Liebelei
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een
übel aussieht, bei tieferer Sondierung aber wieder in
seine Teile zerfällt. Den Dialog eines modernen Scheu¬
spiels restlos in ein Parlando zu zwängen, wie es
Neumann hier getan, ist kein sehr glücklicher Gedanke
gewesen. Die Aufführung hat das bewiesen, und es
bestand die Gefahr, daß das Publikum die ernst ge¬
meinte künstlerische Absicht des Komponisten parodistisch
deuten würde. Der etwaige Vergleich mit der Puccini¬
schen „Boheme“ fällt auch in diesem Betracht zu Un¬
gunsten Neumanns aus. Dem prinzipiellen Einwand
gegen den „Stil“ der gestrigen Novität schließt sich aber
ein anderer an: Schnitzlers „Liebelei“ ist ein spezifisch
wienerisches Schauspiel, und gerade hievon ist in der
Vertonung auch nicht die Spur. Das hätte freilich nur
ein Wiener Komponist treffen können. Gleichwohl
hat die Oper des Herrn Neumann nicht unbeträchtliche
Qualitäten. Zunächst ist die Stimmung der Dichtung
vom Komponisten zum Teil erfaßt worden. Er findet
für Christinens Liebe rührende Akzente, für die Wehmut
des zweiten, für die Bangigkeit des dritten Aktes den
ichtigen Ton. Hingegen muß das heitere Paar der
Dichtung sich mit loser Skizzierung, mit einem stakka¬
tierten Motivchen begnügen, und auch der unwiene¬
rische, doch geschickt gemachte Walzer wie die ganze
Souperszene find nicht leicht und graziös genug. Die
motivische Arbeit ist durchaus sauber, gefällig, kontra¬
unktisch gewandt und flüssig. Auch thematische Ein¬
fälle melden sich, wie heispielsweise das Hauptthema
Christinens, die Des-dur-Kantilene, die Fritz im ersten
Akt am Klavier anstimmt. Im zweiten Akte wächst
erfreulich die melodische Ausbreitung. Hier zeigt sich
das lyrische Talent des Komponisten, der übrigens
auch in dramatischer Hinsicht nicht unbegabt scheint.
So gewinnt u. a. die Szene mit dem fremden Herrn
durch Neumanns Musik wenn möglich noch an Tragik.
Ihm hier ein Überspannen des Pathos vorzuwerfen,
dessen er sich an anderen Stellen der Oper zweifellos
schuldig macht, wäre ungerecht. Auch das Vorspiel
zum dritten Akt, welches das Duell und Fritzens
Tod schildert, macht sozusagen nicht mehr Lärm, als
es der Fall erfordert, ist ebenso erschütternd wie die
Katastrophe selbst. Schließlich: ein Mädchen liebt
einen Mann mit der ganzen Inbrunst ihrer jungen
Seele. Der Geliebte wird erschlagen oder erschossen,
das ist einerlei. Für sie aber geht damit die Welt zu
Grunde, ihr bricht das Herz entzwei. Da darf ein
Komponist, wenn er den Fall menschlich erfassen will
die ergreifendsten und stärksten Klänge verwenden.
muß es sogar, dafern er wirklich empfinden kann und
über dramatische Kraft der Gestaltung verfügt. Das hat
Neumann in seiner Oper mit Glück versucht. Auch
sonst möchten wir die Etikette „Kapellmeistermusik“, die
dieser Oper vielfach aufgeklebt wurde, nicht bedingungs¬
los akzeptieren. Uns dünkt Neumanns Begabung nicht
gänzlich profillos, und die mannigfachen Wagner¬
und Strauß=Erinnerungen, die in der sicher und
klangvoll instrumentierten Partitur sich vorfinden,
wären noch immer kein Gegenbeweis. Die Aufführung
der Volksoper erfüllte gewiß fast alle Wünsche des
Komponisten. Zunächst spielte das Orchester unter der
beseuernden Leitung des Kapellmeisters Tittel ver¬
blüssend sauber und präzis. Sodann sangen die Damen
Engel, Roeder, Macha, die Herren Lu߬
mann, Brandt und Bandler ganz samos.
Den Intentionen des Dichters dürfte freilich nur
Frl. Engel entsprochen haben, die für die Christine
ergreifende Töne fand und das Wesen dieser Rolle
völlig erfaßte. Auch die stimmungsvolle Inszenierung
verdient Lob und Anerkennung. Der Erfolg, den die
sauf den deutschen Bühnen bereits heimische Oper nun¬
mehr auch in Wien errungen hat, war unverkennbar.
Der Komponist wurde mit allen beteiligten Künstlern
herzlich akklamiert. Schließlich mußte sich auch Artur
Schnitzler dem stürmisch“ applaudierenden Publi¬
st.
kum zeigen.
