II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 623

angeschlagen werden, und doch geben sie nur einen vollen Accord.
„Breslauer Zeitung":
Theatralische Wirksamkeit und künstlerischer Werth verlieren sich im
„Grünen Kakadu“ in seltener Weise. Das stattlich gefüllte Haus
II.
spendete insbesondere dem „Grünen Kakadu“ stärksten Beifall.
Nachdem in der Matinée der Freien Litterarischen Vereinigung am
Sonntag bereits „Der grüne Kakadu“ von den Kräften der Ver¬
„Breslauer Morgen=Zeitung II.:
einigten Bühnen mit starkem Erfolge zur Darstellung gebracht war,
Der Buchausgabe seines Einakter=Cyklus (Berlin, S. Fischer) hat
wurden am Mittwoch Abend im Lohe=Theater vor dem „Grünen
Schnitzler als Kennwort einen „Paracelsus“=Vers vorausgesetzt: „Wir
Kakadu“ auch die beiden andern Schnitzler'schen Einakter „Para¬
spielen immer, wer es weiß ist klug“. Dieser Vers zusammen mit einigen
celsus" und „Die Gefährtin“ vorgeführt. Schnitzler hat davon
anderen ihn erläuternden Sätzen bietet die verbindende Idee für die
Abstand genommen, die drei für einen Abend bestimmten Einakter mit
nach äußerer und innerer Art so grundverschieden scheinenden kleinen
einem Sammeltitel zu versehen, wie etwa Sudermann in „Morituri“.
Dichtungen, von denen der „grüne Kakadu“ der schon neulich aus¬
Aber er hat die geistige Zusammengehörigkeit der drei Werke kurz und
führlich besprochen wurde, die virtuofeste und theatralisch wirksamste
treffend durch das Motiv gekennzeichnet, das er der Buchausgabe voran¬
„Paraclsus“ die im Gedankeninhalt reichste und die „Gefährtin“
stellte. Vielleicht auch hätte eine andere Stelle aus dem „Paracelsus“
die im Thema merkwürdigste Leistung des Wiener Poeten ist. Wie Wahn
die Idee aller drei Stücke noch klarer ausgedrückt: „Mehr als die
und Wirklichkeit sich unlösbar im Leben verketten — das zu demon¬
Wahrheit, die da war und sein wird, ist Wahn, der ist. . .“ Alle drei
strirende Problem also — zeigt am sinnfälligsten der in leichten, schmieg¬
Stücke sind Glossen zu demselben Thema: die ganze Welt, die Menschen
samen Versen gehaltene „Paracelsus“. Mit Hilfe des Hypnotismus
und Dinge um uns sind für uns nur das, was wir von ihnen wähnen.
rutblößt der berühmte Medicinmann der Reformationszeit die Seele
Schnitzler hat in den drei Stücken die drei Fälle entweder auf Grunk,
einer ehrenfest scheinenden Waffenschmiedsgattin. Der Held des zweiten
absichtlicher Berechnung und Konstruktion oder nur auf Grund dichterischel
Werkchens ist der Professor Pilgram, ein seltsamer Philosoph in Ehe¬
Inspiration gesondert behandelt, denen am ehesten sich Schein und Wahr¬
standsangelegenheiten. Die kleine Dichtung ist bei aller Kühnheit des
heit, Traum und Wirklichkeit verwischen. In der „Gefährtin“ handelt
Motivs mit außerordentlicher Feinheit der Form gestaltet Mit voll¬
es sich um eine Tragödie der Autosuggestion, um den Wahn, in dem
endetem Takte bewahrt Schnitzler seinen Helden vor dem Fluche der
ein Mann sich das Bild seiner treulosen Gattin bis zu ihrem Tode als
Lächerlichkeit und die Art, wie Pilgram wissend wird, zeugt wieder von
das einer Märtyrerin ihrer Liebe konstruirt. Im „Paracelsus“ wird
der ungewöhnlichen technischen Meisterschaft des Autors.
die ganz moderne Form der Suggestion in der Hypnose, um etwa vier
„Schlefische Zeitung“ I.:
Jahrhunderte zurückgeschraubt, in den Mittelpunkt der Handlung gestellt.
