II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 890

11. Reigen
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Der „Reigen“ vor dem Strafrichier.
künstlerischen Wert erkannte. Nur aus den gewöhnlichen Grün¬
Der Reigen der „Reigen“-Prozesse.
den, wie sie sich aus dem Beteiebe eines gcohen Theaters er¬
Vor der 6. Strafkammer des Landgerichts III begann heute
geben, wurde der „Reigen“ von Reinhirdt nicht aufgeführt. Nach
unter dem Vorsitz des Landgerichosdirektors Rennhausen der viel¬
der Uebernahme des Kleinen Schespielhauses erinnerte ich mich
erörterte Kampf um Schnitzlers Reigen. Nach den vielfachen
dessen und ich sagte mir: „Hier ist ein Werk das Erfolg ver¬
Skandalszenen im Kleinen Schauspielhause und den häufigen
speicht, wil es eine Neuaufführung ist und Gelegenhelt bietet,
Protesten seitens zahlreicher Kreise der Bevölkerung, die in zahl¬
den Vorwurf der Unzüchtigkeit, des dem auch nach moiner
losen Eingaben behaupteten, an den Aufführungen des Reigene
Kenntnis verbotenen Buche „Der Reigen“ gemacht wurde,
Aergernis genommen zu haben, hatten diese bekanntlich zur Folge,
niederzuschlagen. Ich habe der „Salome“ und dem
daß gegen die Direktoren des Kleinen Schauspielhauses, Frau
„Erdgeist“ zum Siege verholfen, und zwar durch die Dezenz
Gertrud Eysoldt und Maximilian Slad k, ferner gegen den
der Darstellung. Ich besitze also wohr ein Urteil und
Spielleiter Josef Reusch und die mitwirkenden Schau¬
den Takt, über und für ein Werk, dis für mich voll und ganz
spieler und Schauspielerinnen Anklage seitens der Staatsanwalt¬
ein vollendet künstterides Wers ist
schaft erhoben wurde. Diese Anklage gelangte nunmehr heute zur
Verhandlung und so gab das gesamte Ensemble, das bei den
eine sittliche Tat,
Aufführungen des Reigen seinerzeit mitgewirkt hatte, ein un¬
freiwilliges Gastspiel in dem Schwurgerichtssaale des Land¬
eine Erlösung“. Bezüglich der als überzählig und anstößig emp¬
gerichts II im Moabiter Kriminalgericht. Als Verteidiger stan¬
fohlenen Musik erklärte Frau Eysoldt, daß sie bei den Pausen
nur etwas ablenken und zu der nächsten Szene überleiten sollte.
den ihm die Rechtsanwälte Wolfgang Heine, Justizrat Dr.
Ueber ihren Wert könne sie nichts aussagen.
Rosenberger und Neumond zur Seite, während eine große Reihe
Der Angeklagte Sladek erwähnte zunächst, daß er mit einem
von bekannten Schriftstellern, Kritikern, Theaterdirektoren usw.,
Lächeln der Entrustung die Anklageschrift anfangs gelesen habe,
darunter Gerhart Hauptmann, Dr. Ludwig Fulda, Alfred Kerr
da er in ihr auf eine Stufe mit Veranftaltern on Nackt¬
u. a. als Sachverständige über die Frage unzüchtig oder nicht,
tänzern gestellt würde. Seine Erregung habe sich jevoch ge¬
ihr Gutachten abgeben tollen. Was zu erwarten war, geschah.
legt, als er erkannte, daß der Staatsanwalt das Werkzeug und
Auf Anregung des Rechtsanwalts Wolfgang Heine beschloß das
das Sprachrohr irregeleiteter Menschen gewesen sei. Er habe
Gericht, das den Reigen als Aufführung noch nicht kannte, am
niemals irgend jemand zu einer unzüchtigen Hand¬
morgigen Sonntag, mittags 12 Uhr, eine nichtöffentliche Separat¬
lung verleitet. Es handle sich um ein Kunstwerk
Vorstellung zu veranstalten. An ihr sollen Gericht, Zeugen und
von höchster Bedeutung bei dem Reigen, dem in zahlveichen Arti¬
Sachverständige teilnehmen. Auch der Presse wurde die An¬
wesenheit gestattet.
keln das höchste Lob erteilt worden sei. Selbst das Landgericht III
habe es in einem idealen Aufschwung als eine „sittliche Tat“
Der Eröffnungsbeschluß legt den angeklagten Schau¬
bezeichnet. Der „Reigen“ sei ohne Beanstandung eine ganze
spielern und Schauspielerinnen fortgesetze Er¬
Zeit lang aufgeführt worden, bis die antisemitischen Krawalle
regung öffentlichen Aergernisses durch Vornahme
einsetzten. Als die Tumulte, von denen er benachrichtig wurde,
unüchtiger Handlungen, der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
nicht gelangen, sei der Kübel von Haß über ihn aus¬
hauses, Frau Gertrud Eysoldt und Maximilian Sladek,
gegossen worden.
