Liebelei.
box 11/1
5. La.
—. Menich Naßtans, und miag in der poinisen Ber
KN
Schnitzlerscher Frauenfiguren zum scharfen, unerbittlichen Prüfstein
der Lebenswahrheit und Wurzelhaftigkeit dieser dichterischen Gebilde
wird. Scharf scheidet sich das ursprünglich Wienerische, das gut
Gesehene und mit brillanter Technik Stizzierte von dem Anempfun¬
denen und Angeschminkten. Glaubte man bisher, Bahrs
„Wienerinnen“ seien die Wienerinnen, die dieser salongewandte,
jourgewöhnte Autor geschaut hat, während Schnitzlers „süßes
Mädel“ einen mit photographischer Gewissenhaftigkeit aufge¬
nommenen Wiener Typus darstelle, so belehrt einen die Niese eines
Besseren. Denn sie ist wienerisch, vom Scheitel bis zur Sohle,
und darum geht einem plötzlich, wenn sie die Christine spielt, die
Erkenntnis auf, daß die ins Hernalserische übersetzten Nietzsche¬
Grundsätze, die dieses Vorstadtmädel verkündet, recht unecht und un¬
ehrlich sind. Je wienerischer der Schauspieler, desto unwienerischer
erscheint der Dichter. Darum war Adele Sandrock, die große
Virtuosin, die sich übrigens just heute im Volkstheater in neuen
Schnitzler=Rollen vorstellt, eine bessere Christine als Hansi Niese,
das ungleich ursprünglichere und gehaltvollere Bühnentalent.
Und noch eine Bemerkung möchte ich an jenen Schnitzler=Niese¬
Abend knüpfen. Sie gleicht aufs Haar einem dumpfen, warnenden
Unkenruf. Es ist bekanntlich ein Jammer um das Niese=Repertoire,
und dieses letztere dürfte meiner Ueberzeugung dadurch nicht ver¬
bessert werden, daß Herr Jarno, seines Zeichens Theaterdirektor
und Niesegatte, eine eigene Preiskonkurrenz zu dem Zwecke ausge¬
schrieben hat, dem mit Recht heißgeliebten Ehegemahl passende Rollen
auf den rundlichen Leib schreiben zu lassen. Die Niese kämpft bereits
mit der talentvernichtenden Gefahr, in die Manier zu verfallen,
meinethalben in die Manier ihrer Eigenart. Es war traurig wahr¬
zunehmen: sie verfiel in Schnitzlers „Liebelei“ gelegentlich ins
„Böhmeln“. Sie „böhmelt“ ausgezeichnet, und ihre vis comica,
uns Wienern den Wohlklang des tschechischen Dialekts vorzutäuschen,
hat bereits einer Anzahl der lendenlahmsten und gehirnweichsten
Possen zu fünfundzwanzig und mehr Aufführungen verholfen. Aber
###es ist jammervoll, wenn man wahrnimmt, wie der aufheiterungs¬
bedürftige Parquetpöbel sich solcher talentvollen Mätzchen ver¬
ständnisinnig freut und gar nicht wahrnimmt, daß darunter die
" Ein anderer Wiener Liebling hat ein größeres Publikum. Das
innere Begabung einer reichen Künstlernatur verkümmert. Keine
sist die Niese. Die gilt selbst dort sehr viel, wo außer Guschelbauers
neuen Nieserollen, Herr Jarno! Keine Niese=Konkurrenz! Ich weiß
höchstens noch Girardis Namen etwas sagt. Von der Eigen¬
Ihnen eine Bombenrolle für Ihre Frau Gemahlin. Ich verlange
art dieser wohl bedeutendsten Wiener Volksschauspielerin brauche ich
keinen Preis und der Dichter heischt keine Tantièmen. Ich schlage
dem Breslauer Publikum nicht des längeren und breiteren vorzu¬
Ihnen nämlich Shakespeares „Der Widerspänstigen Zähmung“ mit
schwärmen. Sie haben die angenehme Bekanntschaft im vergangenen
Frau Niese als Käthchen vor. Aber da Wiener Theaterdirektoren auf
Jahre persönlich gemacht, und wie mir Frau Hansi gelegentlich er¬
zählte, hätte sie nichts dagegen, diese Bekanntschaft möglichst bald
wieder aufzufrischen. Ich habe mir die Niese letzthin als Christine beiden Ohren taub zu sein pflegen, so konzediere ich diesen tantièmen¬
ir. Schnitzlers „Liebelei“ angeschaut und zähle diesen Theaterabendj freien Ratschlag Herrn Landsmann Direktor Loewe für das:
nächste Breslauer Gastspiel der Frau Niese.
zu den interessantesten der heurigen Saison. Sie wissen übrigens
aus meinen bisherigen Dreiwochen=Mitteilungen, daß dies nicht
allzu viel heißen will. Die Christine der Niese gibt Gelegenheit,
einen alten Prazeß zu revidieren. Den Schnitzlerprozeß nämlich, den
die ganze gegenwärtige Generation der Theaterbesucher mitgemacht
hat. Ich schätze Arthur Schnitzler hoch genug ein, um ohne sonder¬
liches Mißbehagen das Gestandnis zu machen, daß wir Wiener die
ganze „süße Mädelei“ ein wenig überschätzt haben. Es ist nicht das
geringste künstlerische Verdienst der Niese, daß ihre Darstellung!