Nachdem in der sonntäglichen Vormittagsvorstellung, für deren Ver¬
Der berühmteste Charlatan Theophrastus Bombastus Paracelsus zeigt
anstaltung der freien litterarischen Vereinigung warmer Dank gebührt,
einem biedern, prahlsüchtigen, philiströs stolzen Baseler Waffenschmied,
das Schlußstück von Arthur Schnitzler's Einakter=Trilogie einen außer¬
auf wie schwachen Füßen sein Glauben an die Wirklichkeit eines felsen¬
gewöhnlich starken Eindruck auf das geladene Publikum erzielt hatte,
festen Glückes steht, er zeigt ihm, daß ein Traum oft mehr Wahrheit
hätte man für die erste öffentliche Vorführung der drei Einakter ein
enthält, als wir uns in Wahrheit träumen lassen. Im „Grünen
volles Haus erwarten dürfen. „Paracelsus“ dessen Verse leicht und
Kakadu“ sind es bereits eine Art Wahnvorstellungen fieberhaft erregter
anmuthig dahinfließen, würde als heiter=sinniges Scherzspiel bei ent¬
Geister, die die Grenzen zwischen Sein und Schein, zwischen Spiel und
sprechender Besetzung der Titelrolle gewiß auch in der Aufführung den
Leben verwischen. Die beiden anderen Einakter reichen an die dichterische
günstigen Eindruck machen, den er beim Lesen hinterläßt. Den großen
Bedeutung und dramatische Wirksamkeit des „Grünen Kakadu“ nicht
Treffer unter den drei Einaktern bildet eben das Schlußstück. Von seinem
heran, wenn sie auch ihre eigenen hohen Reize haben. In der „Ge¬
I Inhalt wie von seiner Wiedergabe durch unsere einheimischen Kräfte.
fährtin“ bewundern wir die feine intime Kunst, mit der uns die treu¬
die in allen drei Stücken unter Herrn Niedt's erprobter, trefflicher Leitung
lose Dahingeschiedene greifbar deutlich in ihrem seltsamen Liebeswesen
standen, ist schon in dem Berichte über die Vormittagsvorstellung er¬
vor die Augen gezaubert wird. Im „Paracelsus“ bewundern wir
zählt worden. „Der grüne Kakadu“ läßt sich ohne Schaden von
die elegante Gewandheit, mit der der Dichter mit Worten und Gedanken
den beiden vorangehenden Einaktern trennen und wird sie voraussicht¬
spielt: es erscheint fast selbstverständlich, daß der Dichter für diese Ge¬
lich um einige Zeit überleben. Außer dem Interesse, das der technisch
dankenspieierei die Versform gewählt hat, die Alles glitzernder, zierlicher
meisterhaften Behandlung eines reizvollen Stoffes anhaftel, verdient die
erscheinen läßt. Wenn trotz der Feinheit des Stückes und der im All¬
historische Groteske auch noch aus besonderem Grunde Beachtung. Nach¬
gemeinen stimmungsvollen Darstellung am Schlusse einige Leute glaubten
dem im Anfange der naturalistischen Bewegung die Darstellung der
zischen zu müssen, was übrigens nur den Beifall der großen Majorität
Gegenwart als lingiger Pereich für das neuere Trama gepriesen worden
verstärkte, so ist dem wohl kaum erhebliche Bedeutung beizumessenEs
war, sehen wir nun nach dem Vorgange von Hauptmann. Halbe,
giebt im Theater immer Leute, die klatschen, wenn etwas sehr Tugend¬
Sudermann auch den hochbegabten Dichter von „Freiwild“ und
haftes gesagt oder gethau wird, im umgekehrten Sinne aber ihre sittliche
„Liebelei“ sich an Dramatisirungen der geschichtlichen Vergangenheit
Entrüstung über moralische Defekte äußern. Offenbar verschnupste es
und Versspielen versuchen. Die Einseitigkeit, welcher unsere neuere
Einige, daß sich der Professor Pilgram mit so viel Seelengröße und
Dichtung kurze Zeit hindurch zu verfallen drohte, ist also, wie es vor¬
Seelenruhe in sein Schicksal fand; vermuthlich hatte man gehofft, daß
auszusehen war, bald überwunden worden. Auch aus der absurden
er mindestens einen todtschießen würde, im Nothfalle sich selbst. Aber
Gebärdung des naturalistischen Mostes entwickelt sich „zuletzt doch noch'n
so!
Wein“. Wenn aber in der Schilderung vergangener Zeiten die Farben
„Breslauer Morgen=Zeitung“ I.:
brennender aufgetragen werden als im alten historischen Jambendrama,
Von ganz anderer Art ist das Hauptstück der Matinée, „Der
wenn für erregende Fragen und Gegensätze unserer Tage in der Ver¬
grüne Kakadu“ Arthur Schnitzlers. Ein genialer Wurf, originell
gangenheit nach Vorbildern gesucht wird, so gereicht das historischen
im Gedanken, originell in der Ausführung, eine Schöpfung, die zu
Dichtungen wohl nicht zum Nachtheil. Im „Grünen Kakadu“ des
dem Besten gehört, was die Produktion des letzten Jahr¬
Wiener Dichters Schnitler, der um Tage des Bastillensturmes sich ab¬
zehnts der Literatur an dauernden Werthen geschenkt hat.
