Liebelei
3. box 11/1
der Wr
BERLIN N., Augüstsrr-e.
Telephon Amt III. No. 3051.
r
Ausschnitt
Teisgrunmn Sdreser
601DSCHMIDT. Auguststr. 87.
aus
Earmer Zeitung
4- JAN. 1902
Kunst, Wissenschaft und Leben.
Barmen, 4. Januar.
HM [Barmer Stadttheater.] Arthur Schnitzlers
Schauspiel „Liebelei“ — man muß es schon Tragödie, nicht
Schauspiel nennen — ging gestern Abend zum ersten Mal an
unserer Bühne in Scene. Es war eine der besten Vorstellungen
der Saison, sowohl in den Ensemble= wie in den Einzelleistungen,
sowohl in der stimmungsvollen Inscenirung wie in der feinen Ab¬
tönung der Scenenführung. Die Wirkung des Stückes gestaltete
sich daher tiefergreifend, sogar erschütternd. Die Ballade eines
Mädchenherzens ist sein Inhalt. Ein Mädchen liebt einen Knaben
so heißt es wohl in alten Liedern — sie haben ihn draußen in
der Welt erschossen; und so erstirbt süße Liebe in wilder Klage.
Dieser Ballade gibt Schnitzler nun das moderne Wiener Milieu,
das Mädchen ist das süße Wiener Madel, das doch bis in den
Tod lieben kann, der liebe Knabe ist ein flotter, etwas leichtsinniger
Junge, und der Schuß wird das dramatische Moment des Stückes: in
einem Duell fällt Fritz Lobheimer, aber nicht seines lieben Mädchens,
sondern einer Frau wegen, deren Gatte ihn vor die Pistole gefordert
hat. Und von dieser traurig=schrecklichen Geschichte erfährt Christine
nicht eher, als bis sie den Geliebten schon beerdigt haben — kein
Zeichen der Liebe hat er für sie hinterlassen, um einer Andern
willen ist er gestorben und sie war ihm nichts als eine Liebelei
für müßige Stunden. Da schreit der ganze Jammer ihres Herzens
auf, und aus den Armen ihres unglücklichen Vaters stürzt sie fort,
um nie wiederzukehren. Stimmung ist das Element dieses dichterischen
Werkes, und zwar Stimmung gemischt aus feinen und doch disso¬
nirenden Accorden. In die heitere Lebenslust des ersten Actes
klingt das düstere Motiv des Todes hinein, das für die weiteren
Scenen der mitschwingende Grundton bleibt und am Schluß grell
und schneidend hervortritt wie in einer alten schottischen Ballade.
Unser Ensemble vollbrachte die künstlerische That, diesen Stimmungen
in sicherster Weise gerecht zu werden. Frl. Robert bot als
Christine die vortrefflichste Leistung, die wir bisher von ihr gesehen,
und den Beweis eines starken Talentes. In geradezu vollendeter
Weise wußte sie das Stille, Weiche, Empfindsame des armen
Mädchens zu der leidenschaftlichen Extase des letzten Actes zu steigern,
Herr Kaiser als Fritz Lobheimer bekundete nicht minder die
leichtflüssige Natürlichkeit und Wärme seines Conversationstalentes
den inneren Druck, die gepreßte Stimmung der Rolle verstand er
vorzüglich herauszuarbeiten, während Herr Leicht den vollen
Humor und die lebemännische Ueberlegenheit des leichtlebigen¬
Freundes und Frl. Ganella die ganze Munterkeit des leicht¬
lebigen Wiener Madels offenbarten. Herr Richard bot als alter
Violinspieler eine gutgezeichnete Charge, und Herr Heyse
estaltete seinen „Herrn“ zu einem wirksamen scenischen Intermezzo.
Inscenirung und Regie wird wohl Herrn Director
Steinert die Anerkennung zuzuschreiben sein.
3. box 11/1
der Wr
BERLIN N., Augüstsrr-e.
Telephon Amt III. No. 3051.
r
Ausschnitt
Teisgrunmn Sdreser
601DSCHMIDT. Auguststr. 87.
aus
Earmer Zeitung
4- JAN. 1902
Kunst, Wissenschaft und Leben.
Barmen, 4. Januar.
HM [Barmer Stadttheater.] Arthur Schnitzlers
Schauspiel „Liebelei“ — man muß es schon Tragödie, nicht
Schauspiel nennen — ging gestern Abend zum ersten Mal an
unserer Bühne in Scene. Es war eine der besten Vorstellungen
der Saison, sowohl in den Ensemble= wie in den Einzelleistungen,
sowohl in der stimmungsvollen Inscenirung wie in der feinen Ab¬
tönung der Scenenführung. Die Wirkung des Stückes gestaltete
sich daher tiefergreifend, sogar erschütternd. Die Ballade eines
Mädchenherzens ist sein Inhalt. Ein Mädchen liebt einen Knaben
so heißt es wohl in alten Liedern — sie haben ihn draußen in
der Welt erschossen; und so erstirbt süße Liebe in wilder Klage.
Dieser Ballade gibt Schnitzler nun das moderne Wiener Milieu,
das Mädchen ist das süße Wiener Madel, das doch bis in den
Tod lieben kann, der liebe Knabe ist ein flotter, etwas leichtsinniger
Junge, und der Schuß wird das dramatische Moment des Stückes: in
einem Duell fällt Fritz Lobheimer, aber nicht seines lieben Mädchens,
sondern einer Frau wegen, deren Gatte ihn vor die Pistole gefordert
hat. Und von dieser traurig=schrecklichen Geschichte erfährt Christine
nicht eher, als bis sie den Geliebten schon beerdigt haben — kein
Zeichen der Liebe hat er für sie hinterlassen, um einer Andern
willen ist er gestorben und sie war ihm nichts als eine Liebelei
für müßige Stunden. Da schreit der ganze Jammer ihres Herzens
auf, und aus den Armen ihres unglücklichen Vaters stürzt sie fort,
um nie wiederzukehren. Stimmung ist das Element dieses dichterischen
Werkes, und zwar Stimmung gemischt aus feinen und doch disso¬
nirenden Accorden. In die heitere Lebenslust des ersten Actes
klingt das düstere Motiv des Todes hinein, das für die weiteren
Scenen der mitschwingende Grundton bleibt und am Schluß grell
und schneidend hervortritt wie in einer alten schottischen Ballade.
Unser Ensemble vollbrachte die künstlerische That, diesen Stimmungen
in sicherster Weise gerecht zu werden. Frl. Robert bot als
Christine die vortrefflichste Leistung, die wir bisher von ihr gesehen,
und den Beweis eines starken Talentes. In geradezu vollendeter
Weise wußte sie das Stille, Weiche, Empfindsame des armen
Mädchens zu der leidenschaftlichen Extase des letzten Actes zu steigern,
Herr Kaiser als Fritz Lobheimer bekundete nicht minder die
leichtflüssige Natürlichkeit und Wärme seines Conversationstalentes
den inneren Druck, die gepreßte Stimmung der Rolle verstand er
vorzüglich herauszuarbeiten, während Herr Leicht den vollen
Humor und die lebemännische Ueberlegenheit des leichtlebigen¬
Freundes und Frl. Ganella die ganze Munterkeit des leicht¬
lebigen Wiener Madels offenbarten. Herr Richard bot als alter
Violinspieler eine gutgezeichnete Charge, und Herr Heyse
estaltete seinen „Herrn“ zu einem wirksamen scenischen Intermezzo.
Inscenirung und Regie wird wohl Herrn Director
Steinert die Anerkennung zuzuschreiben sein.