aracelsus
9. 1. K. Gn nnen.
box 14/6
Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
Ausschnitt
„OBSERVER“
Nr. 14
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelö“
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
hss ne Muur
vom 6/ 710
M
X.Das Deutsche Theater hat mit „Hans“ und dem
„Probekandidater“ so günstige Erfahrungen gemacht, daß es
die anderen Werte Max Dreyers heranruft, um sie an dem
Glücke ihrer Geschwister theilnehmen zu lassen. Das längst nicht
mehr neue Drama „Winterschlaf“ das heute auf dieser Bühne
zum ersten Male gegeben wurde, verdient es, aufgefrischt und durch
das Ensemble des Deutschen Theaters innerlich neu belebt
zu werden. Es gehört zu den seiner gestimmten Arbeiten des
herzhaften Dramatikers Dreyer und ist originell und wahr¬
haft in der Darstellung eines Milieus, das die Ueber¬
lieferung uns nur von der anheimelnden Seite zeigt, während
es in seiner Enge und Beschränktheit auch schwul und be¬
ängstigend wirken kann. Der aus dem Herzen des modernen
Menschen emporsteigende Gedanke, das Milien der viel¬
gepriesenen Waldidylle in ein neues scharfes Licht
zu rücken und in die Gebundenheit einer Frauen¬
existenz hineinzuleuchten,
die sich aus dem Winter¬
schlaf der Traulichkeit
das rege arbeitskräftige
Leben der Großstadt hinaussehnt, drückt dem Stücke ein
interessantes Gepräge auf. In der Art, wie sich die Richtun¬
gen personifiziren und um ein liebebedürftiges Frauenherz
kämpfen, bewährt sich die gestaltende Kraft des Dramatikers.
Für 5] Die Katastrophe: der Selbstmord des Mädchens, das von ###e
Scham und Schmerz in den Tod getrieben wird, weil
es sich durch eine brutale Thaisache dem Ideal ent¬
600
fremdete, wirkt freilig) nicht völlig überzeugend. Die
laus.
beiden (in der Art ihres Zusammenhangs
an Hebbels
„ 100
„Maria Magdalena“ erinnernden) Gewaltsamkeiten, die nur
durch wenige Stunden von einander getrennt sind, wollen trotz
es den
Abonn aller feinen Dialektik und alles Stimmungszaubers, den
Abonn
Dreyer aufbietet, innerlich nicht recht zu einander stimmen.
Die Menge der Motive hebt hier die Unerklärlichkeit nicht auf,
wie ja gewöhnlich auch die Krankheiten, für die man ver¬
schiedene Gründe anführt, die unergründlichen sind. Aber wenn
das Gefühl auch nicht bis zur äußersten Konsequenz des
Stückes mitgeht, so fühlt es sich doch durch den dargestellten Zwie¬
spalt auf das Lebhafteste angeregt und das Deutsche Theater
bewährte wieder einmal die Kunst, alle Vorzüge des Kolorits
zur Geltung zu bringen. Die Regie Lessing hatte für einen
günstigen Rahmen der Darstellung und für die feine Abtönung
der Reden gesorgt, Hr. Nissen brachte als Förster den
echten Ton der Treuherzigkeit und des Humors, der aus dem
Gemüthe kommt, Hr. Rittner charakterisirte treffend die
trotzig dumpfe Leidenschaftlichkeit des beschränkten Menschen, Frl.
Sarrow mischte in der weiblichen Hauptrolle wohl zu früh
die Herbheit in's Spiel, fand aber zuletzt einen so über¬
zeugenden Ausdruck für die seelische Verwirrung, daß sogar
der jähen Katastrophe die Momentwirkung nicht versagt blieb.
Herr Sauer war ein moderner Idealist von gewinnender
Freiheit des Wesens und entschiedener Liebens¬
würdigkeit; etwas zu viel von der letzterwähnten
Eigenschaft hatte Fr. v. Poellnitz in der Rolle der bös¬
artigen und lüsternen Tante; das Tiefgemeine, das Dreyer
hier als Farbenstrich in seinem Bilde anbrachte, ist ihr nicht
gegeben; aber sollen wir wegen dieses schönen Fehlers mit
ihr rechten? Die starken Züge des Stückes, namentlich die
humoristischen entschieden, für den günstigen Erfolg;
nach dem zweiten Akte rief der aub ltende Applaus den
Autor aus dem Zuschauerraum an die Rampen. Einmal
gab es auch Händeklatschen ##ioffener Szene; die Dialog¬
stelle „Ich bin Schriftsteller“ — Sind die Kerls jetzt ver¬
boten?“
wurde mit lautem, heiterem Beifall ausgenommen.
