II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 810

11. Reigen
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für Zeitungsausschmu
43, Georgenkirchplatz 21
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30
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—.
Feirtages wurden an der gleichen Stelle die abstoßenden Vor¬
Christ ist erstanden ...
gärge der „Büchse der Pandora“ enthüllt.
Es ist schlimm, daß Wedekind so schamlos ist, schlimmer aber
Ein Rückblick auf die Berliner Ostern.
ist, daß er die weibliche Schamlosigkeit nicht nur schamlos dar¬
stellt, sondern sie auch als einen glänzenden siegreichen Zustand
Von
feiert, vor dem er sein Knie in Verehrung beugt. Um den
Erich Schlaikjer.
Satanismus dieses Vorganges vollständig zu machen, wird dann
auf der anderen Seite nicht nur jede religiös, sondern auch jede
Sie sprachen aber: „Ja nicht auf das Fest, auf daß
nicht ein Aufruhr werde im Volk.“ Matth. 16, 5.
irdisch begründete Sittlichkeit mit eiskalter Skrupellosigkeit
aufgehoben, soweit sie sich nicht in einen räudigen Hund ver¬
Die deutsche Österstimmung ist nie so herrlich gezeichnet
wandelt, den der Fuß der Dirne zum Entzücken des Dichters.
worden wie von Goethe im Faust in der Szene vor dem Tor.
mnit lachenden Tritten mißhandelt.
Am frühen Morgen läuten die Glocken und der Chorgesang
auchzt über den auferstandenen Heiland, am Nachmittag aber
Ob es Menschen gibt, die dieser Auffassung entsprechen
strömt das Volk aus der ehrwürdigen Nacht der Kirchen und
und die ihr darum aus inneren Gründen zugetan sein müssen,
aus den alten engen, giebeligen Gassen in die aufblühende
soll im vorliegenden Zusammenhang nicht untersucht werden.
Natur hinaus. Die Bürger besprechen den neuen Bürgermeister,
Mir ist, als hätten wir hier die im Neuen Testament nur an¬
das weibliche junge Blut läßt sich von kecken Burschen finden,
jedeutete Sünde wider den Geist, die nicht vergeben werden
die Fiedel klingt unter der Linde, die derben Mägde jauchzen
kann, die Sünde, die nicht nur ein bestimmtes Gebot, sondern
und an den Tischen wird zu starkem Bier ein beizender Toback
den Geist der Sittlichkeit aufhebt, nicht nur die göttliche Liebe
geraucht.
vermissen läßt, sondern diese Liebe selber als den heiligen Geist
In diesem Bild ist nicht die göttliche Resignation des
der Schöpfung zugunsten der Wollust entthront. Gott stößt die
Nazareners, die wie der Frieden eines Sommerabends in die
Welt nicht von außen, sondern bewegt sie im Innern, sagt
gepeinigte Welt tritt, sondern das urkräftige Behagen eines
Goethe, und wir kommen am Ende ein Stück weiter, wenn wir
gesunden Volkslebens, in das der Nazarener einen ernsten
das Licht dieser philosophischen Auffassung auf unser Problem
Glockenton hineingewoben hat. Wir wissen, daß wir dies In¬
allen lassen. Die Sündenvergebung hebt die Folgen der
einander von Christentum und germanischer Kraft an allen
Sünde auf, im Sinne Goethes aber erreicht Gott diese Auf¬
fröhlichen Festtagen unserer Kirche wiederfinden. Wir wissen,
hebung nicht, indem er von außen in die Seele eingreift,
daß auch in der Weihnachtszeit die geselligen Vergnügungen,
sondern indem er in ihrem Innern eine Bewegung hervorruft,
der Gänsebraten, die Kuchen, die Geschenke der Kinder eine
nicht indem er die Gesetze der Seele stört, sondern indem er sie
große Nolle spielen und sind zufrieden, wenn durch die heilige
erfüllt. Wenn Goethe damit recht haben sollte (und seine Auf¬
Zeit die Ahnung einer höheren Welt hindurchgeht. Wir wissen,
assung ist zum mindesten ernsten Nachdenkens wert), würde
daß wir nie die Majestät der Ueberwindung erreichen werden,
die Sündenvergebung ausbleiben, weil in der Seele ein
die sich in den Erdentagen des Heilands spiegelt, und die in
Prozeß nicht mehr hervorgerufen werden kann, der zur Ueber¬
Gethsemane und in dem verzweifelten Aufschrei am Kreuz
windung des sündigen Zustands führt. Das Neue Testament
selbst seine hohe Seele vorübergehend verlassen wollte. Wir
würde also die Verweigerung der Sündenvergebung nicht in
wissen, daß wir uns glücklich preisen müssen, wenn der Heiland
Aussicht stellen, weil die Güte des von ihm verkündeten Gottes
durch die gesunde Sinnlichkeit unseres Volkstums einen leuch¬
irgendwo eine Grenze hätte, denn nach den Evangelien hat sie
tenden Faden seiner göttlichen Liebe hindurchwebt, und er wird
das nirgends, sondern weil sie in einer bestimmten menschlichen
uns darum nicht verwerfen wollen.
