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9.4. Der gruehe Kakaqn ZUKIuS
Theater, Kunst und Literatur.
(Burgtheater.) Drei Einaeter von Arthur
Schnitzler.
G
„Paracelsus“ spielt in Basel zu Beginn des
16. Jahrhunderts. Warum gerade damals — ist unergründlich.
Denn Theophrastus Bombastus Paracelsus tritt uns im Stücke
nicht als eine aus seiner Zeit zu erklärende Persönlichkeit ent¬
gegen. Ueberhaupt wird er nur sehr mangelhaft individualisiert.
Er ist bloß Typus — nein, nicht einmal das, der Dichter will
ihn nur als solchen, und zwar als den Typus des genialen
Menschen, im Gegensatze zu dem Dutzendmenschen, der durch
Cyprian mit seiner hausbackenen Liebe, seiner protzenhaften
Selbstsicherheit und seiner empörten Eifersucht sehr gut
repräsentiert wird. Aber in Wirklichkeit ist Paralelsus dieser
Typus nicht, er ist vielmehr der gleichgiltige Leiermann, der
die Kurbel des Stückes dreht. Diese Kurbel aber ist die
Hypnose. Schnitzler hat die Hypnose schon einmal verwendet
in seinem „Anatol“. Dort aber mit viel mehr Glück.
Dort wusste er im rechten Augenblicke auf sie zu verzichten,
um uns gerade durch diesen Verzicht einen tiefen Blick in die
Menschenseele thun zu lassen. Hier aber ist ihm die Hypnose
eben nur Kurbel. Der Leiermann dreht sie, um uns zu zeigen,
wie eine sehr brave Ehefrau vormals mit Gedanken an einen
anderen in die Ehe getreten ist und jetzt wiederum nahe
darau war, mit einem zweiten anderen ein Opfer ihrer Sinne
zu werden. Das Problem, das ich das der „halbtreuen
Ehefrau“ (im analogen Sinne wie „Demi-Vierge“) nennen
möchte, ist ja sehr interessant. Aber es ist eben im „Paracelsus“
nicht dramatisch gelöst, sondern spielt sich sehr glatt von den
Einlagewalzen des Werkels ab.
Hoch über „Paracelsus“ steht „Die Gefährtin“. Aller¬
dings entbehrt auch dieses Stück, insoferne, als es wenig
Handlung aufweist, des dramatischen Lebens. Aber es gehört
eben zu jenen modernen Stücken, die es mit den Seelen¬
vorgängen fein civilisierter Menschen zu thun haben — mit
Seelenvorgängen, für die Handlungen eine zu derbe, Züge ver¬
wischende Versinnlichung sind, die vielmehr nur in Worten und
Wortlosigkeiten ihren dramatischen Ausdruck finden können. Sieht
man die Sache so an, so ist „Die Gefährtin“ eine Leistung
ersten Ranges. Das Stück behandelt des Eheproblem, iuner¬
halb desselben besonders aber die große Frage: Darf im
Herzen des nach Geist und Gemüth höchstentwickelten
modernen Menschen noch Platz für die Ehrsurcht sein? Professor
Robert Pilgram beantwortet diese Frage verneinend. Er ist
eben vom Leichenbegängnisse seiner um vieles jüngeren Frau
zurückgekommen. Er weiß, dass sie ihn betrog, mit einem
seiner Schüler betrog. Er versteht sie, er versteht ihn. Und
dann, sie war ihm ja auch eine „Gefährtin“ geworden. Schmerz
fühlt er keinen. Erst, wie er jetzt erfährt, dass das ehe¬
Drecherische Verhältnis auf beiden Seiten nicht Liebe, sondern¬
ein loses, kurzfristiges Liebeln gewesen, ergreift ihn tiefes Leid
um sein verfehltes Leben, das er nicht anders hatte ein¬
richten wollen, um das vermeintliche Liebesglück der Beiden
nicht zu stören.
Von den
ersten zwei Stücken sticht das letzte, „Der
grüne Kakadu“ vollständig ab: Eine Massenscene mit
kräftigen, dramatischem Puls, aber doch dramatisch unzulänglich,
weil aus dem kaleidoskopartigen Geschwirre Massen= und
Einzelschicksal nur theatralisch, nicht lebendig hervortritt. Es
ist der 14. Juli 1789. In der Pariser Spelunke „Der
grüne Kakadu“ sehen wir Schauspieler, die Verbrechertypen
spielen und Adelsleute, die sich an den gespielten Verbrechen
ergötzen. Dazwischen hinein ragt die große, starke Leidenschaft
des männlichen Stars der Truppe, Henri, zu seiner Gattin,
der leichtfertigen Schauspielerin Leocardie. Diese Leidenschaft
führt den Heißblütigen, kurz, nachdem er den Mord aus
Eifersucht gespielt, zum wirklichen Morde an dem Galan seiner
Frau, einem Herzog. Vor aller Augen geschieht die That.
