II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 654

10
um so größere Künstler sind wir. Auch die drei Einakter, die uns
gestern im Altonaer Stadttheater vorgeführt wurden, gehen von diesem
Grundgedanken aus. „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“, hat
Daracelfus.
ihnen der Dichter als Motto vorgesetzt, und Spiel und Wirklichkeit,
Wahrheit und Täuschung, Wachen und Traum gehen hier beständig in
einander über. Es ist kein Bruch mit Schnitzlers Vergangenheit,
Versspiel in einem Akt.
und es ist doch ein Fortschritt. Schnitzler hat sein Problem vertieft,
indem er ihm einen weiteren Hintergrund gab. Im „Paracalsus“
sind es die geheimsten unter der Schwelle des Bewußseins liegenden
Seelenregungen, die er zu bannen sucht, und im „grünen Kakadu“
schwingt er sich zu einem Massenaufgebot empor, um seinen sozialen
Die Gefährtin.
Empfindungen auf kulturgeschichtlicher Grundlage einen energischen
Ausdruck zu geben. Das dritte Stück endlich, „Die Gefährtin“
ist zwar in ihrem Stoffe — ich möchte sagen — „anatolisch“, es ist aber
Schauspiel in einem Akt.
deshalb interessant, weil es in seiner vollendeten Form, in seiner ge¬
schickten Stimmungsmalerei und in seiner psychologischen Feinheit die
reifste Frucht von Schnitzlers bisherigen Leistungen bedeutet. Der
Inhalt der drei Stücke ist hier schon früher angegeben worden. Es
war ein Verdienst unseres Stadttheaters, uns diese neueste Marke
Der grüne Kakadu.
Schnitzlers geboten zu haben. Denn wie man auch über Einzelheiten
urtheilen möge, insgesammt bedeutet diese Trilogie eine künstlerische
Leistung von ungewöhnlichem Werth. Das Publikum spendete allen
Groteske in einem Akt von Artbur Schnitzler.
drei Stücken lebhaften Beifall.
„Altonaer Nachrichten“:
Aufführung am Stadt=Theater zu Altona.
Der heutige erste Novitäten=Abend der Saison brachte uns eine
Einakter=Trilogie des beliebten Wiener Schriftstellers A. Schnitzler,
die mit steigender Wirkung vorzüglich inscenirt von Herrn Horvath zur
Die drei Einakter haben auch hier, wie überall bis¬
Darstellung kam. „Paracelsus“ ein Versspiel, machte den Anfang.
her einen großen unbestrittenen Erfolg errungen und folgen
Das zweite Stück „Die Gefährtin“ war interessant, das dritte aber
nachstehend die Besprechungen:
packend. Daß es solche Charaktere giebt, wie sie Schnitzler trefflich
gezeichnet hat, ist nicht zu leugnen, kraftlose Menschen, die Sklaven ihrer
„General=Anzeiger“:
Leidenschaften oder ihrer Schwächen sind Die Darstellung war eine
Das geistige Band in den drei Einaktern von Arthur Schnißler,
vorzügliche. Eine tiefe nachhaltige Wirkung übte der dritte Einakter,
die gestern Abend zum ersten Male im Altonaer Stadttheater aufge¬
„Der grüne Kakadu“. Es ist ein effektvolles Werk, wenn es auch
führt wurden, ist der Gedanke, daß das, was wir Sein und Wirklich¬
nie ein historisches sein wird, trotz des Tages, an dem es spielt. Aber
keit nennen, sehr problemischer Natur ist. Der Schein trügt — sagt
fesseln und ergreifen wird es Jeden, der es sieht, besonders wenn es
das Sprüchwort. Jede Erkenntniß ist im Grunde genommen ein Schein,
so vorzüglich dargestellt wird, wie es heute in unserem Stadttheater der
der nur so lange nicht als trügerisch empfunden wird, als er nicht einer
Fall war. Das Haus war ganz gut besucht.
besseren Erkenntniß Platz gemacht hat, die aber der ganzen Natur unseres
Erkenntnißvermögens nach wiederum nur ein Schein sein kann. Der
„Altonaer Tageblatt“.
Gedanke, daß menschliche Erkenntniß dem Irrthum unterworfen ist, ist
„Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“ dieses Motto hat
freilich so alt, wie die Welt, und es wäre kein besonderes Verdienst
Arthur Schnitzler der Buchausgabe seiner drei Einakter mit auf den
Schnitzlers ihn in ein Paar Einaktern ausgesprochen zu haben, wenn
Weg gegeben und mit Recht; denn Spiel und Wirklichkeit, Wahrheit
diese Einakter nicht selber dramatische Verdienste hätten und zwar recht
und Dichtung sind in den Stücken, über deren Aufnahme wir bereits
hervorragende. Arthur Schnitzler ist das begabteste Mitglied der jungen
berichtet haben, eng mit einander verknüpft. Ueber das Verslustspiel
Wiener Schriftstellerschule, die ihre Stärke in der seinen Zergliederung
„Paracelsus“ und das Schauspiel „Die Gefährtin“ läßt sich unseren
des Seelenlebens und in psychologischer Detailmalerei sucht. In dieser
gestrigen Ausführungen wenig hinzufügen. Die Darsteller gaben in
Kleinmalerei hat sich Schnitzler in einer Anzahl von kleinen Novellen¬
dem sich durch seine vollendete Form und psychologischen Feinheiten aus¬
kunstwerken und kleineren Dramen als Meister bewiesen. „Paracelsus“.
zeichnenden Stück glänzende Proben ihres bewährten Talents. — Das
Das außerordentlich bühnenwirksam gearbeitete Stück wurde durchaus
bedeutendste Werk ist unstreitig „Der grüne Kakadu“. Ausgezeichnet
lobenswerth dargestellt. „Die Gefährtin“ ist ein sehr feines Stück¬
hat Schnitzler es verstanden, hier Wahrheit und Dichtung zu ver¬
chen, das alle Vorzüge der Schnitzler'schen Muse ins hellste Licht stellt.
mischen. Die Mehrzahl der wirklichen und der auf der Bühne spielenden
Es zeigt, wie Gatten gemeinsam gebunden und doch durch unübersteig¬
Zuschauer kann nicht mehr unterscheiden. Die Darstellung wurde auch
liche Schranken getrennt sein können. — Mit Massenwirkungen versucht
diesem Stück in vollstem Maaße gerecht.
