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S
4.9. Anatol
.
OBSERVER
I. Österbehördl.
kon¬
für Zeit
Konkorda.
Presse Wie¬
1310
Deutsches Volkstheater.) Fünf von den sieben
reizenden Einakten, die Alter Schnitzler als junger Autor
unter dem Titel „Anatoligen Buche ver¬
eint hat, sind heute zusammen über die Bühne gegangen und
haben dank ihrer Fröhlichkeit und Jugend einen richtigen
Lustspielerfolg davongetragen. Die durch die Aufschriften
Die Frage an das Schicksal", „Weihnachtseinkäufe", „Ab¬
schiedssouper, „Episode" und „Anatols Hochzeitsmorgen" ge¬
kennzeichneten Abschnitte bilden in ihrer Gesamtheit einen ver¬
liebten Reigen, den nur die Figur des Anatol zu einer
höheren dramatischen Einheit verbindet. Aber diese Figur ist
liebenswürdig und anziehend genug, um einen ganzen Abend
zu unterhalten. Sie ist zudem eminent wienerisch, so daß es
eigentlich zu verwundern ist, daß man den Zyklus als solchen,
erst jetzt, achtzehn Jahre nach seinem Erscheinen, in Wien
spielt. Mitterwurzer hat jedenfalls einen guten Fair bewiesen,
als er, ganz kurze Zeit vor seinem Tode, nach der Rolle des
Anatol langte. Ein vorzeitiges Ende verhinderte ihn, sein
Vorhaben auszuführen, und nun übernimmt Herr Kramer
diesen Teil der Hinterlassenschaft des großen Schauspielers.
Natürlich cum beneficio inventarii, das heißt, er spielt den
Anatol nicht als einen dämonischen Verführer, wie ihn viel¬
leicht Mitterwurzer erfaßt hätte, sondern als einen liebens¬
würdigen Schwerenter, der dieser „leichtsinnige Melancholiker
ja auch im Grunde ist. Daß er dabei auch den Dichter nicht
ganz schuldig bleibt und etwas von der Mussetschen Anmut
ahnen läßt, die die Gestalt verklärt, sei Herrn Kramer be¬
besonders hoch angerechnet, da das Feinpoetische eigentlich
nicht in der Richtung seines Talents liegt. Als Freund Ma¬
stand ihm Herr Lackner sehr tüchtig zur Seite; er entledigte
sich seiner auf die Dauer nicht eben dankbaren Aufgabe, dem
Helden das Stichwort zu bringen, auf eine ebenso ergötzliche
als taktvolle Weise. Was schließlich das weibliche Personal
der fünf kleinen Komödien betrifft — bezeichnenderweise liebt
Anatol in jedem Stück eine andere Frau — so wollen wir
dieses nach dem Muster des liebenswürdigen Don Juan für
heute in Bausch und Bogen abtun und bloß konstatieren,
daß die Damen Hannemann, Reinau, Glöckner, Müller und
Calafrés zusammengerechnet eine Summe weiblicher An¬
ziehung repräsentieren, über die kein anderes Wiener Theater
heute verfügt, und die gewiß dazu beitragen wird, die an¬
mutige Dichtung lange im Spielplane zu erhalten.
OBSERVE.
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
gelangt uns der
Ausschnitt aus:
Wie¬
vom
Arbeiter. Zeitung
1910
Deutsches Volkstheater. Unter dem Jubel der Schnitzler¬
Gemeinde ging gestern hier die Szenenreihe „Anatol über
die Bühne, deren Aufführung schon vor zwanzig Jahren eine
erfolgsicher nicht erst Kühnheit erfordernde Tat gewesen wäre.
