10. Das Vernaechtnis
Telephon 12.801.
„ODSLMTEN
I. öoterr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Aueschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genl, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Guellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
RLINEH TAGBLAPT
10001191
vom:
h. f. Schnitzlers „Vermächtnis“ kam gestern abend auf der
Neuen freten Völksbühne zur Aufführung. Als das Schauspiel,
in dessen Rahmen fast ein halbes Dutzend Schicksalstragödien ein¬
geschlossen ist, vor dreizehn Jahren zum erstenmal im Deutschen
Theater gespielt wurde, stand sein Erfolg nicht fest. Heute sträubt
sich auch ein naiveres Publikum gegen die Ueberfülle der Wirkungen,
obwohl eine Meisterhand sie vorbereitet. Am Schlusse eines jeden
Aktes fließt das Träuenkrüglein über, sechs Erwachsene und ein
Kind weinen nach dem Hinscheiden des armen Hugo auf der Szene,
es schluchzt das ganze Parkett, und man erwartet nachgerade, daß
auch der Tote sich noch einmal erhebt, um in die allgemeine, aber
nicht unbedingt ergreifende Klage einzustimmen. Das zur Be¬
freiung drängende Lachen, dieser tückische Feind aller Rührseligkeit
im Theater, war an einer kritischen Stelle nahe daran, zu trium¬
phieren, und die sonst so ungewöhnlich tüchtige Regie wird gut daran
tun, die Tränenschlußsermate des ersten Aufzuges um etwa dreißig
Sekunden abzukürzen.
Indessen gleichviel, man sah gewiß nicht nur Lamento, sondern
immer auch Leber, von eines Dichters Auge umfaßt, — echte Ge¬
meinheit, echte Liebe, echten, kalten Haß. Und Arthur Schnitzlers
empfindliche Menschen fanden im Volkstheater vortreffliche Darsteller.
Annelise Wagner, die das jüngere der Mädchen gab, fiel mir
in erster Linie auf durch die sehr gewinnende und noch anderes ver¬
sprechende Zartheit und Schlankheit ihres Wesens. Am nächsten
standen ihr, künstlerisch, Robert Müller und Maximilian
Sladek, die beide ihre Aufgabe, den mit Korrektheit einerseits und
mit geistiger Originalität andererseits übertünchte:. Egoismus
brutalster Sorte zu verkörpern, in sehr guter Weise lösten. Martha
Angerstein war in der Rolle der braven Franziska sympathisch,
aber ein wenig ausdrucksarm. Hedwig v. Lorée fand für den
mütterlichen Schmerz die besten Tränen, die überhaupt an diesem
tränenreichen Abend geweint wurden. Johannes Niemann
starb mit Anschaulichkeit, aber ohne tiefere Nüancen, für seine un¬
glückselige Geliebte hatte Jella Wagner ein paar echte Töne.
Elisabeth Huch vertrat geschickt die alles verstehende ältere
Witwe.
box 16/5
Telephon 12.801.
„O DIJERVEN
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Mirneapolts,
Bew-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
(Quellenangsbt ehne Gewamr.
Ausschnitt aus:
1000I IOff 4 3, Berlis
1
K. Die Neue freie Volksbühne brachte
Estern (Montag) Arthur Schnitztens dro##tiges
Schauspiel „Das-Vermächtnis“ zur Auf¬
lführung. Gerade 13 Jahre sind verflossen, seit¬
dem das Stück, in dem so viel traurige Stim¬
mung und so wenig tragische Kraft, so viel Ge¬
sinnung und so wenig Handlung steckt, im Deut¬
schen Theater zum ersten Male meisterhaft gespielt
und achtungsvoll ausgenommen wurde. Die Ge¬
schichte von dem seltsamen Vermächtnis, das ein
überaus braver Jüngling, der eben vom Pferde
gestürzt, den überraschten Eltern übergibt und
sie bittet, seiner Geliebten und seinem Kinde, von
denen sie bisher keine Ahnung hatten, eine Heimat
zu gewähren, hat mit den Jahren kaum an Reiz,
gewonnen, ja man empfindet heute mehr wohl noch
als früher, daß nach dem peinvoll ergreifend ein¬
setzenden ersten Akt, der Schnitzlers ganze Meister¬
schaft in stimmungsvoller Detailmalerei zeigt, die
weiteren Aufzüge nur von teils klugen, teils emp¬
findsamen Worten leben und reich an allerlei
Verlegenheitswendungen sind, die dazu dienen
müssen, daß die arme, in Gnaden ausgenommene
Toni regelrecht wieder verstoßen wird, nachdem
ihrem Geliebten auch ihr Kind in den Tod gefolgt.
