II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 325

De
fruene Kakadu
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9. 3. Der zauche kukade

glaubten und an die Menschen, sie zu bessern und
Gesellschaft, den Trug des Herkommens. Die Ge¬
#%
### hanziger Stadttheater#“
zu bekehren, da haben wir wohl gesungen und
sellschaft ist der Repräsentant des Kompromisses,
gesagt von dem erbärmlichen Wicht, der die
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der halben Wahrheit. Ueber sie und ihre In¬
„Der Volksfeind.“ „Der grüne Kakadu.“
Wahrheit kenne und sie nicht sage und künde!
stitutionen schüttet Ibsen, wie in fast allen Dramen,
Unter Begeisterungsfieber erregenden Husa¬
Aber als wir älter wurden und erfahrener, und
so auch im „Volksfeind“, die Schale seines
ren, lustigen Witwen und schroülen Frühlings¬
die Menschen mit nüchternem Blick betrachteten
Zornes aus. „Wenn ich nur wüßte, wo man
lüften mit einem Male deine ernste Gestalt auf¬
und die Welt, da wurde es uns bald klar, daß es
einen Urwald oder eine kleine Südsee - Insel
tauchend, einsamer Thomas Stockmann? Was
gar nichts Schwereres gibt, als die Wahrheit zu
um einen billigen Preis haben könnte!“
willst du hier? Hast du dich verirrt? Oder bist
sehen und zu bekennen, auch da, wo man sie
ruft Stockmann zuletzt voller Bitterkeit aus.
du gar mit deinem Wahrheitsfanatismus hier¬
nicht hören will. Und schließlich — wer will sie
Ein Mann wie er hätte alle Selbstachtung,
her gekommen, uns zu predigen, daß ein Theater
hören, ja, wer kann sie hören? Wer ist stark
ja jedes Anstandsgefühl verlieren müssen, wenn
doch auch so etwas sei wie eine moralische An¬
und groß genug, sie zu vernehmen, wo ihre For¬
er
hier mit der Menge paktiert hätte. Die
stalt, daß man eine große Hörerschaft nicht nur
derung mit seinem Vorteil, seiner Bequemlich¬
Kollision ist hier nicht, wie so oft oberflächlich
amüsieren, sondern auch ein ganz klein wenig
keit, seiner Eitelkeit in Konflikt kommt? „Kreu¬
behauptet wird, speziell theoretisch oder politisch,
erziehen soll? Laß dich auslachen, armerThomas.
zige, kreuzige!“, das
e urewige Ant¬
, wie Anathon Aall, wohl der neueste
Laß-dich steinigen, du Volksfeind, der du den
wort für alle Wahrheitskünder, alle Wahr¬
Ibsenbiograph, es richtig erkannt hat, allgemein
heitsforderer.
geplagten Menschenkindern ihr bißchen Ver¬
ethisch. Die Gesellschaft, das Gemeinwesen ist es,
gnügen mit deiner bornierten Halsstarrigkeit
Steinigen wollen sie auch Stockmann, den
das dem persönlichen Moralbewußtsein, der per¬
nehmen willst. Oder nein — laß dich bemitleiden,
Wahrheitsfanatiker. Der Arme leidet an einem
sönlichen Wahrheitsliebe überall Hemmnisse in
Precht herzlich bemitleiden. Wahrhaftig-
„es tut