Heute natürlich ging's noch glatter. Die fünf Einakter sind in
Wien nicht mehr ganz neu und auch der psychologische Refrain
dieser Dichtungen ist schon oft, auch von Schnitzlers Imitatoren,
wiederholt worden. Man kennt den melancholischen Ironier
Anatol Schnitzler, der nur ein Thema erlebt hat, dieses
vielen Variationen: die kleine Liebe Weiß Gott, Anatols Ironie
scheint mir echter als das Pathos des Medardus. Schnitzlers
Grundstellung ist skeptisch, ironisch, und das Beste, was er
hat, ist die große Güte, die jedem wahrhaft ironischen Gemüt
entspringt. Er ist geschaffen, die Abenteuer des eleganten
Lebenszuschauers zu schildern, den Drang des jugendlich¬
kriegerischen Menschen kann er nicht so überzeugend darstellen¬
weil seinem kultivierten Geschmack nichts ferner liegt als die
Gewalt des Heroischen. Ich habe den Eindruck, daß auch das
Publikum an den kleinen Abenteuern Anatols mehr Anteil nahm
als an den Aktionen des jungen Medardus, der nur zufällig der
Weltgeschichte entkam . . . Die fünf Akte wurden im Volkstheater
von den Herren Kramer und Lackner ausgezeichnet
gespielt. Das haben sie erlebt, das können sie inszenieren, das
können sie darstellen. Herrn Lackners behutsame Ironie, Herrn
Kramers melancholische Schwärmerei waren mit hundert wahr¬
haften Nuancen ausgestattet. Während Anatol und Max in
allen Stücken dieselben bleiben, wechseln, türlich die Damen.
Fräulein Hannemann, Fräulein Rainan, Fräulein
Müller, die Glöckner und die Galafres sind Anatols
flüchtige Erlebnisse gewesen. Das Deutsche Volkstheater ist reich
an interessanten Schauspielerinnen, reicher sogar als Anatols
Gedächtnis. Diesmal ging Frau Glöckner als Erste durchs Ziel,
Ihre Annie im „Abschiedssouper ist übersetzte wienerische
Wirklichkeit, sie wurde bei jedem Satze vom Lachen der Zuschauer
st. gr.
übertönt.
S
4.9. Anatol
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OBSERVER
I. Österbehördl.
kon¬
für Zeit
Konkorda.
Presse Wie¬
1310
Deutsches Volkstheater.) Fünf von den sieben
reizenden Einakten, die Alter Schnitzler als junger Autor
unter dem Titel „Anatoligen Buche ver¬
eint hat, sind heute zusammen über die Bühne gegangen und
haben dank ihrer Fröhlichkeit und Jugend einen richtigen
Lustspielerfolg davongetragen. Die durch die Aufschriften
Die Frage an das Schicksal", „Weihnachtseinkäufe", „Ab¬
schiedssouper, „Episode" und „Anatols Hochzeitsmorgen" ge¬
kennzeichneten Abschnitte bilden in ihrer Gesamtheit einen ver¬
liebten Reigen, den nur die Figur des Anatol zu einer
höheren dramatischen Einheit verbindet. Aber diese Figur ist
liebenswürdig und anziehend genug, um einen ganzen Abend
zu unterhalten. Sie ist zudem eminent wienerisch, so daß es
eigentlich zu verwundern ist, daß man den Zyklus als solchen,
erst jetzt, achtzehn Jahre nach seinem Erscheinen, in Wien
spielt. Mitterwurzer hat jedenfalls einen guten Fair bewiesen,
als er, ganz kurze Zeit vor seinem Tode, nach der Rolle des
Anatol langte. Ein vorzeitiges Ende verhinderte ihn, sein
Vorhaben auszuführen, und nun übernimmt Herr Kramer
diesen Teil der Hinterlassenschaft des großen Schauspielers.