Ich
glaube, auch das
empfängliche
Publikum der Neuen freien Volksbühne empfand
gestern dieses merkwürdige Versanden einer
fruchtbaren tragischen Idee und hielt sich
ganz an die Gesinnung, die so ehrlich die Moral¬
heuchler bloßstellt und für das mißhandelte Mäd¬
chen Partei ergreift. Mit der Darstellung
konnte man zufrieden sein, wenn es auch in der #
Erinnerung an die einstige Aufführung im Deut¬
schen Theater mit Rittner, Reicher und Else Leh¬
mann viel zu überwinden galt. .. Den sterben¬
den Jüngling gab Johannes Riemann ohne reali¬
stische Mätzchen wirklich ergreifend, für die un¬
glückliche Toni fand Jella Wagner den schlichten
Ton ehrlicher Empfindung und die bestgezeichnete
Figur, den aufgeblasenen Familienvater mit
seinem Reichtum an verlogenen Phrasen und
wahrer Herzenskälte, spielte Robert Müller mit
diskreter Charakteristik. Als fein empfindende
Künstlerin voll innerlicher Kraft erwies sich wie¬
der Annalise Wagner und den bösen Geist des
Hauses, den „korrekten“ Herrn Dr. Ferdinand
Schmidt hielt Maximilian Sladek geschickt und
taktvoll von allem äußerlichen Intrigantentum
frei. Direktor Lichos Regie zeugte, wie immer,
von Verständnis und künstlerischer Sorgfalt, die
freilich das Tempo ein wenig verschleppten und
nicht nur die Stimmung, sondern auch die Stim¬
men gar zu sehr dämpfen ließ.
Telephon 12.801.
„ODSLMTEN
I. öoterr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Aueschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genl, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Guellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
RLINEH TAGBLAPT
10001191
vom:
h. f. Schnitzlers „Vermächtnis“ kam gestern abend auf der
Neuen freten Völksbühne zur Aufführung. Als das Schauspiel,
in dessen Rahmen fast ein halbes Dutzend Schicksalstragödien ein¬
geschlossen ist, vor dreizehn Jahren zum erstenmal im Deutschen
Theater gespielt wurde, stand sein Erfolg nicht fest. Heute sträubt
sich auch ein naiveres Publikum gegen die Ueberfülle der Wirkungen,
obwohl eine Meisterhand sie vorbereitet. Am Schlusse eines jeden
Aktes fließt das Träuenkrüglein über, sechs Erwachsene und ein
Kind weinen nach dem Hinscheiden des armen Hugo auf der Szene,
es schluchzt das ganze Parkett, und man erwartet nachgerade, daß
auch der Tote sich noch einmal erhebt, um in die allgemeine, aber
nicht unbedingt ergreifende Klage einzustimmen. Das zur Be¬
freiung drängende Lachen, dieser tückische Feind aller Rührseligkeit
im Theater, war an einer kritischen Stelle nahe daran, zu trium¬
phieren, und die sonst so ungewöhnlich tüchtige Regie wird gut daran
tun, die Tränenschlußsermate des ersten Aufzuges um etwa dreißig
Sekunden abzukürzen.
Indessen gleichviel, man sah gewiß nicht nur Lamento, sondern
immer auch Leber, von eines Dichters Auge umfaßt, — echte Ge¬
meinheit, echte Liebe, echten, kalten Haß. Und Arthur Schnitzlers
empfindliche Menschen fanden im Volkstheater vortreffliche Darsteller.