spielt, wird man eine Einwirkung des modernen Epos Robespierre der
Schnitzler ist hier der starke Poet, auf den die deutsche Bühne ihre
Wiener Dichterin Maria della Grazia, wohl der bedeutendsten epischen
Hoffnungen setzen darf, ein Könner, der neue Stoffe findet und sie trotz
Leistung unserer neueren Literatur, nicht verkennen, wie die dramatische
aller Sprödigkeit mit einer an Raffinement streifenden Meistertechnik be¬
Technik in Schnitzler's Groteske etwas an den ersten Akt von Rostands
zwingt. Merkwürdig genug erinnert der äußere Abschluß auch dieses
„Cyrano von Bergerac“ erinnern mag. Für die Frage der Hypnose,
Stückes an die Handlung des „Bajazzo“. Heuri, der Schauspieler, der
die in den letzten Jahren Wissenschaft und Publikum, Aerzte, Psychologen
die „Verbrecher aus Leidenschaft“ bei Papa Prosper, dem Wirth und
Juristen beschäftigt hat, findet sich in dem seltsamen Reformator der
Direktor der kleinen Thegterspelunke „Zum grünen Kakadu“, spielt,
Medicin des 16 Jahrhunderts ein Vertreter. Wie auch Wissen und
erdolcht den Liebhaber seiner Frau. den eleganten Herzog von Cadignan.
Glauben, die Formen des Lebens und Denkens wechseln mögen, auch
Wie sich aus diesem besonderen Milien ein tragischer Conflict erhebt,
wir Modernen, die es „so herrlich weit gebracht“ fühlen Erscheinungen
wie die Donner der nahenden Revolution in die Vorgänge hinein¬
wie der unerklärten und doch unleugbaren Macht der Hypnose gegen¬
grollen, wie aus nervenreizendem Spiel blutige Wahrheit und aus
über „geheimes Wirken — Der ewig waltenden Natur — Und aus
Schmiegt sich herauf lebend'ge Spur“,
geistreichem Scherz bitterer Ernst wird, das hat Schnitzler mit ganz
den untersten Bezirken
wundervoller Kunst geschildert. Ein grimmiger Humor, der vor dem
wie es die kühnen, aber phantastisch verworrenen ersten Vorläufer der
Letzten nicht zurückschreckt — freilich hatte die Polizei dem Löwen
Naturwissenschaft im 16. Jahrhundert übermächtig empfanden. Indem
Schnitzler die Krallen arg beschnitten — durchleuchtet mit fahlen Blitzen
Schnitzler, der selber Arzt und Dichter ist, nicht einen modernen Ge¬
das Stück. Tragikomische Gestalten, wie den sentimentalen Zuchthäusler,
I lehrten, sondern den alten naturkundigen Alchymisten, welcher in den
den Mörder seiner guten, lieben Tante, wie den eitlen Comodianten, der
Ueberlieferungen wie ein Genosse des Dr. Faustus selbst erscheint, ein
einem Collegen mit Mißgunst, einem Verbrecher aber, eben weil er kein
räthselhaftes modernes Heilmittel ausüben läßt, hebt den ganzen Vor¬
College ist, mit vollendeter Liebenswürdigkeit entgegenkommt, kann nur
gang in die poctische Sphäre des Märchens. Und was in diesen beiden
ein Meister schaffen. Die schwierigste Aufgabe, im Halbdunkel des
Stücken, aus vergangenen Jahrhunderten und aus der Gegenwart an
Verbrechertheaters die Grenzlinien zwischen Spiel und Wirklichkeit
I täuschendem Spiel uns in ernsten Bildern vorgeführt wird, das wird
nun im Schlußstück grotesk gesteigert. Schnitzter hat das Grundthema
so zu verwischen, daß selbst die Eingeweihten nicht mehr wissen,
woran sie sind, hat Schnitzler ebenfalls glänzend gelöst. Man
bis in's einzelne folgerichtig durchgeführt und dadurch in drei Stücken
mit einander verbunden; das letzte muß man als die eigenartigste und
sieht die Schnitzler'sche „Groteske“ ist ein gar complicirtes Ding
und trotzdem erscheint sie, auf ger Bühne gezeigt, wie die einfachste Sache
wirklich werthvolle Dichtung bezeichnen, die uns Gewähr giebt, daß der
von der Welt. Fast überreich ist die Zahl der scharfumrissenen Figuren
Dichter der „Liebelei“ und des „Freiwilds“ noch in einer für die
und doch lenken sie nicht einen Moment den Blick des Beschauers von
der Hauptsache ab. Kaum zu übersehen ist die Anzahl der Motive, die 1 deutsche Bühne erfreulichen Weiterentwickelung begriffen ist.