Seele nicht mehr zu wirken vermag. Ist eine Seele aber in
Er verwarf die Sünderin nicht und nicht den verlorenen
allem Ernst satanistisch geworden, also nicht aus törichter Eitel¬
Sohn, weil in ihnen das Licht der Menschenliebe war. Er
keit, weil sie den Zustand für gar so interessant hält, dann ist
hatte für den daheimgebliebenen Sohn nur eine gütige Zurecht¬
sie so restlos der Unsittlichkeit verfallen, daß jedes Gefühl ihres
weisung, obwohl seine Seele kalt war, und er stellte selbst dem
eigenen Zustandes erloschen ist. Dann kann aber eine innere
Mörder am Kreuz das Paradies in Aussicht, als das Licht der
Reaktion, die zu einer Ueberwindung des sündhaften Zustands
sittlichen Erkenntnis in ihm aufging. Er spricht die mildesten
führen könnte, nicht mehr hervorgerufen werden, da jede
Worte, die je von Menschenlippen geflossen sind, so lange er
Reaktion aus einem sittlichen Keim hervorgehen müßte, die sitt¬
nur ein diamantenes Staubkorn seines eigenen Wesens sieht.
lichen Keime aber gestorben sind. Man kann selbst die härtesten
Er greift nur zur Peitsche, wenn das Letzte gewagt und der
Metalle schmelzen, ein Metall aber, das der Einwirkung der
Tempel selber geschändet wird. Er läßt den Donner seiner
Wärme nicht mehr unterliegt, kann auch durch die Glut im
Rede nur grollen, wenn die Seelen innen voll Unflats wurden,
Innern des Sonnenballs nicht geschmolzen werden, und in einer
wobei er sich durch äußere Korrektheit nicht blenden läßt, und
Seele, die der Einwirkung der göttlichen Güte nicht mehr unter¬
selbst dann geht mitunter durch seine Rede eine stille Trauer
liegt, kann eine Vergebung der Sünden nicht mehr bewirkt
über die Verlorenen, wie die Wipfel der Bäume unter leisem
werden.
Rauschen weinen, wenn das Gewitter sich in der Ferne verzog.
Im Satanismus scheinen mir also die psychologischen Vor¬
In den folgenden Zeilen, die den Spielplan der Östertage
amssotzungen vorhanden zu sein, die vorhanden sein müssen, um
betrachten wollen, darf nun nicht übersehen werden, daß das
das Ausbleiben der religiösen Sündenvergebung verständlich
Theater eine weltliche Kultusstätte der Seele ist und die
erscheinen zu lassen. Gott könnte die Seele nur noch ändern,
weltliche Freude hier also vorhanden sein darf. Wir dürfen
indem er durch einen äußeren Eingriff ihre gesetzmäßige Ent¬
vom Theater zwar verlangen, daß es dem Grad nach höher
wicklung aufhöbe, und am Ende gilt das Wort des Nazareners:
liege als das bunte Treiben vor dem Tor, weil es eine Kultus¬
„Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen,“ nicht
stätte der Seele ist und diesen Adel nie ganz verleugnen darf,
nur vom alitestamentlichen Gesetz, sondern hat den tieferen und
wir dürfen aber nicht verlangen, daß es, als ein Teil des
allgemeineren Unterton der Goetheschen Anschauung. Wie dem
Volkslebens, aus anderen Elementen gemischt sei als das
nun aber auch sei: unter allen Umständen ist der Satanismus
Volk selber. Wenn die Fiedel unter der Linde erklingt, darf
der tiefste Abfall vom Heiland, den menschliche Gedanken er¬
sie auch im Theater gestrichen werden, und wenn das junge
messen können, und so handelt unser Theatersystem wohl nur
Volk jauckzt, hat das Jauchzen auch auf der Bühne ein Recht.
folgerichtig, wenn es ihn gerade an den hohen Festtagen der
Verliert sich vor dem Tor die sinnliche Freude in niedrige
christlichen Kirche von der Bühne herab so wirkungsvoll pro¬
Gier, hat das Theater ein Recht, diese Erscheinung zurückzu¬
pagiert.
strahlen, sie hat aber kein Recht, ihr gleich zu sein oder sie zu
Wenn man im Satanismus den souverän gewordenen
billigen, wie sie auch im Volksleben von keinem gesunden
menschlichen Egoismus erblickt, muß er zum sexuellen Trieb als
Menschen gebilligt wird. In der Gier wohnt keine Freude, son¬
zur konzentriertesten Form zugleich des sinnlichen Egoismus und
Möglichkeit einer zitternden Befriediaung und so