnet heute als Direktorin des
„Kleinen Schaufplelhauses“ das sich in der Siaatlichen Hoch¬
schule für Musik am Steinplatz befindet. (N. J. sie zeichnet,
aber der Konzern des Deutschen Thekters liefert Schauspieler
und Regissedre und scheint überhaupt ganz sonverän über
has Instltut zn verfügen). Diese Gerrrud Cysoldt alse kün¬
digte die Aufführung von Arthur Schnitzlers
en“ an. Es sind dies zehn sexuelle Diakoge, die nur durch
Personalinion zusammenhängen, in denen jebesmal ein Pas¬
sus der ersten Begegnung noch in der zweiten mitspielt, bis in
der zehnten der Graf den Kreiskauf mit sener Dirne schließt,
die mit dem Soldaten das Spiel begann. So ist das Ganze ein
böser Wit, und die einzelne Szene, in deren Mitte jedesmal
bedeu ungsvolle Gedankenstriche
jenen Punkt andeu¬
ten, der überall, wo Seeke und Leidenschaft nicht mitspielen,
dern freilich der einzig wesentliche Punkt bleibt, — auch die
einzelnen Szenen zeigen oft genug die bekannte, melancholisch¬
ronische Anmut Schnitzker'scher Dialoge. Sie werden be¬
onders lustig, wenn in der zweiten Hälfte die allgemiine
Verlogenheit der erotischen Phrase durch Fachleute, Schrift¬
steller und Schauspie'erin, mit phantastischer Energie gehand¬
habt wird. Das Buch gibt der Sinnlichkeit der entseelten
Welt gewiß kelnen mystisch dämonischen Schimmer wie der
Wildesche Alt, aber es seziert den gleichen Zustand einer
Erotik, der alles Seelische zur Lüge wird mit trockenster Ironie
und wird dadurch in einem kaum vergleichlichen Grade deut¬
lich. — Früher hatte der Zensor sogar das Buch verboten,
jetzt sgibt as keine Zenfur mehr, aber in diesem speztellen
Falle hatte das Kuktusministerium, zu dem die Hochschule für
Musik gehört, Rechte des Hausherrn. Es erklärte die Auf¬
führung eines solchen Sücks in seinen Räumen für vertrags¬
wibzig unb erwirkte wenige Stunden vor der Aufführung eine
gerichtliche Verfügung, die das Spiel bei Haftstrafe der Di¬
rektion verbot. Dennoch ging nach einer emphatischen An¬
sprache der Frau Eysoldt die Schnitzlersche Szenenreihe über
die Bre ier und das Premierpublikum demonstrierte mit hef¬
igem Veifall für die bedrohte „Freiheit der Kunst.“
Die Aufführung mit sehr hübschen Szenenbildern
von Ernst Sternt und manchen hübschen schauspielerischen
Einzelleistungen (besonders die Herren Göt, Schwannecke, der
eite Komiker Karl Etlinger und Blanche Dergan, die sehr
lustig eine einst berühmte Heroine parodierte, die schon dem
Dichter Vorbild für seine „Schaufplelerin“# sein soll —
diese ganze Au'führung war nicht ohne Qualität und nach
Möglichkeit dezent.
Trotzdem bringe ich die rechte Entrüstung über diesen
tückischen Angriff auf die freie Kunst nicht auf. Wenn der¬
artige Stücke (und an der gleichen Stelle hat man mehrere
hunhert Male die „Büchse der Pandora“ gesvielt) ihren
Kassenerfolg machen, so tun sie es ganz gewiß nicht durch die
i ihnen enthaltenen artistischen ober geistigen Werte. Als
Unterne'men bleibt das eine trübe Svekulation mit niedersten
Masseninstinkten, wobei man den Gebrauch großartiger Worte
nur #wa dem unbegrenzten Mangel an Selbsterkenntnis bei
allen Theaterleuten zugute halten kann. Verbote werden wohl
nicht die richtigen Mittel sein, um Aufführungen solcher
Art zu bekämpfen; daß sie aber bekämpfenswert sind, meine
ich allerdings. Artistische S'udien über entfesselte Sexpalität
mögen ihre technische Quakität und kusturgeschichtliches Inter¬
asse haben — als Massennabrung auf dem Theater dargeboten
wirken solche Proben zersetzter Kultur weiter zersetzend und
sind zweifellos eine Kulturgefahr.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: ich werde für
ede, auch die kühnste Darstellung sexuellen Lebens ein¬
treten, auch für ihre Darbietung auf einer Velksbüne, sobald
diese Dinge nicht, entzückt oder tronisch, dargebotener Selbst¬
zweck, sondern Sto'f sind, an dessen Gestaltung sich eins Leiden¬
schaft feelisch geistiger Art auswirkt, die die gestaltenden,
rbnenden, mehr als sinnlichen Mächte im Menschen weckt.
Solche Macht kann bei Shalespeare, bai Kleist, dei Strind¬
berg noch im tiefsten Erleben des Geschlechtlichen sich aus¬
prechen — sie braucht keineswegs aus einer so anti=erotischen
Seistigkeit zu kommen, wie bei Bernard Shaw, dem
vollkomminen Gegenspieker seines trischen Landsmannes Oscar
Wilde. Von ihm hat man in eben diesen Tagen das „Spiel
für Puritaner“ auf die Bretter gebracht, das man gerabezu die
Anti=Salome neunen könnte: „Cäsar und Cleopatra“.
Statt der ästhetischen Verherrlichung tötlicher Sinnlich¬
keit stellt hier Shaw, aus unendlich überlegener Höhe herab¬
lächelnb, einen gelstigen Menschen nach salnem Sinn als Julius
Cäsar neben das beginnende Panthorkätzchen Cleopatra, bessen
schillernde Sinnlichkeit dem Semyf der im kunten Aber¬
glauben erstickenden ägyptischen Ueberkultur entsprießt. Cäsar
st der ganz sachliche Mensch, der senseits von Haß und Liebe
die Dinge nach ihrem inneren Wesen zu leiten und zu be¬
greisen strebt, und er bemüht sich, bei flüchtiger Begegnung
aus diesem finnlich wilden Kind ein Weib und einen Menschen
zu erziehen. Der Erfolg ist nicht groß, der Versuch aber für
den großen Weltordner auch viel zu nebensächlich, als daß
ein Mißlingen für ihn tragisch sein könnte.
Der ganze
nnere Reiz, mit dem uns das Stück trotzdem gewinnt,
teckt in der geistigen Größe, die diese Cäsargestalt entfaltet.
Sein äußerer Reiz steckt in den vielerlei irischen Scherzen, mit
deren Shaw dennoch die kleinen Menschlichkeiten seines Ueber¬
nenschen zur Schau stellt, mit denen er die Kultur stnn¬
ichen Aberglaubens in Aegypten verspottet und gar höchst
anachronistisch als Cäsars Sekretär Pritannus einen ver¬
ekten Engländer auf die Szene belngt, der für jede sachliche
Erwägung stets die blöden Korrektheitsindeen des Gentle¬
mand bei der Hand hat. gLun 5#