II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 779

11. Reigen
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Erotik
Das Kleine Schauspielhaus
hat unter der Direktion
Eysoldt-Sladek in Berlin
das Experiment gewagt Schpitzlers
eigen aufzuführen, und es
gen. Schnitzlers Dialogszenen führen
freilich nur in einer Dimension) durch
eine ganze soziale Schichtung, die ver¬
chwindet, wo die ihr Eingegliederten
sich in einem Reigen des sexuellen Le¬
bens zusammenfinden, das indessen bei
keinem dieser Menschen mehr ist als ein
immer jeder Gefühlsbezogenheit barer
Vorgang, der dazu noch eitle Selbst¬
beschau manifestiert. Bei keinem von
allen eristiert auch nur die Ahnung einer
seelischen Empfindung, kaum die Sehn¬
sucht danach; sie wird, wie in der Szene
des Grafen bei der Dirne, des Ehemanns
bei seiner Frau, durch sentimentale Ro¬
mantik ersetzt. Wo, wie bei dem Stuben¬
mädchen, der Ansatz eines Gefühls da
ist, da schlägt ihn die Praxis der Sache
brutal tot. Diese Akteure des erotischen
Spiels sind nicht im bessern Sinn
nenschlich, aber sie sind ebensowenig
auch nur animalisch. Denn auch zu einer
wirklichen Hingabe an das Physische ist
ihre Natur zu lau, Weder Gott noch
Tier. Nicht einmal Schmerz oder Grauen,
nur traurige Leere entsteht aus diesem
Getriebe, das sich durch die ständig
gleiche, ernüchterte Gleichgültigkeit sei¬
nes Nachher kennzeichnet. Der Reigen
gehört zu Schnitzlers besten Werken,
weil die Sache hier ehrlich (allerdings
immer noch kompromißlich partiell) aus¬
gesagt ist, ohne den Versuch, wie im
Anatol liebenswürdiges Räsonnement um
eigentliche
sie auszubreiten. In eine
iefe dringt Schnitzler freilich auch hier
nicht vor, nirgendwo streift er auch num
jene Sphäre, die etwa Barbusse in sei¬
nem aufwühlenden Buch von der Hölle
erschlossen hat.
Die Aufführung zeigt, daß man alles
spielen kann, sofern man es aus sach¬
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Soclallsische Monatshoffa, Borin
BUHNENKUNST /NORA ZEPLER
lichem Geist heraus tut. Sie ist keinen
Augenblick peinlich. Eher wirkt sie mo.
noton und niederschlagend, so monoton
und niederdrückend wie eben dies ewige
sinnlose Auf und Ab, das Schnitzler
schildert. Auch technisch ist das Pro¬
blem gut gelöst. Ein feiner Florvorhang
senkt sich für Augenblicke, wo das Buch
Gedankenstriche setzt. Die Wirkung ist
die gleiche. Eine diskrete und etwas
sentimental schmachtende Musik, von
Forster-Larrinaga, stellt eine das Krasse
vorsichtig dämpfende Verbindung zwi¬
schen den Ereignissen her. Der Ton im
Spiel, das Hubert Reusch leitet, ist seht
gut getroffen, gibt das über alles leicht
Dahingleitende, ist graziös und immen
sachlich. Besonders einige unter den
Männern, Kurt Götz und Robert Forster¬
raga, geben den richtigen Schnitz¬
er. Auch von den Frauen, unter denen
zwar einige schlechte Schauspielerinnen
sind, fällt keine in den Ton der pikanten
Salonkomödie. Charakteristisch erfaßt ist
die Schauspielerin der Blanche Dergan,
naturgetreu das süße Mädel der Poldi
Mäller. Die kokett-süßen Möbel, von
Ernst Stern entworfen, haben im allge¬
meinen die richtige Atmosphüre für diese
anze Welt.
Die Tatsache der Aufführung des Stücks
st von einigen verurteilt worden. Mit
Unrecht. Die Bühne muß sich nun wirk¬
ich, und ohne Furcht vor Konsequenzen
lie Freiheit der Selbstbestimmung neh¬
men. Fort auch mit der ewigen Furcht
vor Mißbrauch! Was soll eine Freiheit,
wenn man immer wieder davor warnt sie
zu gebrauchen? Andrerseits braucht man
die Reigenaufführung nicht mit Enthu¬
siasmus zu begrüßen. Sie zeigt die selben
Kompromisse wie das Buch auch; sie
konnte auch nicht gut anders. Die Not¬
wendigkeit dieser Aufführung ist ebense.
wenig zu erweisen wie ihre Schädlichkeit.