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ruene Kakadu
Der
9. 3 n ee
Lessing=Theater.
August Strindberg: „Fräulein Julie“ und Arthur Schnitzler:
„Der grüne Kakadu“. U139
(Erstaufführungen.Die Post, Berlin
Mit lebensgesunder Allerweltklugheit fühlt der verführte Ver¬
führer, der Diener Jean, ja nicht, was in dem gräflichen Fräulein
sich seelisch begibt, als sie sich einer Hingabe an den Untergebenen:
einer solchen nicht nur im Aeußern, sondern vor allem im Fühlen
und Denken bewußt wird. Der Ehrbegriff, der dem Zigarren
und Wein stibigenden Jean völlig fremd ist, treibt diese feiner
organisierte Natur, der das Leben nicht nur Vorteilsbilanz ist, mit
unentrinnbarer Logik in den Tod. —
Breit, selbstgerecht und untertänig=frömmelnd steht Iltä
[Grüning als Köchin Christine am Herd, ihren Jean mit
Leckerbissen atend. Mit naturalistischer Treue spielt sie dies aus
primitivsten Regungen zusammengesetzte Weib.
Eugen
Klöpfer gab den Diener Jean in seiner Ehrfurcht vor den
gräflichen Stiefeln und der proletigen Weltanschauung
des Stutzermenschen — dem Sachen und Mensch nur Nachteil oder
Vorteil sind. Ihm ist eine Welt idealistischer Auffassung Patho¬
logie. Und so wird er, als Fräulein Julie einen Halt an ihm
zu finden hofft, ihrem „Geplärr“ gegenüber ausfallend roh; mit
der brennenden Zigarre im Munde erklärt er ihr auf ihre Frage,
ob er sie liebe, immer wieder: „Erlauben Sie mal, ob ich Sie
liebe!“ Tilla Durieux (als Fräulein Julie) wirkte in den
Verzweiflungsausbrüchen des Schlusses am stärksten, wo ihre ge¬
preßten Märtyrerschreie wie aus einem Turm emporklangen, wäh¬
rend Jean sich kühl und überlegen das Nasiermesser abzieht —
das sie von der Lebensqual erlöst.
M. S.
Dem jungen Strindberg folgte Schnitzlers mit großem Auf¬
wand und Personal konstruierte Groteske „Der grüne Ka¬
kadu“. Manche bei Schnitzler in Erstaunen setzende Schwäche
wird durch Knalleffekte verhüllt. Die Charakterisierung der von
politischer Perversität besessenen französischen Hofkreise Ludwig des
Sechzehnten ist gelungen, die Idee des Werkes durchaus glaubhaft.
Hanns Fischer hatte sich diesmal einen Lederschurz umge¬
bunden und dirigierte als weiland Schmierendirektor, zurzeit
Wirt Prospère im „Grünen Kokadu“, sein Diebesgesindel in
treuer Hingabe ans Geschäft. Mit Liebe verschmolz er die
Gerissenheit mit der unfreiwilligen Komik dieser Figur. Fritz
[Delius wirkte in der Rolle des sorglosen Emile frisch als rechter
Sohn eines leichtsinnigen Zeitalters. Mit Tilla Durieux
fand die neuigkeitslüsterne Séverine
die geeignete
Besetzung. Sie gab das Dämchen, klug in der Hofluft, neugierig
gegen fremdes Los, unerfahren im pulsenden Strom der Welt¬
geschichte. Konrad Veidt hatte den Henri durchdacht. Ihn
ließ auch — wie erforderlich — die Schmiere selbst in tiefinnerster
Erregung nicht frei. Emil Lind und Eugen Klöpfer
gaben ihrer Nebenrolle ein farbiges Gesicht. Dagny Ser¬
svaes spielte Leocadia in taltvoller Anmut. Martin Gien,
[Julius Hermann und Rudolf Klein=Roppe ergänz¬
ten trefflich die Gestalten jener spielerischen, dem anrollenden
Gewitter sich die Ohren verschließenden Welt des damaligen
Paris. Mit farbenfrohem Auge schuf Cesar Klein wirkungs¬
volle Komplemtäre und Kontraste von sattem Blau und leuchten¬
dem Karmin, in die das tranige Lampenlicht verbindend über¬
floß. Bunte, von künstlerischem Feinsinn gewählte Kostüme be¬
wegten sich auf dem kalten Hintergrund.
Victor Bar¬
[nowsky leitete mit Takt und Umsicht die Aufführung.
H. R.
[Verantwortlich für innere Politik: Paul Zschorlichästr
äußere Politik: Wilhelm Hack; für Parlament: Georg
Fernandes; für Feuilleton: Fritz Meyer=Schönbrunn;
für den unpolitischen Teil und Berliner Nachrichten: Rudolf
ebel; für Handelsteil: 1. V. Dr. P. Martell; für den An¬
zeigemteil und geschäftliche Mitteilungen: Hermann Mierisch
#mtlich in Berlin.
ruene Kakadu
Der
9. 3 n ee
Lessing=Theater.
