II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 920

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Reigen
Berliner Tageblatt
Zeugen im „Reigen“=Prozeß.
eu
daß Sie bei Ihren Wahkreden als Landtagskandidat in der
noch nicht beendet
Priegnitz und an anderen Orten das Publikum scharf gemacht
haben gegen die Juden, die jüdische Demokratie und die jüdischen
Reigenprozeß wurden im
Regierungsvertreter und dem Publikum den Unterschied zwischen
ernehmung noch einige
den Juden und den deutschvölkischen Kreisen klarzumachen ver¬
dige vernommen.
sucht haben? Wenn dies der Fall ist, so würde hieraus hervor¬
f. geschäftsführender Direk¬
gehen, daß es sich mehr um ein antisemitisch=deutsch¬
rdals Zeuge und Sach¬
völkisches Treiben, als wie um einen Kampf für die an¬
weder bei seinem ersten Be¬
geblich gefährdete Sittlichkeit handele.
Vorstellung, noch bei dem
Zeuge Dr. Jenne: Muß ich diese Frage beantworten?
sorgfältigen Aufpassens im
Staatsanw. v. Bradke: Ich bitte, diese Frage nicht zuzu¬
und Lüsternheit wahr¬
lassen, da durch sie dem Zeugen vorgeworfen wird, daß er sich aus
bühnentechnisch aus
politischen Motiven zu einer unwahren Aussage habe hinreißen
Es war anscheinend für
cht.
lassen.
aufregend. Hier in
als
Rechtsanw. Heine: Ein politisch leidenschaftlicher Mensch
erster Reihe darauf
in
wird leicht die nötige Objektivität außer acht lassen und stets der
den künstlerischen Wert
ber
Gefahr ausgesetzt sein, bei seinen Wahrnehmungen und Urteilen
den Wert, den einzelne
auf
ich von seiner vorgefaßten Meinung beeinflussen zu lassen. (Das
e beilegen. Ein Teil dieser
Gericht erklärt nach kurzer Beratung die Frage für zulässig.)
mit außerordentlich lebhaftem
Zeuge Dr. Jenne erklärt hierauf: Ich habe als
heran. Durch Beschluß
erie
I sei das Buch als nicht
Wahlkandidat der Deutschnationalen Volkspartei
en, und so kann es sich
#esprochen, und bin, da in deren Programm auch eine gewisse
geklagten Schauspieler
Stellungnahme gegen das Judentum enthalten ist, auch auf diesen
ungen haben. Drei wirk¬
Punkt zu sprechen gekommen. Ich bekämpfe das Werk als
pfen die Vorführung dieses
solches und nicht etwa, weil der Autor Herr Schnitzler ist, von dem
ung heraus; das sei inimerhin
ich nicht einmal weiß, ob er Jude ist.
t „aber auch diese haben an
Rechtsanw. Heine: Haben Sie nicht einmal gesagt: Jeder
zusetzen gehabt. In der
Sozialist ist mir lieber, als so ein verfluchter Judendemokrat!
tiges zu erblicken. Er habe
ganz Europa in allen mög¬
Zeuge: Nein.
befanden sich viele, die direkt
Rechtsanw. Heine: Haben Sie auch nicht das Wort „Juden¬
gestellt waren, beim „Reigen“
demokrat“ benutzt?
Zenge: Nein, ich würde ein solches Wort auch nicht mit
meiner Zugehörigkeit zum Richterstande vereinbar halten.
egisseuren.
Der Schriftsteller Artur Eloesser hat in der Reigenauf¬
führung nichts unzüchtiges entdeckt und kein Aergernis
Regisseur Emil Linde vom
daran genommen. Als er vor zwanzig Jahren von dem Dichter
altungsratsmitglied der Ge¬
Schnitzler das Buch „Reigen“ in Empfang nahm, hat er es als ein
er. Er schließt sich in längeren
kleines Juwel in der Schatzkammer der deutschen Literatur betrachtet.
der Sachverständiger über den
Der Sachverständige ist jahrzehntelang Theaterkritiker gewesen und
nig des „Reigen“ an und be¬
hat sechs oder sieben Jahre lang als beratender Mann dem Lessing
Auf
end und unzüchtig sei.
