II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1009

11. Reigen
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Tagesneuigkeiten.
*Der „Reigen“ in München. Bei der Unwissenheit,
die alle die Leute auszeichnet, die in den bürgerlichen Blättern
schreiben, ist es nicht überraschend, daß fortbauernd erzählt
wird, der „Reigen“ wäre in München von der Zensur ver¬
boten worden. Wie lächerlich das ist, ist baraus zu entnehmen,
daß es im Deutschen Reiche nach der Verfassung ###Weimar,
eine Theaterzensur überhaupt nicht gibt uns Ferade die
Münchener Polizeidirektion es, wie die Direktign des Schauspiel¬
hauses in Münchener Blättern mitgeteilt hat abgelehnt hat, der
Vorstellung bekzuwohnen, „da es kei###Fenfur mehr gebe und
die Theater aufführen können, ### sie wollen. Eine Zensur
ist ausschließlich fürKino vorhergesehen, wie aus
dem Artikel 118 der Verfe#sting deutlich hervorgeht: „Bine
Zensur findet nicht statt, doch können für
Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen ge¬
trossen werden.“ Tatsächlich ist das Verbot des Stückes in
München aus ganz anderen Gründen geschehen, wie aus dem
nachfolgenden, wörtlich mitgeteilten Erlaß des Münchener
Pplizeipräsidenten Pöhner hervorgeht:
Die weitere Aufführung von Schnitzlers „Neigen“ wird
verboten. Gründe: Am 5. d. kam es bei der zehnten Auf¬
zu
führung von Schn###lers, „Reigen“ im Schauspielhaus
einem gr## andal. Es wurde geschrien, ge¬
johlt, gepfissen, Stinkbomben geworsen, so daß die gesamte
Hauptwache eingreifen und die Vorstellung polizeilich ge¬
schlossen werden mußte. Die Gefahr einer Panik war nich
ausgeschlossen. Vor der Kasse gab es dann noch erregte Aus¬
einandersetzungen mit Besuchern, die ihr Eintrittsgeld zurück¬
verlangten, bis schließlich das Theater geräumt werden konnte.
Obwohl die ersten neun Aufführungen des „Reigen“ ruhig
verliefen, ist erfahrungsgemäß nach der ersten Störung mit
Sicherheit zu erwarten, daß auch die weiteren Aufführungen
tumultarisch verlaufen werden. Die Polizeidirektion ist, ohne
Vernachlässigung wichtiger Aufgaben, nicht in der Lage,
der geschäftstüchtigen Leitung des Schauspielhauses dauernd
ein so großes Polizeiaufgebot zur Ver¬
fügung zu stellen, um die ruhige Aufführung eines
Stückes zu gewährleisten, das jedem gesunden Volks¬
empfinden Hohn spricht und daher mit Recht in weiten
Kreisen der Bevölkerung Anstoß erregt. Um größeres
Unheil zu verhüten, mußten deshalb die weiteren
Aufführungen auf Grund des Artikels 102 des Ausführungs¬
gesetzes der Strafprozeßordnung verboten werden.
Daß der Glanz von München von dem Stück behauptet,
daß er „jedem gesunden Volksempfinden Hohn spricht“, ist
natürlich nicht der Rechtstitel, auf den sich das Verbot zu
berufen vermag, damit „begrändet“ der Polizeipräsident nur,
warum er das Theater gegen die Stinkbomben nicht schützt;
verboten wird die Aufführung aber nicht aus Gründen, die in
dem Werke liegen sollen, sondern nur wegen des Skandals, den
die „Reichspost“=Leute von München bei der zehnten Aufführung
gemacht haben. Daß dem Glanz von München der Skandal sehr
willkommen war, ist bei seiner Gesinnung selbstverständlich; haben
doch, auf seine Weisung wohl, die intervenierenden Polizeiorgane
es absichtlich unterlassen, die Ruhestörer festzustellen und die¬
jenigen, die ihnen zugeführt wurden, laufen gelassen. Aber das
ändert nichts daran, daß es in Deutschland eine Theaterzensur
überhaupt nicht gibt, Theateraufführungen wegen des Inhalts
der Werke überhaupt nicht verboten werden können
und das Verbot in München nur damit „begründet“
werden konnte, daß die Polizei keine Zeit habe, die
(künstlich hervorgerufenen) Skandale gegen die Vorstellung ab¬
zuwehren. Es wäre auch ein Irrium, zu meinen, daß in
Berlin, wo über die Aufführung des „Reigen“, wie mit¬
geteilt, ein gerichtliches Urteil erflossen ist, dieses etwa
mit einer Zensur zusammenhänge. Daß es in Berlin
zu einer gerichtlichen Austragung gekommen ist, hat je diglich
folgende Ursache: Die betreffende Theaterdirektion hat mit der
Hochschule für Musik einen Vertrag, womit sie sich verpflichtet,
nur künstlerisch einwandfreie Stücke aufzuführen. Da die Hoch¬
schule, mit Berufung auf den Vertrag, das Verbot der
Aufführung verlangte, hatte das Gericht zu entscheiden. Es
war also ein Privatstreit, den das Gericht bekanntlich für
die Aufführung entschied. Aber ein Glanz wäre im Deutschen
Reiche nicht möglich, was die großdeutschen Anschlußfreunde
nicht abhält, für ihn und damit gegen die deutsche Verfassung
Stellung zu nehmen.
Theater, Kunst und Musik.
„Das ist eine Schweinerei!“ bei der zehnten
Wiederholung von Arthur Schnitzl# berüchtigtem
„Reigen“ im Münchner Schauspiéhhaus am 6. Fe¬
ber, kam es zu einem von Damen ausgehenden Ent¬
rüstungssturm, dem sich auch Herten anschlossen.
Rufe, wie: „Das ist eine Schweinerei! Saustall!“ usw.
durchschwirrten den Theaterraum. Abf mitgebrachten
Trillerpfeifen brach ein ohrenzerreißender Lärm los.
Plötzlich wurden vom ersten Rang Stinkbomben auf
die Bühne geschleudert. Der Vorhang fiel endlich
und das Publikum verließ das Haus. Während sich
das Münchner Theaterpublikum kräftig dagegen wehr¬
te, daß man ihm Außerungen der Judenbrunst als
deutsche Kunst vorzusetzen wagt, mit dem Erfolge, daß
der Polizeipräsident die weitere Aufführung der
ähnlich wie Berlin im Schweinstrab. Als dort am
7. Feber in den Kammerspielen Schnitzlers „Reigen“
aufgeführt wurde, drangen etwa 20 junge Leute in
den Zuschauerraum und wollten durch lebhafte Pfui¬
rufe die Fortführung der Vorstellung unmöglich ma¬
chen. Jedenfalls rechneten sie auch damit, daß sie im
Publikum das Reinlichkeitsgefühl wachrufen werden.
Das Publikum nahm jedoch „entrüstet“ gegen die
„Störenfriede“ Stellung. Die Vorstellung wurde un¬
terbrochen und sechs der Demonstranten arretiert.
Kein Wunder, denn Wien ist nicht mehr Wien, sondern
Wien ist Tarnopol. — Durch einen Erlaß der österr.
Regierung ist die Aufführung des „Reigen“ jetzt ver¬
boten worden. Im Wiener Nationalrate kum es am
11. d. wegen dieses Erlasses zwischen Christlichsozia¬
len und Sozialdemokraten, welch letztere sich natürlich
für das Aufführungsrecht dieser Schweinerei einsetz¬
ten, zu heftigen Sturmszenen.

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