Schnitzler in der Groteske „Der grüne Kakadu“ zu operiren, dem
komplizirtesten und längsten Werke des Zyklus. Auch hier schafft der
„Hamburger Nachrichten“:
Poet ein Dämmerlicht zwischen Schein und Sein, zwischen Wahn und
Die Einakter=Trilogie, die gestern Abend im Altonaer Theater zur
Wirklichkeit, zwischen Komödie und Leben. — Unter dem Strom der
Aufführung gelangte, umfaßt Schöpfungen eigener Art und eigenen
Novitäten nehmen die Schnitzler'schen Stücke einen so hohen Rang ein
Reizes. Rühmt man der Arbeit des vielgenannten Wiener Autors
daß kein Litteraturfreund den Besuch der Vorstellungen versäumen sollte
hohen künstlerischen Werth nach, so geschieht es nichtsdestoweniger mit
gutem Recht und zwar wegen der frappirenden Gewandtheit, mit der
„Hamburg. Correspondenz“:
der Autor seine Ideen in so zusammenfassende markante Formen zu
Im Altonaer S# dttheater hat gestern Abend Arthur Schnitzler
kleiden weiß, daß der Leser des Buches wie der Zeuge der Aufführung
wit seinen drei Einaktern „Paracelsus“, „Die Gefährtin“ und
dadurch in hohem Grade gefesselt und zum Stannen gezwungen wird.
„Der grüne Kakadu“ einen vollen, unbestrittenen Erfolg erzielt
„Die Gefährtin“ — welch grandiose Zeichnung eines erschütternden
Jedes der drei Stücke ist hochinteressant und mit einer fast verblüffenden
Seelengemäldes von bewunderungswürdiger psychologischer Vertiefung,
Virtuosität auf den Bühneneffekt zugespitzt. Der rücksichtslose Realis¬
außerordentlicher Feinheit der Linien und gewaltiger Wirkung auf jedes
mus der Darstellung der Situation und das Schwelgen des Autors
empfindende Gemüth! „Paracelsus“ — welch' geistvolle Darlegung
in Stimmungsmacherei fesseln den Zuschauer außerordentlich, zumal
des Erkennens des Menschenlebens mit seinen Verkennungen, seinen
wenn das Stück so gut wie gestern Abend gespielt wird. Das eigent¬
Wünschen und seinem Entsagen, seinem Hangen und Bangen zwischen
liche Hauptstück des Abends war jedoch der groteske Einakter „Der
Verlangen und Pflicht! Und schließlich „Der grüne Kakadu“ —
grüne Kakadu“. Die Kunst des Autors besteht darin, die Grenze
welch' lebensprühendes tolles Bild dramatisch bewegten Lebens am Tage
zwischen Spiel und Wirklichkeit so zu verwischen, daß schließlich ein wirk¬
der Erstürmung der Bastille zu Paris! Mag man über den Gehalt der
licher Mord den Eindruck eines Theatercoups macht.
Stücke sagen, was immer man will, als ganzer Künstler offenbart er
sich hier, und als Bühnenstücke werden die drei Einakter stets von un¬
„Hamb. Neueste Nachrichten“:
gewöhnlicher Wirkung sein. Hier stehen Paracelsus“ und „Die
Mit drei Gaben beherrschte Arthur Schnitzler gestern Abend
Gefährtin“ so ziemlich auf der einen, „Der grüne Kakadu“ auf
unsere nachbarstädtische Bühne: mit einem Versspiel, einem Schauspiel
der andern Seite, und zwar ist bei dem letzteren Stück der hervorge¬
und einer „Groteske“. Herrn Otto's schaufpielerischer Kraft wurde das
rufene Effekt weitaus am stärksten. Es ist ein Stück von außerordent¬
Werkchen getreu. Das Beste kam zuletzt. Hat Schnitzler „Die Ge¬
licher Echtheit in Ton und Farbe, und darin besteht sein unzweifelhafter
fährtin“ durch seine feine Kunst und den Dialog wirken lassen wollen,
künstlerischer Werth. Dieses letztere Thema wird durch Schnitzler auch
so versuchte er es beim „grünen Kakadu“ mit raffinirten Effekten
in der „Gefährtin“ variirt. Es ist ein ergreifendes Seelengemälde,
ganz origineller und grotesker Art. Das Sensationsstück verräth eine
dem Schnitzler überaus feinsinnig Gestalt gegeben, weitaus gedanken¬
geschickte Mache, die sich besonders in der Beherrschung der Massen zeigt.
reicher noch aber ist der „Pargcelsus“. Die Regie aller drei Stücke
„Neue Hamburger Zeitung“
lag in den Händen des Herrn Horvath, und die Inseenirung war ihm
Schnitzler hat von den jüngeren Wienern vielleicht das meiste
gut gelungen. Das Haus war sehr gut besetzt; das Gros des
Talent. Das Leben ist ihm ein Spiel, und je virtuoser wir es spielen, 1 Publikums nahm die Stücke mit starkem Beifall auf; einige Wenige