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übel aussieht, bei tieferer Sondierung aber wieder in
seine Teile zerfällt. Den Dialog eines modernen Scheu¬
spiels restlos in ein Parlando zu zwängen, wie es
Neumann hier getan, ist kein sehr glücklicher Gedanke
gewesen. Die Aufführung hat das bewiesen, und es
bestand die Gefahr, daß das Publikum die ernst ge¬
meinte künstlerische Absicht des Komponisten parodistisch
deuten würde. Der etwaige Vergleich mit der Puccini¬
schen „Boheme“ fällt auch in diesem Betracht zu Un¬
gunsten Neumanns aus. Dem prinzipiellen Einwand
gegen den „Stil“ der gestrigen Novität schließt sich aber
ein anderer an: Schnitzlers „Liebelei“ ist ein spezifisch
wienerisches Schauspiel, und gerade hievon ist in der
Vertonung auch nicht die Spur. Das hätte freilich nur
ein Wiener Komponist treffen können. Gleichwohl
hat die Oper des Herrn Neumann nicht unbeträchtliche
Qualitäten. Zunächst ist die Stimmung der Dichtung
vom Komponisten zum Teil erfaßt worden. Er findet
für Christinens Liebe rührende Akzente, für die Wehmut
des zweiten, für die Bangigkeit des dritten Aktes den
ichtigen Ton. Hingegen muß das heitere Paar der
Dichtung sich mit loser Skizzierung, mit einem stakka¬
tierten Motivchen begnügen, und auch der unwiene¬
rische, doch geschickt gemachte Walzer wie die ganze
Souperszene find nicht leicht und graziös genug. Die
motivische Arbeit ist durchaus sauber, gefällig, kontra¬
unktisch gewandt und flüssig. Auch thematische Ein¬
fälle melden sich, wie heispielsweise das Hauptthema
Christinens, die Des-dur-Kantilene, die Fritz im ersten
Akt am Klavier anstimmt. Im zweiten Akte wächst
erfreulich die melodische Ausbreitung. Hier zeigt sich
das lyrische Talent des Komponisten, der übrigens
auch in dramatischer Hinsicht nicht unbegabt scheint.
So gewinnt u. a. die Szene mit dem fremden Herrn
durch Neumanns Musik wenn möglich noch an Tragik.
Ihm hier ein Überspannen des Pathos vorzuwerfen,
dessen er sich an anderen Stellen der Oper zweifellos
schuldig macht, wäre ungerecht. Auch das Vorspiel
zum dritten Akt, welches das Duell und Fritzens
Tod schildert, macht sozusagen nicht mehr Lärm, als
es der Fall erfordert, ist ebenso erschütternd wie die
Katastrophe selbst. Schließlich: ein Mädchen liebt
einen Mann mit der ganzen Inbrunst ihrer jungen
Seele. Der Geliebte wird erschlagen oder erschossen,
das ist einerlei. Für sie aber geht damit die Welt zu
Grunde, ihr bricht das Herz entzwei. Da darf ein
Komponist, wenn er den Fall menschlich erfassen will
die ergreifendsten und stärksten Klänge verwenden.
muß es sogar, dafern er wirklich empfinden kann und
über dramatische Kraft der Gestaltung verfügt. Das hat
Neumann in seiner Oper mit Glück versucht. Auch
sonst möchten wir die Etikette „Kapellmeistermusik“, die
dieser Oper vielfach aufgeklebt wurde, nicht bedingungs¬
los akzeptieren. Uns dünkt Neumanns Begabung nicht
gänzlich profillos, und die mannigfachen Wagner¬
und Strauß=Erinnerungen, die in der sicher und
klangvoll instrumentierten Partitur sich vorfinden,
wären noch immer kein Gegenbeweis. Die Aufführung
der Volksoper erfüllte gewiß fast alle Wünsche des
Komponisten. Zunächst spielte das Orchester unter der
beseuernden Leitung des Kapellmeisters Tittel ver¬
blüssend sauber und präzis. Sodann sangen die Damen
Engel, Roeder, Macha, die Herren Lu߬
mann, Brandt und Bandler ganz samos.
Den Intentionen des Dichters dürfte freilich nur
Frl. Engel entsprochen haben, die für die Christine
ergreifende Töne fand und das Wesen dieser Rolle
völlig erfaßte. Auch die stimmungsvolle Inszenierung
verdient Lob und Anerkennung. Der Erfolg, den die
sauf den deutschen Bühnen bereits heimische Oper nun¬
mehr auch in Wien errungen hat, war unverkennbar.
Der Komponist wurde mit allen beteiligten Künstlern
herzlich akklamiert. Schließlich mußte sich auch Artur
Schnitzler dem stürmisch“ applaudierenden Publi¬
st.
kum zeigen.