verbreitet sich nachgerade doch selbst unter den An¬
wohnern der Schumannstraße. Und da die Bühnen¬
leitung aus mehrjähriger Erfahrung weiß, daß diese
Kunde nur zu bald durch eine wachsende Theaterscheu
bestätigt werden wird, so richtet sie sich ergebungsvoll
auf das Ende der Spielzeit ein. Am Sonnabend
hat sie die letzten Neuheiten, drei Einakter von
Arthur Schnitzler, herausgebracht. Der Erfolg
war so, wie ihn eine Leitung nach monatelanger Arbeit
zum guten Abschluß sich wünschen darf. Von allen
Berliner Theatern hat nur das „Deutsche" Erfolge
aufzuweisen, die nicht allein für die Kasse, sondern auch
einigermaßen für Literatur und Kunst bedeutsam waren.
Mit Hauptmanns „Fuhrmann Henschel“ erhielten wir
ein Musterwerk naturalistischer Kleinkunst, in ähnlichem
Sinne war Hirschfelds „Pauline“ beachtenswerth, Mar
Dreyers „Haus“ erfreute durch die Verschmelzung
frischer Realistik mit einer anziehenden ethischen Tendenz.
Enge Grenzen sind es allerdings, die das Literatur¬
gebiet des „Deutschen Theaters“, seine Leistungen und
Wirkungen umspannen. Manches Echte, abernichts Großes.
Das einzige Werk, das über den Alltag hinausstrebte,
Sudermanns „Drei Reiherfedern“, war ein ohnmächtiger
Versuch, mit Ikarusflügeln die Sonnenhöhen der Poesie
zu gewinnen. Sudermann möchte uns faustisch kommen,
zugleich aber den großen Theatererfolg der „Saison“
einheimsen. Von dem in ieren Widerspruch, in den er
damit geräth, scheint er kaum etwas zu ahnen. Daß
er ihn nicht begreift, das ist sein Verhängniß. Mit all
seinem Wollen wird er infolge dessen nur in die Reihe
der Theatraliker Kotzebue, Raupach, Halm und Laube
einzureihen sein... In der Theaterei aber bleibt auch
Arthur Schnitzler stecken. Sein Schaffen ist fast
ausschließlich auf die Augenblickswirkung, den Effekt
gerichtet; würde er die Ideen und Stimmungen,
die ihn erfüllen, ausreifen lassen, statt sie in flüchtiger
Zustutzung für den „Saifonbedarf“ zu verwerthen, so.
hätten wir einen Theaterliebling weniger, aber einen
bedeutenden Künstler mehr. Seine drei Einakter sind
ein echtes und rechtes Nachgericht zur „Saison“. Es
giebt da allerlei zu naschen, an Witz, Laune, Geist,
Gefühl, aber es bleibt Alles in innerem Gehalt und
äußerer Fülle auf das Maß beschränkt, wie es einem
Durchschnittspublikum als theatralische Abendkost zu¬
träglich und angenehm ist. Jedes der kleinen Dramen
gründet sich auf eine niedliche oder auch geistreiche Idee,
die Erfindung ist nicht ohne Eigenart, die Ausführung
in Einzelheiten fesselnd, wenn auch im Ganzen zu
mager und oberslächlich. Der Theatraliker aber hat in
allen drei durchaus die Oberhand, während der Künstler,
der nicht von der Wirkung ausgeht, sondern in seinen
Werken sich möglichst reich und entschieden auszuleben
sucht, nur hier und da zur Geltung kommt. Die
Probleme sind durchweg erkünstelt und konstruirt, auf
Ueberraschung und Erstaunen berechnet, statt auf ein
inncres Lebensinteresse auszugehen; ebenso läuft die
Gestaltung des Stoffs vorwiegend auf Blendung und
Spielerei hinaus, um Wohrheil und Tiefe ist es schwach
bestellt. Der erste der Einakter, der sich „Die Ge¬
fährtin“ nennt, könnte in altem Titelstil heißen:
„Ueberraschung auf Ueberraschung — Oder: Er erbost
sich schließlich doch.