todbringenden Wahn: Wahr und frei und ohne
den Weg legt. Stockmann ist revolutionärer
mir weh, wennsich dich in der Gesellschaft seh!“
feige Kompromisse will er durch diese Welt der
Aristokrat, welcher einer blinden Mehrheit
Ist das ein Unrecht? Sollte ich mich nicst lieber
Kompromisse schreiten. Wer das könnte! Wer
das Recht abspricht, in allen Fragen die
von ganzer Seele freuen, daß du das Theater
nicht überall und in jeder Lage zu Kompromissen
Autorität zu repräsentieren. „Die Minorität
Fur Kanzel machst und den hungernden, dürsten¬
gezwungen wäre, die sein Herz verwirft! Stock¬
hat immer recht“
sagt er. Deshalb fallen
den Menschenkindern ein wenig Wahrheit und
manns Losung heißt wie die Brands und so man¬
sie alle über ihn her, am wütendsten die
Lebensernst predigst?! Sie kamen ja zahlreich
cher Ibsenschen Helden: Alles oder nichts!
Liberalen, die sehr schlecht im Stücke fortkom¬
genug, dich zu hören; sie sind ja gar nicht so abge¬
1 Seine eigenen Wege gehen, wie mancher möchte
men. Und mehr noch als die Minorität ist der
brüht gegen das Große und Schöne und Gute,
es! Aber da kommt wie ein „Volksfeind“ der
einzelne im Recht, der gegen die anderen um
gar nicht so jeder Erziehungsfähigkeit zum Edlen
Herr Bürgermeister und belehrt uns, daß das in
die Wahrheit kämpft, der immer auf dem Vor¬
und literarisch Werivollen bar, wie man es
einer wohlgeordneten Gesellschaft unstatthaft sei.
posten der Menschheit steht, der sein Herzensblut
glauben sollte — wenn man Theaterspielpläne
„Der Einzelne muß sich durchaus dem Ganzen
hergibt, um mit verrotteten Wahrheiten aufzu¬
liest. Freilich, wenn man den Hungernden statt
unterordnen oder, besser gesagt, den Behörden,
räumen, Kuiturschöpfer und Kulturträger zu
des Brotes — Steine gibt oder Seifenschaum¬
die über das Gemeinwohl zu wachen haben.“
sein. So nimmt Stockmann als einzelner den
blasen, dann werden sie bald nicht mehr wissen,
Und unter dieser alltäglichen Weisheit und ihrem
Kam, auf mit dieser Gesellschaft, dieser Stadt
was gesunde Nahrung ist, wie sie kräftig und
ledernen Zwang verbluten die Eigenen, die
der echenschaft, des liberalen Geistes, des ver¬
froh und lebenstüchtig macht.
Adelsmenschen! Und die Lüge siegt. Und wer
trö lichen Sinnes, der moralischen Biederkeit, die
die Macht hat, triumphiert.
Die Wahrheit predigt Thomas (nicht Otto, wie
tiefen Grunde nichts als Morast ist und Un¬
gestern gesagt war) Stockmann. Was ist Wahr¬
rat und Heuchelei und Trug. Und wenn er zu¬
Der „Dolksfeind“ ist, wie alle Dramen Ibsens,
heit? Niemals wird die Pilatusfrage verstum¬
letzt ganz einsam dasteht, „der ist der stärkste
voller Symbolik. Das Gift, das in das Bad
men. Ibsen selbst ist im letzten Grunde der An¬
Mann in der Welt, der allein dasteht.“ Ihn bin¬
dringt, und das die kluge Gesellschaft nicht sehen
sicht gewesen, daß es keine Wahrheit an sich,
den keine Programme mehr und Verpflichtun¬
will, ist die Lüge, die jedes Gemeinwesen ver¬
sondern nur Wahrheitsmeinungen gibt. Und
gen, die Rücksichten und feige Kompromisse auf¬
giftet. Wer diese Symbolik vezweifelt, der lese
keine ernste Ueberzeugung von Wahrheit und
aufmerksam die große Rede, die Stockmann den
erlegen. Die selbständige freie Persönlichkeit
Wahrhaftigkeit denen aufzwingen wollen die
versammelten Bürgern hielt. Dieser Stockmann,
des einzelnen gegen den Egoismus und
glücklich sind in ihrer Lebenslüge, sei sie auch noch
welcher der Wahrheit zum Siege verhelfen will,
die Unwahrhaftigkeit der Gesellschaft, das
so schal und fadenscheinig?! Ja, als wir noch
geht den dornenvollen Leidensweg aller derer,
ist das Problem dieses Dramas, das
gung waren und Ideale hatten und an das Leben 1 deren Seele sich aufbäumt gegen die Heuchler der 1 nicht, nur interessant, nicht nur er¬