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Liebe
5. „lei box 10/3
Die Berliner Theatersaison 1895/96.
500
Behandlung der Prosa sehr verschieden. Hauptmann bemüht sich,
seine Bauern, Bürger, Ritter, Pfaffen von 1525 so sprechen zu
lassen, wie er denkt, daß sie damals in Wirklichkeit sprachen. Aus
urkundlichen Ueberresten der damaligen Zeit, aus den Volksmund¬
arten, die heute um Würzburg, Rotenburg, Schweinfurt gesprochen
werden, bildete Hauptmann einen Stil, dessen philologische Berech¬
tigung vielfach angefochten ist, der den Schauspielern Schwierigkeit
machte und dem Publikum hart ins Ohr fiel. Gewiß ist Hauptmann
als Laie vor Verstößen gegen Syntax und Formlehre nicht sicher
gewesen; so mancher Germanist könnte ihm das Konzept korrigiren.
Aber seine Sätze stehn wie in Erz gehauen da. Seine Worte sind
von Kraft voll. Aus der Derbheit des Tones dringen alle Re¬
gungen der menschlichen Brust hervor. Der Stil ist phrasenlos
und urwüchsig. Trotzdem hat man das Bemühn des Dichters, der
besondern Zeit auch sprachlich ein besondres Kleid zu geben, grund¬
sätzlich verworfen. Man meinte, mit demselben Recht könnte Wilden¬
bruch seinen Heinrich den Vierten, seinen Gregor den Siebenten,
seinen Hugo von Cluny mittelhochdeutsch, also für unser heutiges
Theaterpublikum unverständlich, reden lassen. Derlei Konsequenzen¬
zieherei ist pedantisch. Die deutsche Sprache des elften Jahrhunderts
ist für uns todt, die Sprache des sechzehnten ist, in unsrer eignen
entwickelt, lebendig geblieben. Der Niblunge Not müssen die
Studenten lesen lernen, wie Quartaner ihren Cornelius Nepos;
Luthers Bibel kann noch heute, wie ihr Gebetbuch, jedes alte
Mütterlein lesen. Zu beiden Entwicklungsstufen unsrer Sprache
steht unsre Zeit in einem andern Verhältniß. Was Hauptmann
versuchen durfte, wäre für Wildenbruch ein Ding der Unmöglichkeit
gewesen. Wohl aber hätte auch Wildenbruch seiner Sprache einen
Schein von Realität retten können. Eben die ältere dramatische
Kunst giebt ihm dafür glänzende Vorbilder, das glänzendste Goethes
„Egmont“. Wildenbruch hat seine Diktion durch Ueberschwang
deklamatorisch geschwellt. Seine Personen reden einander im „O
du, der du“=Stile an. Wie er sie sprechen läßt, so sprach zu keiner
Zeit ein Mensch. Wer den „Florian Geyer“ liest, dem nageln sich
unzählige, fest gefügte, gedrungne, wuchtige Worte ins Gedächtniß
ein. Wildenbruchs „König Heinrich“ dagegen hinterläßt im Gehör¬
gang ein unbestimmtes Rauschen und Sausen.
Aehnlich wie mit der Sprache steht es mit der Charakteristik
der Personen, die das Zeitbild geben sollen. Jedes historische
Drama wird sich den Maßstab der historischen Forschung müssen
sche
Grund
manns Himmel in Lei
Kerl war, ist vorläuf
Kerl war. Und da de
manns Auffassung häl
spricht, so war Haupt
fassung anzunehmen.
nicht den Dramatiker.
herausgefordert, daß,
manns Dichterruhm
Liebe
5. „lei box 10/3
Die Berliner Theatersaison 1895/96.
500
Behandlung der Prosa sehr verschieden. Hauptmann bemüht sich,
seine Bauern, Bürger, Ritter, Pfaffen von 1525 so sprechen zu
lassen, wie er denkt, daß sie damals in Wirklichkeit sprachen. Aus
urkundlichen Ueberresten der damaligen Zeit, aus den Volksmund¬
arten, die heute um Würzburg, Rotenburg, Schweinfurt gesprochen
werden, bildete Hauptmann einen Stil, dessen philologische Berech¬
tigung vielfach angefochten ist, der den Schauspielern Schwierigkeit
machte und dem Publikum hart ins Ohr fiel. Gewiß ist Hauptmann
als Laie vor Verstößen gegen Syntax und Formlehre nicht sicher
gewesen; so mancher Germanist könnte ihm das Konzept korrigiren.
Aber seine Sätze stehn wie in Erz gehauen da. Seine Worte sind
von Kraft voll. Aus der Derbheit des Tones dringen alle Re¬
gungen der menschlichen Brust hervor. Der Stil ist phrasenlos
und urwüchsig. Trotzdem hat man das Bemühn des Dichters, der
besondern Zeit auch sprachlich ein besondres Kleid zu geben, grund¬
sätzlich verworfen. Man meinte, mit demselben Recht könnte Wilden¬
bruch seinen Heinrich den Vierten, seinen Gregor den Siebenten,
seinen Hugo von Cluny mittelhochdeutsch, also für unser heutiges
Theaterpublikum unverständlich, reden lassen. Derlei Konsequenzen¬
zieherei ist pedantisch. Die deutsche Sprache des elften Jahrhunderts
ist für uns todt, die Sprache des sechzehnten ist, in unsrer eignen
entwickelt, lebendig geblieben. Der Niblunge Not müssen die
Studenten lesen lernen, wie Quartaner ihren Cornelius Nepos;
Luthers Bibel kann noch heute, wie ihr Gebetbuch, jedes alte
Mütterlein lesen. Zu beiden Entwicklungsstufen unsrer Sprache
steht unsre Zeit in einem andern Verhältniß. Was Hauptmann
versuchen durfte, wäre für Wildenbruch ein Ding der Unmöglichkeit
gewesen. Wohl aber hätte auch Wildenbruch seiner Sprache einen
Schein von Realität retten können. Eben die ältere dramatische
Kunst giebt ihm dafür glänzende Vorbilder, das glänzendste Goethes
„Egmont“. Wildenbruch hat seine Diktion durch Ueberschwang
deklamatorisch geschwellt. Seine Personen reden einander im „O
du, der du“=Stile an. Wie er sie sprechen läßt, so sprach zu keiner
Zeit ein Mensch. Wer den „Florian Geyer“ liest, dem nageln sich
unzählige, fest gefügte, gedrungne, wuchtige Worte ins Gedächtniß
ein. Wildenbruchs „König Heinrich“ dagegen hinterläßt im Gehör¬
gang ein unbestimmtes Rauschen und Sausen.
Aehnlich wie mit der Sprache steht es mit der Charakteristik
der Personen, die das Zeitbild geben sollen. Jedes historische
Drama wird sich den Maßstab der historischen Forschung müssen
sche
Grund
manns Himmel in Lei
Kerl war, ist vorläuf
Kerl war. Und da de
manns Auffassung häl
spricht, so war Haupt
fassung anzunehmen.
nicht den Dramatiker.
herausgefordert, daß,
manns Dichterruhm