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9.4. Der gruene Kakadu Zukius
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BBRLIN SO 16, RUNGBSTR. 22-24.
zeitung: Volksstimme
Adresse:
Frankfuri d. M.
Datum:
16 MAll
—hrenes Theäter.
Zu Arthur Schnitzlers 60. Geburtstag:
„Paracelsus“, „Die Gefährtin“, „Der grüne Kakadu“.
Unter der stänitungsvollen Spielleitung Robin Roberts
konnten wir ams Saizstag einen der anregendsten Abende am
Theater im Bahnhofsyiertel erleben. Mit dem Vorspiel von dem
„Wunderdoktor“ Paräcelsus begann die Feier. Das ganze Ge¬
heimnis des „Wunderdoktors“ ist die Hypnose. Schnitzler, der Arzt,
hat sich viel mit der Frage der Suggestion bis zur Willensaus¬
schaltung beim Medium befaßt — (Cora in „Anatol“)
und
dieses zweifelsohne interessante Problem zu bühnenwirksamen
Szenen gebildet. Das besinnliche Spiel von der „Gefährtin“ des
Mannes, der älter als seine Frau ist, und von dem Freunde des
Hauses der das dem Manne Heilige durch tändelndes Genießen
entweiht, ist voll bitterer Weisheiten über Ehen, in denen die
Menschen nicht den Mut zur Wahrheit aufbringen.
Höhepunkt des Abends war die Aufführung der Groteske
„Der grüne Kakadu“. Vorweg sei gesagt: In Spiel und
Bild war die Wiedergabe dieses grotesken Einakters mit das
Beste, was wir in den letzten Jahren am „Neuen Theater“ gesehen
haben. Die Dichtung spielt in Paris am Abend des 14. Juni 1789,
demTage der Erstürmung der Bastille, in der Spelunke des Wirtes
und ehemaligen Theaterdirektors Prospère. Der schlaue, ge¬
rissene Wirt hat seine Regiekunst in die Kneipe verlegt. Schau¬
spieler und Schauspielerinnen sitzen mitten unter den Gästen und
gebärden sich als Apachen, als Verbrecher, die sich mit erdichteten
Mordtaten, Diebstählen brüsten und dem als zahlende Gäste er¬
schienenen dekadenten, quillotinereifen Adel Frankreichs Gänse¬
haut=Gruseln verursachen. Prospère, der Wirt, ist der „grobe Gott¬
lieb“ aus der Berliner Mohrenstraße, der seinen Gästen alle er¬
denklichen Grobheiten ins Gesicht schleudert, während er ihnen den
Wein gegen gute Bezahlung kredenzt. Erster Held und Darsteller
in diesem Theater, Henri, liebt die Schauspielerin Léocadie. Er
erfindet eine Eifersuchtsszene zwischen ihm und dem Herzog von
Cadignan in deren Verlauf er den Herzog erstochen haben will.
Die Gäste halten die gespielte Szene für Wahrheit, die Illusion
für Wirklichkeit, da sie wissen, daß Henris Frau Léocadie leicht¬
lebig und zu ihren Freunden den Herzog zählt. Ihre Mienen ver¬
raten Henri den Treubruch seiner Geliebten. Da erscheint der
Herzog in der Kneipe. Henri ersticht ihn nun in Wirklichkeit.
Grasset, der Philosoph, stürmt herein, Volk mit toten Fahnen fol¬
gen ihm und Grasset verkündet den Sturz der Bastille. Die Frei¬
heit lebt.
In atemberaubendem Tempo, in glänzender Massenregie -
soweit sie die verhältnismäßig kleine Bühne des „Neuen Theaterg“
zuläßt — rast das groteske Spiel von Illusion und Wirklichkeit an
uns vorüber. Eine Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden
kann.
Von den Darstellern seien besonders hervorgehoben: Kurt
Gerdes als Henri, der die Szene der Ermordung des Herzogs
in schärfster Realistik zeichnete. Alois Großmann als raffi¬
nierter Wirt in einer vortrefflichen Maske, José Almas als der
einzig wirkliche, eben aus der Strafanstalt entlassene Verbrecher,
und Leontine Sagan als verführerische, verliebte Léocadie.
Ferner seien genannt: Fred Hennings (Herzog von Cadignan),
Peter Stanchina (Vicomte von Nogeant), Robert Grüning
(Marquis von Lansac), Anny Reitter (Séverine) und August¬
Weber (Grasset).
In „Paracelsus“ war Kurt Gerdes ein dämonischer
Wunderdoktor, August Weber ein derber Geradeaus von Waffen¬
schmied, Alice Rohde eine schöne Frau aus dem mittelalter¬
lichen Basel, Marion Heiden ein zartes Jüngferlein, Robert
Grüning ein konkurrenzneidiger Mediziner und Peter Stan¬
china ein verliebtes junkerliches Bürschchen.
Kurt Gerdes Anny Reitter und Paul Roland spielten
im Sinne der feinen, zarten psychologischen Studie „Die Ge¬
fährtin“ in zartem Moll.
Der Abend war die würdigste und schönste Geburtstagsfeier,
die dem Dichter Arthur Schnitzler hätte zuteil werden können.
Starker Beifall rief Darsteller und Regisseur oftmals vor den Vor¬
.
hang. Gedankt sei auch Loe Dahl für die schönen Bühnenbilde=,
besonders für die vorbildliche Inszenierung des „Grünen Kakadu“.
Max Eck=Troll.
