II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 3

4.9. Anatol
klu-
.
Beil. z. Bon. Nr. 203.
findenden Mann. Aber es ist zugleich der schwäch¬
liche, in einem Entwicklungszustand befindliche
Typus des Genußmenschen. Die scheinbare Un¬
gerechtigkeit gegen das andere Geschlecht wird
weitgemacht durch die Tatsache, daß uns der
Dichter in dem Sondertypus des Anatol begreiflich
macht: Dieser Lustwandler halb Jüngling, halb Mann
ist noch unreif fürs Glück und unreif fürs Unglück.
Er kann nur unglücklich werden oder unglücklich
machen. Die Anwaltschaft der Frau mit ihren An¬
sprüchen auf ein ganzes, ungebrochenes Empfinden
hat sich Schnitzler nicht erspart: seine späteren
Dramen und epischen Werke bezeugen es. In der
lustigen Anatol-Serie schwebt ihm nur der Ge¬
danke einer begrenzten Liebesphilosophie vor¬
einer Liebesphilosophie vom Standpunkte des
leidenden, von Eifersucht gequälten, von Senti¬
mentalität angekränkelten, von Eitelkeit verzerrten,
in unhaltbare Situationen gehetzten Männleins.
Es ist eine Liebesphilosophie ohne Ehemoral, frei
von allem Jenseitigem und Darüberstehendem
eine Liebesphilosophie für die Minute. Daher ihre
Vielwendigkeit und Elastizität, daher ihre Leichtig¬
keit, in die funkelnde Hülle eines Scherzwortes
hineinzuschlüpfen. Anatol hat Recht, einer ver¬
hängnisvollen Frage an seine in hypnotischen
Schlaf versetzte Geliebte auszuweichen, denn der¬
selbe Anatol wird schon desillusioniert, wenn sich
ein Weib nicht ein zärtliches Zweistundenerlebnis
Jahre lang merkt wie er selber und er macht
einer Halbweltdame eine Szene, weil sie über
dem Liebesglücke nicht den Wert eines kostbaren
Steines mißachtet. Er ist ein Herzensphantast
mit dem Schicksal, enttäuscht zu werden und zu
enttäuschen. Und in sieben bis auf die unbe¬
deutenden „Denksteine" reizvollen Variationen
spiegelt Schnitzler die Wesensart dieses Berufs¬
liebhabers.
Der Dichter charakterisiert Anatol in der
„Weihnachtseinkäufe"
feuilletonistischen Skizze
(gedanklich übrigens die feinste Anatol=Studie)
als den „leichtsinnigen Melancholiker. Gerade
dieser Dialog ist wege einer Spaziergang¬
szenerie unaufführbar. Doch hätte Herr Victora
als der Anatolspieler diesem Stücke den
Grundton der ganzen Figur entnehmen sollen.
Seine Darstellung war nicht unsympathisch und
bei aller Unsicherheit auf die effektvolle Poin
tierung des Dialoges bedacht. Aber es war zu
viel aufgeregtes Theater dabei, die Musik lant
loser Nuancen fehlte. Es war, wie wenn je
mand einen Glaspavillon mit dröhnenden Schritten
durchschreiten würde. Herr Onno, der in de
„Episode" als Anatol einsprang, was nebenbei ge
sagt ein komischer Verstoß gegen die Einheitlich
keit der Gestalt ist, war schon phantasievoller und
liebenswürdiger. Selbst der parodistische Zu¬
störte nicht die Illusion. Die fünf Partnerinnen
wurden von den Damen Fels, Frey, Medelsky
Seldorf und Frl. v. Helling bestritten. Ma¬
konnte nahezu das ganze weibliche Ensembl
Revue passieren lassen. Frälein Medelsky is
im Abschiedssouper bereits bewährt. Frl. Fre
hat nicht das Maß für eine Zirkusreiterin, Fr.
von Helling ist eine zu treuherzige Halbwelt
lerin, Frl. Fels faßte die Hypnose als durchau
natürlichen Zustand auf. Frl. v. Seldorf tre
ganz zurück. Trotz aller Flüchtigkeit der Da¬
stellung lautet das Schlußresume: es war ei
fescher Abend. Und das volle, beifallslustig
Haus war eine Demonstration für ein geschma¬
volles Sonntagsrepertoire.
Dr. E. F.
Neues deutsches Theater. Heute mi¬
als 249./I. Schnitzlers „Liebelei" gegebe
u. z. in Verbindung mit den zwei Einakteru „Di
Frage an das Schicksal und „Anatol
Hochzeitsmorgen". Mittwoch wird
Operette „Der fidele Bauer“ als 250.
zum erstenmale wiederholt.
Leo Slezak=Gastspiel. Die Anteilnahn
an dem Gastspiel des gefeierten Sängers ist ein
außerordentlich rege. Der Billettverkauf wir
täglich an der Kassa des Deutschen Landestheate
box 8/4
Regen 1791.

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Quellenangabe ohne Gewähr.
Ausschnitt aus:
Montagsblatt aus Böhmen, Prag
vom
Theaterwoche.
Schauspiel.
Anatol von Schnitzler. Der gute Geist,
der sich heuer, wenigstens was die Wahl der Stücke
betrifft, in den volkstümlichen Vorstellungen ver¬
kündet, war auch gestern lebendig. Fünf Pröbchen
aus dem Anatol-Zyklus, geschickt gewählt und in
kluger Steigerung gruppiert, standen auf dem Pro¬
gramm des Abends, der langentbehrte Atem lit¬
rarischer Ambition, durch vehte das Haus, das, no¬
tabene, voll bis zum Giebel war. Voila, es geht
Hoffentlich bleibt uns nun aber auch in Zukunft das
sinnige Komtessenstück als Sonn- und Feiertagsver¬
gnügen erspart. Die Schauspieler werden dann ge¬
wiß von selbst lernen, was ihnen fehlt, und weniger
auf die — auch bei einem Schnitzler nicht immer
überwältigende — Pointe, sondern mehr und ganz auf
den essentiellen Gehalt des Dialogs eingestellt sein.
Herr Victora, der fast durchwegs den Anatol
spielte, legt diesen Wunsch in erster Reihe nahe. E¬
ist ein gewandter Causeur, verfügt über eine durch¬
aus sympathische Frechheit und ist auch in senti¬
mentalen Strecken glatt und ohne Ausdringlichkeit.
Was ihm fehlt, ist nichts als ein Brocken Vertiefung,
ein schärferes Erfassen der Musik, die nicht an, son¬
dern zwischen den Worten hängt, — wenn man
will, ein kleiner, sicher aber entscheidender und be¬
deutender Schritt. Herr Onno, der Anatol der „Epi¬
sode", schnitt in dieser und allen anderen Beziehun¬
gen weit besser ab und auch die Damen Medels¬
ky, Frey, Seldorf und von Helling — ga
ben nicht nur Laune, sondern auch Esprit. Keit
Wunder, daß das Publikum zu bester Stimmun¬
kam und alle Mitwirkenden ohne Ausnahme lebha
bedankte.
r. 8.