Zur Ausfüllung des Abends (war eine solche
nöthig?) wurde in ziemlich später Stunde das geistreiche
kleine Lustspiel „Paracelsus“ von Schnitzlen= ein im Style
der deutschen Renaissance eingerichter Salonscherz — ge¬
gegeben. Herr Reicher, der als Paracelsus neu war,
spielte die geistige Ueberlegenheit ins Magische hinüber; aber
auch Frl. Dumont als Vertreterin der verschleierten und
entschleierten Neigung verstand in ihrer Art zu zauhern. A. K
E
9. 1. K. Gn nnen.
box 14/6
Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
Ausschnitt
„OBSERVER“
Nr. 14
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelö“
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
hss ne Muur
vom 6/ 710
M
X.Das Deutsche Theater hat mit „Hans“ und dem
„Probekandidater“ so günstige Erfahrungen gemacht, daß es
die anderen Werte Max Dreyers heranruft, um sie an dem
Glücke ihrer Geschwister theilnehmen zu lassen. Das längst nicht
mehr neue Drama „Winterschlaf“ das heute auf dieser Bühne
zum ersten Male gegeben wurde, verdient es, aufgefrischt und durch
das Ensemble des Deutschen Theaters innerlich neu belebt
zu werden. Es gehört zu den seiner gestimmten Arbeiten des
herzhaften Dramatikers Dreyer und ist originell und wahr¬
haft in der Darstellung eines Milieus, das die Ueber¬
lieferung uns nur von der anheimelnden Seite zeigt, während
es in seiner Enge und Beschränktheit auch schwul und be¬
ängstigend wirken kann. Der aus dem Herzen des modernen
Menschen emporsteigende Gedanke, das Milien der viel¬
gepriesenen Waldidylle in ein neues scharfes Licht
zu rücken und in die Gebundenheit einer Frauen¬
existenz hineinzuleuchten,
die sich aus dem Winter¬
schlaf der Traulichkeit
das rege arbeitskräftige
Leben der Großstadt hinaussehnt, drückt dem Stücke ein
interessantes Gepräge auf. In der Art, wie sich die Richtun¬
gen personifiziren und um ein liebebedürftiges Frauenherz
kämpfen, bewährt sich die gestaltende Kraft des Dramatikers.
Für 5] Die Katastrophe: der Selbstmord des Mädchens, das von ###e
Scham und Schmerz in den Tod getrieben wird, weil
es sich durch eine brutale Thaisache dem Ideal ent¬
600
fremdete, wirkt freilig) nicht völlig überzeugend. Die
laus.
beiden (in der Art ihres Zusammenhangs
an Hebbels
„ 100
„Maria Magdalena“ erinnernden) Gewaltsamkeiten, die nur
durch wenige Stunden von einander getrennt sind, wollen trotz
es den
Abonn aller feinen Dialektik und alles Stimmungszaubers, den
Abonn
Dreyer aufbietet, innerlich nicht recht zu einander stimmen.
Die Menge der Motive hebt hier die Unerklärlichkeit nicht auf,
wie ja gewöhnlich auch die Krankheiten, für die man ver¬
schiedene Gründe anführt, die unergründlichen sind. Aber wenn
das Gefühl auch nicht bis zur äußersten Konsequenz des
Stückes mitgeht, so fühlt es sich doch durch den dargestellten Zwie¬
spalt auf das Lebhafteste angeregt und das Deutsche Theater
bewährte wieder einmal die Kunst, alle Vorzüge des Kolorits
zur Geltung zu bringen. Die Regie Lessing hatte für einen
günstigen Rahmen der Darstellung und für die feine Abtönung
der Reden gesorgt, Hr. Nissen brachte als Förster den
echten Ton der Treuherzigkeit und des Humors, der aus dem
Gemüthe kommt, Hr. Rittner charakterisirte treffend die
trotzig dumpfe Leidenschaftlichkeit des beschränkten Menschen, Frl.
Sarrow mischte in der weiblichen Hauptrolle wohl zu früh
die Herbheit in's Spiel, fand aber zuletzt einen so über¬
zeugenden Ausdruck für die seelische Verwirrung, daß sogar
der jähen Katastrophe die Momentwirkung nicht versagt blieb.
Herr Sauer war ein moderner Idealist von gewinnender
Freiheit des Wesens und entschiedener Liebens¬
würdigkeit; etwas zu viel von der letzterwähnten
Eigenschaft hatte Fr. v. Poellnitz in der Rolle der bös¬
artigen und lüsternen Tante; das Tiefgemeine, das Dreyer
hier als Farbenstrich in seinem Bilde anbrachte, ist ihr nicht
gegeben; aber sollen wir wegen dieses schönen Fehlers mit
ihr rechten? Die starken Züge des Stückes, namentlich die
humoristischen entschieden, für den günstigen Erfolg;
nach dem zweiten Akte rief der aub ltende Applaus den
Autor aus dem Zuschauerraum an die Rampen. Einmal
gab es auch Händeklatschen ##ioffener Szene; die Dialog¬
stelle „Ich bin Schriftsteller“ — Sind die Kerls jetzt ver¬
boten?“
wurde mit lautem, heiterem Beifall ausgenommen.
Zur Ausfüllung des Abends (war eine solche
nöthig?) wurde in ziemlich später Stunde das geistreiche
kleine Lustspiel „Paracelsus“ von Schnitzlen= ein im Style
der deutschen Renaissance eingerichter Salonscherz — ge¬
gegeben. Herr Reicher, der als Paracelsus neu war,
spielte die geistige Ueberlegenheit ins Magische hinüber; aber
auch Frl. Dumont als Vertreterin der verschleierten und
entschleierten Neigung verstand in ihrer Art zu zauhern. A. K
E