box 11/1
5. La.
—. Menich Naßtans, und miag in der poinisen Ber
KN
Schnitzlerscher Frauenfiguren zum scharfen, unerbittlichen Prüfstein
der Lebenswahrheit und Wurzelhaftigkeit dieser dichterischen Gebilde
wird. Scharf scheidet sich das ursprünglich Wienerische, das gut
Gesehene und mit brillanter Technik Stizzierte von dem Anempfun¬
denen und Angeschminkten. Glaubte man bisher, Bahrs
„Wienerinnen“ seien die Wienerinnen, die dieser salongewandte,
jourgewöhnte Autor geschaut hat, während Schnitzlers „süßes
Mädel“ einen mit photographischer Gewissenhaftigkeit aufge¬
nommenen Wiener Typus darstelle, so belehrt einen die Niese eines
Besseren. Denn sie ist wienerisch, vom Scheitel bis zur Sohle,
und darum geht einem plötzlich, wenn sie die Christine spielt, die
Erkenntnis auf, daß die ins Hernalserische übersetzten Nietzsche¬
Grundsätze, die dieses Vorstadtmädel verkündet, recht unecht und un¬
ehrlich sind. Je wienerischer der Schauspieler, desto unwienerischer
erscheint der Dichter. Darum war Adele Sandrock, die große
Virtuosin, die sich übrigens just heute im Volkstheater in neuen
Schnitzler=Rollen vorstellt, eine bessere Christine als Hansi Niese,
das ungleich ursprünglichere und gehaltvollere Bühnentalent.
Und noch eine Bemerkung möchte ich an jenen Schnitzler=Niese¬
Abend knüpfen. Sie gleicht aufs Haar einem dumpfen, warnenden
Unkenruf. Es ist bekanntlich ein Jammer um das Niese=Repertoire,
und dieses letztere dürfte meiner Ueberzeugung dadurch nicht ver¬
bessert werden, daß Herr Jarno, seines Zeichens Theaterdirektor
und Niesegatte, eine eigene Preiskonkurrenz zu dem Zwecke ausge¬
schrieben hat, dem mit Recht heißgeliebten Ehegemahl passende Rollen
auf den rundlichen Leib schreiben zu lassen. Die Niese kämpft bereits
mit der talentvernichtenden Gefahr, in die Manier zu verfallen,
meinethalben in die Manier ihrer Eigenart. Es war traurig wahr¬
zunehmen: sie verfiel in Schnitzlers „Liebelei“ gelegentlich ins
„Böhmeln“. Sie „böhmelt“ ausgezeichnet, und ihre vis comica,
uns Wienern den Wohlklang des tschechischen Dialekts vorzutäuschen,
hat bereits einer Anzahl der lendenlahmsten und gehirnweichsten
Possen zu fünfundzwanzig und mehr Aufführungen verholfen. Aber
###es ist jammervoll, wenn man wahrnimmt, wie der aufheiterungs¬
bedürftige Parquetpöbel sich solcher talentvollen Mätzchen ver¬
ständnisinnig freut und gar nicht wahrnimmt, daß darunter die
" Ein anderer Wiener Liebling hat ein größeres Publikum. Das
innere Begabung einer reichen Künstlernatur verkümmert. Keine
sist die Niese. Die gilt selbst dort sehr viel, wo außer Guschelbauers
neuen Nieserollen, Herr Jarno! Keine Niese=Konkurrenz! Ich weiß
höchstens noch Girardis Namen etwas sagt. Von der Eigen¬
Ihnen eine Bombenrolle für Ihre Frau Gemahlin. Ich verlange
art dieser wohl bedeutendsten Wiener Volksschauspielerin brauche ich
keinen Preis und der Dichter heischt keine Tantièmen. Ich schlage
dem Breslauer Publikum nicht des längeren und breiteren vorzu¬
Ihnen nämlich Shakespeares „Der Widerspänstigen Zähmung“ mit
schwärmen. Sie haben die angenehme Bekanntschaft im vergangenen
Frau Niese als Käthchen vor. Aber da Wiener Theaterdirektoren auf
Jahre persönlich gemacht, und wie mir Frau Hansi gelegentlich er¬
zählte, hätte sie nichts dagegen, diese Bekanntschaft möglichst bald
wieder aufzufrischen. Ich habe mir die Niese letzthin als Christine beiden Ohren taub zu sein pflegen, so konzediere ich diesen tantièmen¬
ir. Schnitzlers „Liebelei“ angeschaut und zähle diesen Theaterabendj freien Ratschlag Herrn Landsmann Direktor Loewe für das:
nächste Breslauer Gastspiel der Frau Niese.
zu den interessantesten der heurigen Saison. Sie wissen übrigens
aus meinen bisherigen Dreiwochen=Mitteilungen, daß dies nicht
allzu viel heißen will. Die Christine der Niese gibt Gelegenheit,
einen alten Prazeß zu revidieren. Den Schnitzlerprozeß nämlich, den
die ganze gegenwärtige Generation der Theaterbesucher mitgemacht
hat. Ich schätze Arthur Schnitzler hoch genug ein, um ohne sonder¬
liches Mißbehagen das Gestandnis zu machen, daß wir Wiener die
ganze „süße Mädelei“ ein wenig überschätzt haben. Es ist nicht das
geringste künstlerische Verdienst der Niese, daß ihre Darstellung!