Mit ihr und den unmittelbar darauf erfolgenden Hereinströmen
9.4. Der gruehe Kakaqn ZUKIuS
Theater, Kunst und Literatur.
(Burgtheater.) Drei Einaeter von Arthur
Schnitzler.
G
„Paracelsus“ spielt in Basel zu Beginn des
16. Jahrhunderts. Warum gerade damals — ist unergründlich.
Denn Theophrastus Bombastus Paracelsus tritt uns im Stücke
nicht als eine aus seiner Zeit zu erklärende Persönlichkeit ent¬
gegen. Ueberhaupt wird er nur sehr mangelhaft individualisiert.
Er ist bloß Typus — nein, nicht einmal das, der Dichter will
ihn nur als solchen, und zwar als den Typus des genialen
Menschen, im Gegensatze zu dem Dutzendmenschen, der durch
Cyprian mit seiner hausbackenen Liebe, seiner protzenhaften
Selbstsicherheit und seiner empörten Eifersucht sehr gut
repräsentiert wird. Aber in Wirklichkeit ist Paralelsus dieser
Typus nicht, er ist vielmehr der gleichgiltige Leiermann, der
die Kurbel des Stückes dreht. Diese Kurbel aber ist die
Hypnose. Schnitzler hat die Hypnose schon einmal verwendet
in seinem „Anatol“. Dort aber mit viel mehr Glück.
Dort wusste er im rechten Augenblicke auf sie zu verzichten,
um uns gerade durch diesen Verzicht einen tiefen Blick in die
Menschenseele thun zu lassen. Hier aber ist ihm die Hypnose
eben nur Kurbel. Der Leiermann dreht sie, um uns zu zeigen,
wie eine sehr brave Ehefrau vormals mit Gedanken an einen
anderen in die Ehe getreten ist und jetzt wiederum nahe
darau war, mit einem zweiten anderen ein Opfer ihrer Sinne
zu werden. Das Problem, das ich das der „halbtreuen
Ehefrau“ (im analogen Sinne wie „Demi-Vierge“) nennen
möchte, ist ja sehr interessant. Aber es ist eben im „Paracelsus“
nicht dramatisch gelöst, sondern spielt sich sehr glatt von den
Einlagewalzen des Werkels ab.
Hoch über „Paracelsus“ steht „Die Gefährtin“. Aller¬
dings entbehrt auch dieses Stück, insoferne, als es wenig
Handlung aufweist, des dramatischen Lebens. Aber es gehört
eben zu jenen modernen Stücken, die es mit den Seelen¬
vorgängen fein civilisierter Menschen zu thun haben — mit
Seelenvorgängen, für die Handlungen eine zu derbe, Züge ver¬
wischende Versinnlichung sind, die vielmehr nur in Worten und
Wortlosigkeiten ihren dramatischen Ausdruck finden können. Sieht
man die Sache so an, so ist „Die Gefährtin“ eine Leistung
ersten Ranges. Das Stück behandelt des Eheproblem, iuner¬
halb desselben besonders aber die große Frage: Darf im
Herzen des nach Geist und Gemüth höchstentwickelten
modernen Menschen noch Platz für die Ehrsurcht sein? Professor
Robert Pilgram beantwortet diese Frage verneinend. Er ist
eben vom Leichenbegängnisse seiner um vieles jüngeren Frau
zurückgekommen. Er weiß, dass sie ihn betrog, mit einem
seiner Schüler betrog. Er versteht sie, er versteht ihn. Und
dann, sie war ihm ja auch eine „Gefährtin“ geworden. Schmerz
fühlt er keinen. Erst, wie er jetzt erfährt, dass das ehe¬
Drecherische Verhältnis auf beiden Seiten nicht Liebe, sondern¬
ein loses, kurzfristiges Liebeln gewesen, ergreift ihn tiefes Leid
um sein verfehltes Leben, das er nicht anders hatte ein¬
richten wollen, um das vermeintliche Liebesglück der Beiden
nicht zu stören.
Von den
ersten zwei Stücken sticht das letzte, „Der
grüne Kakadu“ vollständig ab: Eine Massenscene mit
kräftigen, dramatischem Puls, aber doch dramatisch unzulänglich,
weil aus dem kaleidoskopartigen Geschwirre Massen= und
Einzelschicksal nur theatralisch, nicht lebendig hervortritt. Es
ist der 14. Juli 1789. In der Pariser Spelunke „Der
grüne Kakadu“ sehen wir Schauspieler, die Verbrechertypen
spielen und Adelsleute, die sich an den gespielten Verbrechen
ergötzen. Dazwischen hinein ragt die große, starke Leidenschaft
des männlichen Stars der Truppe, Henri, zu seiner Gattin,
der leichtfertigen Schauspielerin Leocardie. Diese Leidenschaft
führt den Heißblütigen, kurz, nachdem er den Mord aus
Eifersucht gespielt, zum wirklichen Morde an dem Galan seiner
Frau, einem Herzog. Vor aller Augen geschieht die That.
Mit ihr und den unmittelbar darauf erfolgenden Hereinströmen