Theater angehört. Er ist Verwaltungsdirektor des Schutzverbandes
keinziger Tonfall oder eine Be¬
deutscher Schriftsteller und mit literarischen und Theaterangelegen¬
ls obszön gelten könnte. Im
heiten wohl vertraut. Er schließt sich im allgemeinen den Aus¬
Stück, das flammend der Gesell¬
ührungen Ludwig Fuldas an. Er erinnert sich, daß
mlich sarbloses Werk gemacht.
seinerzeit in einer Direktionskonferenz des Lessing=Theaters auch
hat den „Reigen“ bei der
darüber verhandelt wurde, ob man die Aufführung des „Reigens
ung gesehen und zwischen den
nicht ermöglichen sollte; damals war es noch nicht bekannt, daß Rein¬
e Unterschiede konstatiert. Er
hardt das Aufführungsrecht schon übertragen erhalten hatte. Die
s mindeste gesehen, was als
bei der damaligen Konferenz geltend gemachten Bedenken waren
rständiger müsse er erklären.
nicht sittlicher Natur. Man war der Meinung, daß das Buch wun¬
itzler mit seinem „Reigen“ eine
auf¬
leider nicht ganz
dervoll sei, aber die Bühne es
e Gesellschaft und gewisse nie
Die Aufführung des Werkes im Klei¬
könne.
nehmen
wollen. Es sind ja keine wirk¬
nur dezent, sondern über¬
nen Schauspielhaus sei nicht
e gezeigt werden, sondern nur
dezent gewesen; für das Stück haben diejenigen, die den Sturm¬
die alle gleichmäßig er¬
e,
lauf gegen den „Reigen" unternommen haben, eine unbezahlbare
Reklame gemacht. Das Schnitzlersche Werk sei ein Kunst¬
Der Herr Sachverständige
werk. Die Musik sei absolut nicht zu verdächtigen; sie sei melan¬
die Ibsen in Deutsch¬
cholisch und passe durchaus zu dem Werk, das aus verwundetem Her¬
Ihnen bekannt, daß es
zen geboren sei, aus Mitleid mit dem Teile der Menschheit, der
fführung
der „Gespenster
verachtet wird, aber bemitleidenswert erscheinen müsse Die ganze
protestierten und sogar ein
Darstellung habe eine große künstlerische Enthalt¬
dies.
bestätigt

Zeuge
amkeit gezeigt. Warum Professor Brunner glaubte, sich auf
Ist Ihnzu bekannt, daß bei
:
herrn Schlaikjer verlassen zu dürfen, könne er sich nicht recht vor¬
Hauptmanns „Sonnenaufgang
tellen. Der Sachverständige wendet sich schließlich gegen den Zu¬
Entstand und ein Zuhörer sogar
tand der Rechtlosigkeit und Schutzlosigkeit, in dem die deutschen
n einer bestimmten Stelle des
Schriftsteller zurzeit sich befänden und sich dadurch in ihrer
verständige Dr. Heine bestätigt
Schaffensfreudigkeit bedroht fühlen.
Rechtsanwalt Heine erinnert daran, daß selbst einem Goethe
icht darauf aufmerksam, daß
es nicht erspart gewesen sei, von einem Manne wie Herder, der sein
er Stelle abgespielt hatte, die
Feind gewesen sei, wegen seiner Werke „Die Braut von Corinth“
hr nicht auf der Bühne wieder¬
und „Gott und die Bajadere“ der Unzüchtigkeit bezichtigt
zu werden. Der Staatsanwalt bestreitet eine solche Bedrohung.
Der nachträglich als Sachverständiger geladene Professor Orlik
Verteidigung nochmals ge¬
vom staatlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin erklärt, daß er bei¬
wird zunächst vom Rechtsanw.
nahe dasselbe sagen müsse, wie der Sachverständige Eloesser. Er
richtig, Herr Landgerichtsrat,
baren Musikkörpers. Ausgeglichenheit und Fügsamkeit gegenüber
dem Taktstock des Leit#s waren das Ideal, nicht otwa sieghafte“
ologie
1. Beiblatt
Druck und Verlag von Rudolf Mosse in Verine.
erkläre, daß er nach der Lektüre des Buches die Aufführung viel zu
„Wahre Kunst
mäßig, zu gemäßigt und zu bezent gefunden habe.
Wenn
ist immer moralisch, unmoralische Kunst gibt es nicht!“
Rembrandt die heilige Familie und dann den Geschlechtsalt gemalt
hat so ist eben beides moralisch, denn Rembrandt war ein Künstler.
Schnitzler ist ein Künstler, Frau Eysoldt ist eine große
Künstlerin, und alles, was sie gemacht haben, ist moralisch.
Der Generalsekretär des Verbandes Berliner Bühnenkeiter,
Julius Hirsch, bekundet als Sachverständiger, daß er in der Auf¬
gefunden habe. Das erste Bild,
führung nichts Unanständiges
„Soldat und Dirne“, habe ihn direkt erschüttert. Er
habe in Wien oft des Nachts an der Ferdinandsbrücke diese Szene
im Leben gesehen, nur viel krasser und gemeiner.
Ludwig Fulda
erhält darnach nochmals das Wort zur Ergänzung seines Gutachtens
und bemerkt unter anderem: Es sei hier gesagt worden, daß die
Wiederholung des Geschlechtsaktes in den aufeinanderfolgenden
Er
Szenen außerordentlich aufregend und unzüchtig gewirkt habe.
aber sage: nicht eine Verstärkung des Aureizes, sondern eine Ab¬
stumpfung der Anreizung werde durch diese Wiederholungen bewirkt.