Die Willensäußerung bezüglich
Anstiftung zu diesen unzüchtigen Handlungen durch Ge¬
des
Nehmens des Aergernisses seien nur Schimpfworte
währung von Vorteilen, Mißbrauch von Gewalt und sonstige
gewesen. Nach seiner Behauptung hat er mit größter
Mittel, schließlich dem Spielleiter Schauspieler Josef Reusch
Schärfe auf den Proben dahin gesehen, daß niemals irgend¬
wissentliche Beihilfe ur Last. Nach der Anklage sind sie be¬
eine Anstoß erregende Bewegung ausgeführt würde. Der An¬
gangen durch die fortgesetzte Aufführung des „Reigen“ von
geklagte Slade“ legte dann im einzelnen dar, wie er die an¬
Arthur Schnitzler, der im Deember 1920 aufgenommen und
fänglichen Bed
bis zum 30. September d. J. stattfand.
#bezüglich der Aufführung zerstörte und
erörierte an #um des Buches die Streichungen, die von ihm
Nach seiner Vorlesung beantragte Staatsanwaltschaftsrat
vorgenommen wurden, um die bedenklichsten kleinen Sätze aus¬
v. Bradke den Ausschluß der Oeffentlichkeit, da erotische
zumerzen. So sei es dem Zuschauer später
Dinge zur Aufklärung des Sachverhakts eingehend in einer Weise
besprochen werden müssen, die eine Gefährdung der Sittlichkeit
nicht möglich gewesen, sich etwas Unsittliches dabei zu denken,
bedeutete. Einem generellen Ausschuß widersprach Rechtsanwalt
Wolfgang Heine in Uebereinstimmung mit den übrigen Verteidi¬
wenn er nicht wollte.
gern, da alle wohl die nötige Gewandtheit besäßen, auch das
Ueber den materiellen Erfolg seitens des Staatsanwaltes
erotische Gebot mit der erforderlichen Dezenz zu behandeln. Ins¬
befragt, erklärte Sladek daß er dank der unbezahr¬
besondere trat Direktor Sladek dem Antrag auf Ausschluß ent¬
baren Reklame seitens des Staatsanwaltes
gegen, da alle Angeklagte das dringende Bedürfnis hatten,
und des Kultusministeriums ausgezeichnete
alle
Fragen öffentlich zu behandeln, um zu zeigen, daß sie nicht getan
Kassenerfolge erzielt habe.
hätten, was das Licht der Oeffentlichkeit zu scheuen habe.
Gleich der Direktion erklärte sodann der wegen Beihilfe
Der
Antrag wurde auch vom Gericht abgelehnt, da eine Gefähr¬
angeklagte Regisseur Reusch, daß das Stück der Reigen nicht als
dung der Sittlichkeit nicht zu erwarten sei.
Sensationsangelegenheit, sondern als feinsinniges und durch¬
Wie der Vorsitzende feststellt, hat wegen des gleichen Vergehens
geistigtes Kunstwerk dargestellt werden muß.
bereits ein Verfahren gegen die Hauptangeklagten geschevebt. Es
Diesen drei Hauptangeklagten schlossen sich die Mitangeklag¬
wurde jedoch von der 6. Straskammer des Landgerichts III aus
ten Darsteller und Darstellerinnen an, die es alle entschieden
subjektiven Gründen eingestellt, da angenommen wurde, sie
zurückwiesen, daß sie sich bei der Art ihrer Darstellung einer
seien sich im Anschluß an das Urteil des Zivilgerichts über den
unzüchtigen Handlung schuldig gemacht hätten. Bezüglich der
=Reigen“ einer Anstiftung nicht bewußt gewesen.
Musik bemerkte der Angeklagte Forster=Larrinaga, daß er sie
Bei ihrer Vernehmung lehnte Frau Eysoldt den Vornunf der
schon im Jahre 1907 komponiert habe, ohne den Schnitzlerschen
Anstiftung zu einer unzüchtigen Handlung auf das entschiedenste
Reigen zu kennen. Er habe sie als tragischen Walzer komponiert.
ab und legte in längeren geistvollen Ausführungen
Nunmehr wurde in
die rein künstlerischen Motive
die Zeugenvernehmung
dar, von denen sie sich bei der Annahme und Aufftührung des
eingetreten und zunächst Geheimer Regierungsrat Professor
Schnätzlerschen „Reigen“ habe leiten lassen. „Ich glaube,“ so be¬
Faßbender vernommen, der ausführte, daß er infolge der
gann Frau Eysoldt einleitend, auf Grund meiner bisherigen
„intimen Verhältnisse", die sich auf der Bühne zeigten, Aerger¬
künstlerischen Tätigkeit in der Lage zu sein, zu entscheiden,
nis genommen habe. — Nach ihm wurde noch Frau v. Braun¬
was anzunehmen und wie etwas aufzuführen ist. Der
schweig als Zeugin gehört, die jedoch nicht das Stück gesehen,
Schnitzlersche „Reigen“ war bereits von Max Reinhardt sondern nur als Vorsitzende von Frauenvereinen von Mitgliedern
angenommen und sogar schon eingerichtet, da er dessen darüber unterrichtet worden war.