August Strindberg: „Fräulein Julie“ und Arthur Schnitzler:
„Der grüne Kakadu“. U139
(Erstaufführungen.Die Post, Berlin
Mit lebensgesunder Allerweltklugheit fühlt der verführte Ver¬
führer, der Diener Jean, ja nicht, was in dem gräflichen Fräulein
sich seelisch begibt, als sie sich einer Hingabe an den Untergebenen:
einer solchen nicht nur im Aeußern, sondern vor allem im Fühlen
und Denken bewußt wird. Der Ehrbegriff, der dem Zigarren
und Wein stibigenden Jean völlig fremd ist, treibt diese feiner
organisierte Natur, der das Leben nicht nur Vorteilsbilanz ist, mit
unentrinnbarer Logik in den Tod. —
Breit, selbstgerecht und untertänig=frömmelnd steht Iltä
[Grüning als Köchin Christine am Herd, ihren Jean mit
Leckerbissen atend. Mit naturalistischer Treue spielt sie dies aus
primitivsten Regungen zusammengesetzte Weib.
Eugen
Klöpfer gab den Diener Jean in seiner Ehrfurcht vor den
gräflichen Stiefeln und der proletigen Weltanschauung
des Stutzermenschen — dem Sachen und Mensch nur Nachteil oder
Vorteil sind. Ihm ist eine Welt idealistischer Auffassung Patho¬
logie. Und so wird er, als Fräulein Julie einen Halt an ihm
zu finden hofft, ihrem „Geplärr“ gegenüber ausfallend roh; mit
der brennenden Zigarre im Munde erklärt er ihr auf ihre Frage,
ob er sie liebe, immer wieder: „Erlauben Sie mal, ob ich Sie
liebe!“ Tilla Durieux (als Fräulein Julie) wirkte in den
Verzweiflungsausbrüchen des Schlusses am stärksten, wo ihre ge¬
preßten Märtyrerschreie wie aus einem Turm emporklangen, wäh¬
rend Jean sich kühl und überlegen das Nasiermesser abzieht —
das sie von der Lebensqual erlöst.
M. S.
Dem jungen Strindberg folgte Schnitzlers mit großem Auf¬
wand und Personal konstruierte Groteske „Der grüne Ka¬
kadu“. Manche bei Schnitzler in Erstaunen setzende Schwäche
wird durch Knalleffekte verhüllt. Die Charakterisierung der von
politischer Perversität besessenen französischen Hofkreise Ludwig des
Sechzehnten ist gelungen, die Idee des Werkes durchaus glaubhaft.
Hanns Fischer hatte sich diesmal einen Lederschurz umge¬
bunden und dirigierte als weiland Schmierendirektor, zurzeit
Wirt Prospère im „Grünen Kokadu“, sein Diebesgesindel in
treuer Hingabe ans Geschäft. Mit Liebe verschmolz er die
Gerissenheit mit der unfreiwilligen Komik dieser Figur. Fritz
[Delius wirkte in der Rolle des sorglosen Emile frisch als rechter
Sohn eines leichtsinnigen Zeitalters. Mit Tilla Durieux
fand die neuigkeitslüsterne Séverine
die geeignete
Besetzung. Sie gab das Dämchen, klug in der Hofluft, neugierig
gegen fremdes Los, unerfahren im pulsenden Strom der Welt¬
geschichte. Konrad Veidt hatte den Henri durchdacht. Ihn
ließ auch — wie erforderlich — die Schmiere selbst in tiefinnerster
Erregung nicht frei. Emil Lind und Eugen Klöpfer
gaben ihrer Nebenrolle ein farbiges Gesicht. Dagny Ser¬
svaes spielte Leocadia in taltvoller Anmut. Martin Gien,
[Julius Hermann und Rudolf Klein=Roppe ergänz¬
ten trefflich die Gestalten jener spielerischen, dem anrollenden
Gewitter sich die Ohren verschließenden Welt des damaligen
Paris. Mit farbenfrohem Auge schuf Cesar Klein wirkungs¬
volle Komplemtäre und Kontraste von sattem Blau und leuchten¬
dem Karmin, in die das tranige Lampenlicht verbindend über¬
floß. Bunte, von künstlerischem Feinsinn gewählte Kostüme be¬
wegten sich auf dem kalten Hintergrund.
Victor Bar¬
[nowsky leitete mit Takt und Umsicht die Aufführung.
H. R.
[Verantwortlich für innere Politik: Paul Zschorlichästr
äußere Politik: Wilhelm Hack; für Parlament: Georg
Fernandes; für Feuilleton: Fritz Meyer=Schönbrunn;
für den unpolitischen Teil und Berliner Nachrichten: Rudolf
ebel; für Handelsteil: 1. V. Dr. P. Martell; für den An¬
zeigemteil und geschäftliche Mitteilungen: Hermann Mierisch
#mtlich in Berlin.