Professor Robert Pilgram
ist der Typus eines Modernen, eines Menschen,
der genährt mit dem Studium neuester Philosophen
und Ethiker, alle Dinge nimmt, wie sie sind, ohne
Zorn und Eifer, immer bemüht, der Losung nachzu¬
leben, die da lautet: Alles Verstehen heißt Alles Ver¬
zeihen. Vor einer Stunde hat er sein Weib begraben.
Sie ist jung gestorben, einem Herzschlag plötzlich er¬
legen. Die Bekannten, die sich zur Trauerfeier einge¬
funden, haben das Haus verlassen. Der Professor ist
allein mit einer Freundin, einer Frau, die ebenso
modern wie er. Sie bittet ihn, dem Schreibtisch der
Verstorbenen einige Briefe entnehmen zu dürfen,
die sie an die Frau Professor gerichtet haben
will; sie sollen keinem Fremden zu Gesicht kommen.
Robert Pilgram aber erwidert gelassen: Warum wollen
Sie mich täuschen, beste Freundin? Was in den Briefen
steht, soll mir verborgen bleiben. Aber Ihr Geheimniß
ist keins für mich, ich weiß Alles. Ich weiß, daß meine
Frau mich hinterging, schon seit Jahren, daß sie die
Geliebte meines Assistenten war. Ich habe das ruhig
hingenommen, denn was meine Frau, die zwanzig
Jahre jünger war, als ich, mir geben konnte, das hat
sie mir im ersten Jahr der Ehe gegeben.
Später hatte ich kein Recht mehr an sie, denn
sie konnte stets nur Geliebte sein, nie Ge¬
fährtin. — Während die Beiden sich noch über dies
Thema unterhalten, tritt der Assistent ein, der seit
Wochen auf einer Sommerfahrt abwesend war. Er
wohnern der Schumannstraße. Und da die Bühnen¬
leitung aus mehrjähriger Erfahrung weiß, daß diese
Kunde nur zu bald durch eine wachsende Theaterscheu
bestätigt werden wird, so richtet sie sich ergebungsvoll
auf das Ende der Spielzeit ein. Am Sonnabend
hat sie die letzten Neuheiten, drei Einakter von
Arthur Schnitzler, herausgebracht. Der Erfolg
war so, wie ihn eine Leitung nach monatelanger Arbeit
zum guten Abschluß sich wünschen darf. Von allen
Berliner Theatern hat nur das „Deutsche" Erfolge
aufzuweisen, die nicht allein für die Kasse, sondern auch
einigermaßen für Literatur und Kunst bedeutsam waren.
Mit Hauptmanns „Fuhrmann Henschel“ erhielten wir
ein Musterwerk naturalistischer Kleinkunst, in ähnlichem
Sinne war Hirschfelds „Pauline“ beachtenswerth, Mar
Dreyers „Haus“ erfreute durch die Verschmelzung
frischer Realistik mit einer anziehenden ethischen Tendenz.
Enge Grenzen sind es allerdings, die das Literatur¬
gebiet des „Deutschen Theaters“, seine Leistungen und
Wirkungen umspannen. Manches Echte, abernichts Großes.