Annelise Wagner, die das jüngere der Mädchen gab, fiel mir
in erster Linie auf durch die sehr gewinnende und noch anderes ver¬
sprechende Zartheit und Schlankheit ihres Wesens. Am nächsten
standen ihr, künstlerisch, Robert Müller und Maximilian
Sladek, die beide ihre Aufgabe, den mit Korrektheit einerseits und
mit geistiger Originalität andererseits übertünchte:. Egoismus
brutalster Sorte zu verkörpern, in sehr guter Weise lösten. Martha
Angerstein war in der Rolle der braven Franziska sympathisch,
aber ein wenig ausdrucksarm. Hedwig v. Lorée fand für den
mütterlichen Schmerz die besten Tränen, die überhaupt an diesem
tränenreichen Abend geweint wurden. Johannes Niemann
starb mit Anschaulichkeit, aber ohne tiefere Nüancen, für seine un¬
glückselige Geliebte hatte Jella Wagner ein paar echte Töne.
Elisabeth Huch vertrat geschickt die alles verstehende ältere
Witwe.
box 16/5
Telephon 12.801.
„O DIJERVEN
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Mirneapolts,
Bew-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
(Quellenangsbt ehne Gewamr.
Ausschnitt aus:
1000I IOff 4 3, Berlis
1
K. Die Neue freie Volksbühne brachte
Estern (Montag) Arthur Schnitztens dro##tiges
Schauspiel „Das-Vermächtnis“ zur Auf¬
lführung. Gerade 13 Jahre sind verflossen, seit¬
dem das Stück, in dem so viel traurige Stim¬
mung und so wenig tragische Kraft, so viel Ge¬
sinnung und so wenig Handlung steckt, im Deut¬
schen Theater zum ersten Male meisterhaft gespielt
und achtungsvoll ausgenommen wurde. Die Ge¬
schichte von dem seltsamen Vermächtnis, das ein
überaus braver Jüngling, der eben vom Pferde
gestürzt, den überraschten Eltern übergibt und
sie bittet, seiner Geliebten und seinem Kinde, von
denen sie bisher keine Ahnung hatten, eine Heimat
zu gewähren, hat mit den Jahren kaum an Reiz,
gewonnen, ja man empfindet heute mehr wohl noch
als früher, daß nach dem peinvoll ergreifend ein¬
setzenden ersten Akt, der Schnitzlers ganze Meister¬
schaft in stimmungsvoller Detailmalerei zeigt, die
weiteren Aufzüge nur von teils klugen, teils emp¬
findsamen Worten leben und reich an allerlei
Verlegenheitswendungen sind, die dazu dienen
müssen, daß die arme, in Gnaden ausgenommene
Toni regelrecht wieder verstoßen wird, nachdem
ihrem Geliebten auch ihr Kind in den Tod gefolgt.
Ich
glaube, auch das
empfängliche
Publikum der Neuen freien Volksbühne empfand
gestern dieses merkwürdige Versanden einer
fruchtbaren tragischen Idee und hielt sich
ganz an die Gesinnung, die so ehrlich die Moral¬
heuchler bloßstellt und für das mißhandelte Mäd¬
chen Partei ergreift. Mit der Darstellung
konnte man zufrieden sein, wenn es auch in der #
Erinnerung an die einstige Aufführung im Deut¬
schen Theater mit Rittner, Reicher und Else Leh¬
mann viel zu überwinden galt. .. Den sterben¬
den Jüngling gab Johannes Riemann ohne reali¬
stische Mätzchen wirklich ergreifend, für die un¬
glückliche Toni fand Jella Wagner den schlichten
Ton ehrlicher Empfindung und die bestgezeichnete
Figur, den aufgeblasenen Familienvater mit
seinem Reichtum an verlogenen Phrasen und
wahrer Herzenskälte, spielte Robert Müller mit
diskreter Charakteristik. Als fein empfindende
Künstlerin voll innerlicher Kraft erwies sich wie¬
der Annalise Wagner und den bösen Geist des
Hauses, den „korrekten“ Herrn Dr. Ferdinand
Schmidt hielt Maximilian Sladek geschickt und
taktvoll von allem äußerlichen Intrigantentum
frei. Direktor Lichos Regie zeugte, wie immer,
von Verständnis und künstlerischer Sorgfalt, die
freilich das Tempo ein wenig verschleppten und
nicht nur die Stimmung, sondern auch die Stim¬
men gar zu sehr dämpfen ließ.