Sehr charakteristisch sei es, daß einige Zeugen gesagt haben: sie hätten
es starker
nach den ersten drei Bildern die Empfindung gehabt, daß
Tabak sei, der dort auf der Bühne dargereicht werde. daß sie hinter¬
her aber doch die sittliche Idee erkannt haben, die sich durch das
Werk zieht. Gerade durch diese Wiederholungen sind sie dazu ge¬
die Trunk¬
Eine Analogie würde beispielsweise
kommen.
sucht bieten. Nehmen wir an, daß in einer Bühnenszene eine
wird,
mit einem Trunkenbold dargestellt
Trunkszene
wird dies wohl als Einzelerscheinung ohne großen Eindruck vorüber¬
gehen, wenn dann aber solche Erxzesse in der Trunkenheit sich fort¬
gesetzt wiederholen, so ist das doch wohl nicht als eine Verherrlichung
der Trunksucht als des Dichters Absicht anzusehen, sondern als eine
Abschreckung. Mit aller Entschiedenheit muß bestritten werden.
daß im „Reigen“ der Geschlechtsakt dargestellt wird. Das Thema
ist ausschließlich der psychologische Reflex des Geschlechtsaktes. Nie¬
mals kann das rein psychologische als pornographisch angesprochen
werden. Der Goethe=Pund, dessen Vorsitzender er sei, wirke
auch im Sinne des Kampfes gegen Schmutz und Schund in der
Literatur. Hier könne aber von solchem nimmermehr die Rede sein.
Der Dichter habe die Gedankenstriche hinter die einzelnen Szenen
nur gemacht, um anzudeuten, daß die Dinge, die dann kommen,
ihn nicht interessieren.
Es
In einem Schlußwort erklärk Dr. Ludwig Fulda noch:
wird hier von Professor Brunner steis auf die Gefahren hin¬
gewiesen, der die Jugend durch den „Reigen“ ausgesetzt sei. Ich
glaube, daß man diese Gefahren weit überschätzt. Ich möchte das
Mädchen sehen, das durch den „Reigen“ vielleicht sittlich gefallen ist.
Ein solches Mädchen wäre auch ohne Ansehen des „Reigen“ gefallen,
da ihre Tugend offenbar nicht sehr fest gewesen war. Es ist lächer¬
lich, wenn man die Jugend vor den Gefahren der Kunst schützen
will, da man nicht einmal Mittel und Wege findet, die Jugend vor
den Gefahren der Straße zu schützen.
Wittkowski
Universitätsprofessor
Sachverständige,
Der
(Leipzig) kommt nach einer langen Erörterung zu dem Schluß, daß
keine Theatervorstellung möglich sein würde, wenn irgendeine alte
Jungfer männlichen oder weiblichen Geschlechts etwas an dem Werk
auszusetzen hat und ihm an den Leib gehen will. Die Möglichkeit,
Kunst zu geben, ist nur dann gegeben, wenn man mit vorurteils¬
losen, völlig der Kunst sich hingebenden Menschen rechnen kann.
Es entspinnen sich im Auschluß an diesen Vortrog längere künst¬
lerische und ästhetische Zwiesprachen zwischen dem Sachverständigen,
dem Professor Brunner den Verteidigern und den Sachver¬
ständigen, Dr. Osborn, Dr. Eloesser, Dr. Alfred Kerr
und dem Staatsenwalt, bei denen die Frage erörtert wird,
ob es etwas so Auffälliges ist, daß ein Dichter ein Werk ursprünglich
nicht als bühnenfähig betrachtet und schließlich anderer Ansicht ge¬
worden ist.
Professor Dr. Köster
von der Universität Leipzig bekundet unter anderem: Er hat das Buch
vor 20 Jahren gelesen und den Eindruck gehabt, daß hier ein Mensch
das Werk sich aus tiefstem Weh von der Seele geschrieben. Ein
Liebesgenuß ohne Eros ist nur ein sexueller Vorgang. Es ist ein
Wehgeschrei des Dichters, der in seinem Werk der Welt einen Spiegel
vorhält und sagt: das. was Ihr für Eros haltet, ist nur ein sexueller
Trieb; es liegt ein Fluch über der Gemeinschaft des Fleisches, wenn
keine Seelengemeinschaft hinzukommt. Der Dichter des „Reigen“
spricht nicht als Prediger, sondern als reiner Künstler.
Dann erhielt Prof. Brunner das Wort. Er gibt in lebhaften
Farben ein Bild von seinem ganzen Entwicklungsgang und sucht die
das hohe C des Sängers oder das silberne Kichern der Operetken¬
Serfen: das Vat#raggehenn brängt zur For¬
##. Wit andoren