Natürlich cum beneficio inventarii, das heißt, er spielt den
Anatol nicht als einen dämonischen Verführer, wie ihn viel¬
leicht Mitterwurzer erfaßt hätte, sondern als einen liebens¬
würdigen Schwerenter, der dieser „leichtsinnige Melancholiker
ja auch im Grunde ist. Daß er dabei auch den Dichter nicht
ganz schuldig bleibt und etwas von der Mussetschen Anmut
ahnen läßt, die die Gestalt verklärt, sei Herrn Kramer be¬
besonders hoch angerechnet, da das Feinpoetische eigentlich
nicht in der Richtung seines Talents liegt. Als Freund Ma¬
stand ihm Herr Lackner sehr tüchtig zur Seite; er entledigte
sich seiner auf die Dauer nicht eben dankbaren Aufgabe, dem
Helden das Stichwort zu bringen, auf eine ebenso ergötzliche
als taktvolle Weise. Was schließlich das weibliche Personal
der fünf kleinen Komödien betrifft — bezeichnenderweise liebt
Anatol in jedem Stück eine andere Frau — so wollen wir
dieses nach dem Muster des liebenswürdigen Don Juan für
heute in Bausch und Bogen abtun und bloß konstatieren,
daß die Damen Hannemann, Reinau, Glöckner, Müller und
Calafrés zusammengerechnet eine Summe weiblicher An¬
ziehung repräsentieren, über die kein anderes Wiener Theater
heute verfügt, und die gewiß dazu beitragen wird, die an¬
mutige Dichtung lange im Spielplane zu erhalten.
OBSERVE.
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
gelangt uns der
Ausschnitt aus:
Wie¬
vom
Arbeiter. Zeitung
1910
Deutsches Volkstheater. Unter dem Jubel der Schnitzler¬
Gemeinde ging gestern hier die Szenenreihe „Anatol über
die Bühne, deren Aufführung schon vor zwanzig Jahren eine
erfolgsicher nicht erst Kühnheit erfordernde Tat gewesen wäre.
Heute natürlich ging's noch glatter. Die fünf Einakter sind in
Wien nicht mehr ganz neu und auch der psychologische Refrain
dieser Dichtungen ist schon oft, auch von Schnitzlers Imitatoren,
wiederholt worden. Man kennt den melancholischen Ironier
Anatol Schnitzler, der nur ein Thema erlebt hat, dieses
vielen Variationen: die kleine Liebe Weiß Gott, Anatols Ironie
scheint mir echter als das Pathos des Medardus. Schnitzlers
Grundstellung ist skeptisch, ironisch, und das Beste, was er
hat, ist die große Güte, die jedem wahrhaft ironischen Gemüt
entspringt. Er ist geschaffen, die Abenteuer des eleganten
Lebenszuschauers zu schildern, den Drang des jugendlich¬
kriegerischen Menschen kann er nicht so überzeugend darstellen¬
weil seinem kultivierten Geschmack nichts ferner liegt als die
Gewalt des Heroischen. Ich habe den Eindruck, daß auch das
Publikum an den kleinen Abenteuern Anatols mehr Anteil nahm
als an den Aktionen des jungen Medardus, der nur zufällig der
Weltgeschichte entkam . . . Die fünf Akte wurden im Volkstheater
von den Herren Kramer und Lackner ausgezeichnet
gespielt. Das haben sie erlebt, das können sie inszenieren, das
können sie darstellen. Herrn Lackners behutsame Ironie, Herrn
Kramers melancholische Schwärmerei waren mit hundert wahr¬
haften Nuancen ausgestattet. Während Anatol und Max in
allen Stücken dieselben bleiben, wechseln, türlich die Damen.
Fräulein Hannemann, Fräulein Rainan, Fräulein
Müller, die Glöckner und die Galafres sind Anatols
flüchtige Erlebnisse gewesen. Das Deutsche Volkstheater ist reich
an interessanten Schauspielerinnen, reicher sogar als Anatols
Gedächtnis. Diesmal ging Frau Glöckner als Erste durchs Ziel,
Ihre Annie im „Abschiedssouper ist übersetzte wienerische
Wirklichkeit, sie wurde bei jedem Satze vom Lachen der Zuschauer
st. gr.
übertönt.