9.4. Der gruene Kakadu Zukius
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BBRLIN SO 16, RUNGBSTR. 22-24.
zeitung: Volksstimme
Adresse:
Frankfuri d. M.
Datum:
16 MAll
—hrenes Theäter.
Zu Arthur Schnitzlers 60. Geburtstag:
„Paracelsus“, „Die Gefährtin“, „Der grüne Kakadu“.
Unter der stänitungsvollen Spielleitung Robin Roberts
konnten wir ams Saizstag einen der anregendsten Abende am
Theater im Bahnhofsyiertel erleben. Mit dem Vorspiel von dem
„Wunderdoktor“ Paräcelsus begann die Feier. Das ganze Ge¬
heimnis des „Wunderdoktors“ ist die Hypnose. Schnitzler, der Arzt,
hat sich viel mit der Frage der Suggestion bis zur Willensaus¬
schaltung beim Medium befaßt — (Cora in „Anatol“)
und
dieses zweifelsohne interessante Problem zu bühnenwirksamen
Szenen gebildet. Das besinnliche Spiel von der „Gefährtin“ des
Mannes, der älter als seine Frau ist, und von dem Freunde des
Hauses der das dem Manne Heilige durch tändelndes Genießen
entweiht, ist voll bitterer Weisheiten über Ehen, in denen die
Menschen nicht den Mut zur Wahrheit aufbringen.
Höhepunkt des Abends war die Aufführung der Groteske
„Der grüne Kakadu“. Vorweg sei gesagt: In Spiel und
Bild war die Wiedergabe dieses grotesken Einakters mit das
Beste, was wir in den letzten Jahren am „Neuen Theater“ gesehen
haben. Die Dichtung spielt in Paris am Abend des 14. Juni 1789,
demTage der Erstürmung der Bastille, in der Spelunke des Wirtes
und ehemaligen Theaterdirektors Prospère. Der schlaue, ge¬
rissene Wirt hat seine Regiekunst in die Kneipe verlegt. Schau¬
spieler und Schauspielerinnen sitzen mitten unter den Gästen und
gebärden sich als Apachen, als Verbrecher, die sich mit erdichteten
Mordtaten, Diebstählen brüsten und dem als zahlende Gäste er¬
schienenen dekadenten, quillotinereifen Adel Frankreichs Gänse¬
haut=Gruseln verursachen. Prospère, der Wirt, ist der „grobe Gott¬
lieb“ aus der Berliner Mohrenstraße, der seinen Gästen alle er¬
denklichen Grobheiten ins Gesicht schleudert, während er ihnen den
Wein gegen gute Bezahlung kredenzt. Erster Held und Darsteller
in diesem Theater, Henri, liebt die Schauspielerin Léocadie. Er
erfindet eine Eifersuchtsszene zwischen ihm und dem Herzog von
Cadignan in deren Verlauf er den Herzog erstochen haben will.
Die Gäste halten die gespielte Szene für Wahrheit, die Illusion
für Wirklichkeit, da sie wissen, daß Henris Frau Léocadie leicht¬
lebig und zu ihren Freunden den Herzog zählt. Ihre Mienen ver¬
raten Henri den Treubruch seiner Geliebten. Da erscheint der
Herzog in der Kneipe. Henri ersticht ihn nun in Wirklichkeit.
Grasset, der Philosoph, stürmt herein, Volk mit toten Fahnen fol¬
gen ihm und Grasset verkündet den Sturz der Bastille. Die Frei¬
heit lebt.
In atemberaubendem Tempo, in glänzender Massenregie -
soweit sie die verhältnismäßig kleine Bühne des „Neuen Theaterg“
zuläßt — rast das groteske Spiel von Illusion und Wirklichkeit an
uns vorüber. Eine Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden
kann.
Von den Darstellern seien besonders hervorgehoben: Kurt
Gerdes als Henri, der die Szene der Ermordung des Herzogs
in schärfster Realistik zeichnete. Alois Großmann als raffi¬
nierter Wirt in einer vortrefflichen Maske, José Almas als der
einzig wirkliche, eben aus der Strafanstalt entlassene Verbrecher,
und Leontine Sagan als verführerische, verliebte Léocadie.
Ferner seien genannt: Fred Hennings (Herzog von Cadignan),
Peter Stanchina (Vicomte von Nogeant), Robert Grüning
(Marquis von Lansac), Anny Reitter (Séverine) und August¬
Weber (Grasset).
In „Paracelsus“ war Kurt Gerdes ein dämonischer
Wunderdoktor, August Weber ein derber Geradeaus von Waffen¬
schmied, Alice Rohde eine schöne Frau aus dem mittelalter¬
lichen Basel, Marion Heiden ein zartes Jüngferlein, Robert
Grüning ein konkurrenzneidiger Mediziner und Peter Stan¬
china ein verliebtes junkerliches Bürschchen.
Kurt Gerdes Anny Reitter und Paul Roland spielten
im Sinne der feinen, zarten psychologischen Studie „Die Ge¬
fährtin“ in zartem Moll.
Der Abend war die würdigste und schönste Geburtstagsfeier,
die dem Dichter Arthur Schnitzler hätte zuteil werden können.
Starker Beifall rief Darsteller und Regisseur oftmals vor den Vor¬
.
hang. Gedankt sei auch Loe Dahl für die schönen Bühnenbilde=,
besonders für die vorbildliche Inszenierung des „Grünen Kakadu“.
Max Eck=Troll.