Das einzige Werk, das über den Alltag hinausstrebte,
Sudermanns „Drei Reiherfedern“, war ein ohnmächtiger
Versuch, mit Ikarusflügeln die Sonnenhöhen der Poesie
zu gewinnen. Sudermann möchte uns faustisch kommen,
zugleich aber den großen Theatererfolg der „Saison“
einheimsen. Von dem in ieren Widerspruch, in den er
damit geräth, scheint er kaum etwas zu ahnen. Daß
er ihn nicht begreift, das ist sein Verhängniß. Mit all
seinem Wollen wird er infolge dessen nur in die Reihe
der Theatraliker Kotzebue, Raupach, Halm und Laube
einzureihen sein... In der Theaterei aber bleibt auch
Arthur Schnitzler stecken. Sein Schaffen ist fast
ausschließlich auf die Augenblickswirkung, den Effekt
gerichtet; würde er die Ideen und Stimmungen,
die ihn erfüllen, ausreifen lassen, statt sie in flüchtiger
Zustutzung für den „Saifonbedarf“ zu verwerthen, so.
hätten wir einen Theaterliebling weniger, aber einen
bedeutenden Künstler mehr. Seine drei Einakter sind
ein echtes und rechtes Nachgericht zur „Saison“. Es
giebt da allerlei zu naschen, an Witz, Laune, Geist,
Gefühl, aber es bleibt Alles in innerem Gehalt und
äußerer Fülle auf das Maß beschränkt, wie es einem
Durchschnittspublikum als theatralische Abendkost zu¬
träglich und angenehm ist. Jedes der kleinen Dramen
gründet sich auf eine niedliche oder auch geistreiche Idee,
die Erfindung ist nicht ohne Eigenart, die Ausführung
in Einzelheiten fesselnd, wenn auch im Ganzen zu
mager und oberslächlich. Der Theatraliker aber hat in
allen drei durchaus die Oberhand, während der Künstler,
der nicht von der Wirkung ausgeht, sondern in seinen
Werken sich möglichst reich und entschieden auszuleben
sucht, nur hier und da zur Geltung kommt. Die
Probleme sind durchweg erkünstelt und konstruirt, auf
Ueberraschung und Erstaunen berechnet, statt auf ein
inncres Lebensinteresse auszugehen; ebenso läuft die
Gestaltung des Stoffs vorwiegend auf Blendung und
Spielerei hinaus, um Wohrheil und Tiefe ist es schwach
bestellt. Der erste der Einakter, der sich „Die Ge¬
fährtin“ nennt, könnte in altem Titelstil heißen:
„Ueberraschung auf Ueberraschung — Oder: Er erbost
sich schließlich doch.
Professor Robert Pilgram
ist der Typus eines Modernen, eines Menschen,
der genährt mit dem Studium neuester Philosophen
und Ethiker, alle Dinge nimmt, wie sie sind, ohne
Zorn und Eifer, immer bemüht, der Losung nachzu¬
leben, die da lautet: Alles Verstehen heißt Alles Ver¬
zeihen. Vor einer Stunde hat er sein Weib begraben.
Sie ist jung gestorben, einem Herzschlag plötzlich er¬
legen. Die Bekannten, die sich zur Trauerfeier einge¬
funden, haben das Haus verlassen. Der Professor ist
allein mit einer Freundin, einer Frau, die ebenso
modern wie er. Sie bittet ihn, dem Schreibtisch der
Verstorbenen einige Briefe entnehmen zu dürfen,
die sie an die Frau Professor gerichtet haben
will; sie sollen keinem Fremden zu Gesicht kommen.
Robert Pilgram aber erwidert gelassen: Warum wollen
Sie mich täuschen, beste Freundin? Was in den Briefen
steht, soll mir verborgen bleiben. Aber Ihr Geheimniß
ist keins für mich, ich weiß Alles. Ich weiß, daß meine
Frau mich hinterging, schon seit Jahren, daß sie die
Geliebte meines Assistenten war. Ich habe das ruhig
hingenommen, denn was meine Frau, die zwanzig
Jahre jünger war, als ich, mir geben konnte, das hat
sie mir im ersten Jahr der Ehe gegeben.
Später hatte ich kein Recht mehr an sie, denn
sie konnte stets nur Geliebte sein, nie Ge¬
fährtin. — Während die Beiden sich noch über dies
Thema unterhalten, tritt der Assistent ein, der seit
Wochen auf einer Sommerfahrt abwesend war. Er