4.9. Anatol
Zyklu-
„OBSERVER
I. Österr. behördl.
konzessionirtes
Bureau
für Zeitungsnachrichten
Wien, 1.
Konkordiaplatz 4
167. 1910 Münchner Neueste Nachrichten
Wiener Theater
Artur Schnitzlers „Anatol"-Szenen haben
bei ihrer Wiener Premiere ebenso wie bei der Ber¬
liner dem Dichter einen schönen und ganz selbst¬
verständlich mühelosen Erfolg gebracht. In den
zwei Jahrzehnten, seitdem sie entstanden sind, ist ihr
Duft ein wenig zarter geworden, und fast sehen wir
Freund Anatol, den Wiener Lebejüngling, schon als
würdigen Herrn der Literarhistorie. Es gibt Leute,
die in ihm den Typus des reichen jungen, Wiener
Patriziers sehen wollen, den Hausherrnsohn eines
sanfteren und lächelnden Wien, das immer tiefer
versinkt. Aber die spöttisch-sentimentalen Liebeleien
dieses graziösen Genießers sind wohl nie typisch ge¬
wesen. Dazu waren sie zu kultiviert, zu geistreich, zu
wissend. Ich glaube nicht, daß solche Eigenschaften
bei den „Süßen Mädeln" den Erfolg bringen.
Schnitzler ist in seinen späteren Dichtungen unend¬
lich reicher, stärker, bedeutender als in diesen kleinen
Gaben seiner Jugend. Indes, es ist doch schon alles
darin, was später in ihm reifte und wuchs, es blüh¬
als Knospe, was dann Blume und Frucht ward.
Noch dringt er hier nicht in Tiefen, aber schon sieht
er sie überall mit Dichteraugen. Das Deutsche
Volkstheater hat für Anatols Harem den gan¬
zen Reichtum seiner schönen und begabten Schau¬
spielerinnen gewidmet und so gab es noch überall
Erfolge im Erfolg.
box 8/4
Telephon 12.801.
R
„OBSER
österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
lagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt Wiener Leben
17 12.1910
vom
(Schluß folgt.)
Wiener Theater.
Deutsches Volkstheater. Es war eine
ausgezeichnete Idee, in den „Medardus¬
Tagen an den „Anatole zu denken, der
seit schon fast achtzehn Jahren ein stilles
Buchdasein führt, nur zeitweilig in einem
Bruchstücke zum Bühnenleben erweckt. Es
ist sicherlich nicht die Schuld des Dichters
Artur Schiller, wenn heute diese
Einakter nicht mit jener bezwingenden Ur¬
sprünglichkeit wirken, die ihnen eigentlich
innewohnt, wenn die Farben etwas abge¬
blaßter sind und das Wort vom „süßen
Mädl“ an Klangreiz verloren hat. Achtzehn
Jahre sind eine lange Zeit und in dieser
langen Zeit fanden sich mehr als genug, die
aus diesem Anatol Duft, Farbe und Ideen
herausgriffen und in eigenen Gebrauch
nahmen. Schnitzler hatte bei dieser jüng¬
sten Première wohl unter seinem ersten
Erfolg zu leiden, er hatte die Schlagkraft
seiner eigensten Ideen zu büßen. So kam
es, daß die fünf Anatol-Einakter, die das
Deutsche Volkstheater aus den sieben
Stücken gewählt hatte, nicht jene große
Wirkung taten, deren sie vor Jahr und Tag
sicher gewesen wären. Dennoch konnte
der Dichter an seinem Erstlingswerke noch
helle Freude erleben. Man gab: „Die
Frage an das Schicksal“, „Weihnachtsein¬
käufe", „Abschiedssouper“, „Episode und
„Anatols Hochzeitsmorgen. Das Haus¬
auf Sensation gestimmt, von Frauen und
Mädchen überfüllt — stand vom ersten
Augenblicke in des Dichters Bann und gab
Zyklu-
„OBSERVER
I. Österr. behördl.
konzessionirtes
Bureau
für Zeitungsnachrichten
Wien, 1.
Konkordiaplatz 4
167. 1910 Münchner Neueste Nachrichten
Wiener Theater
Artur Schnitzlers „Anatol"-Szenen haben
bei ihrer Wiener Premiere ebenso wie bei der Ber¬
liner dem Dichter einen schönen und ganz selbst¬
verständlich mühelosen Erfolg gebracht. In den
zwei Jahrzehnten, seitdem sie entstanden sind, ist ihr
Duft ein wenig zarter geworden, und fast sehen wir
Freund Anatol, den Wiener Lebejüngling, schon als
würdigen Herrn der Literarhistorie. Es gibt Leute,
die in ihm den Typus des reichen jungen, Wiener
Patriziers sehen wollen, den Hausherrnsohn eines
sanfteren und lächelnden Wien, das immer tiefer
versinkt. Aber die spöttisch-sentimentalen Liebeleien
dieses graziösen Genießers sind wohl nie typisch ge¬
wesen. Dazu waren sie zu kultiviert, zu geistreich, zu
wissend. Ich glaube nicht, daß solche Eigenschaften
bei den „Süßen Mädeln" den Erfolg bringen.
Schnitzler ist in seinen späteren Dichtungen unend¬
lich reicher, stärker, bedeutender als in diesen kleinen
Gaben seiner Jugend. Indes, es ist doch schon alles
darin, was später in ihm reifte und wuchs, es blüh¬
als Knospe, was dann Blume und Frucht ward.
Noch dringt er hier nicht in Tiefen, aber schon sieht
er sie überall mit Dichteraugen. Das Deutsche
Volkstheater hat für Anatols Harem den gan¬
zen Reichtum seiner schönen und begabten Schau¬
spielerinnen gewidmet und so gab es noch überall
Erfolge im Erfolg.
box 8/4
Telephon 12.801.
R
„OBSER
österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
lagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt Wiener Leben
17 12.1910
vom
(Schluß folgt.)
Wiener Theater.
Deutsches Volkstheater. Es war eine
ausgezeichnete Idee, in den „Medardus¬
Tagen an den „Anatole zu denken, der
seit schon fast achtzehn Jahren ein stilles
Buchdasein führt, nur zeitweilig in einem
Bruchstücke zum Bühnenleben erweckt. Es
ist sicherlich nicht die Schuld des Dichters
Artur Schiller, wenn heute diese
Einakter nicht mit jener bezwingenden Ur¬
sprünglichkeit wirken, die ihnen eigentlich
innewohnt, wenn die Farben etwas abge¬
blaßter sind und das Wort vom „süßen
Mädl“ an Klangreiz verloren hat. Achtzehn
Jahre sind eine lange Zeit und in dieser
langen Zeit fanden sich mehr als genug, die
aus diesem Anatol Duft, Farbe und Ideen
herausgriffen und in eigenen Gebrauch
nahmen. Schnitzler hatte bei dieser jüng¬
sten Première wohl unter seinem ersten
Erfolg zu leiden, er hatte die Schlagkraft
seiner eigensten Ideen zu büßen. So kam
es, daß die fünf Anatol-Einakter, die das
Deutsche Volkstheater aus den sieben
Stücken gewählt hatte, nicht jene große
Wirkung taten, deren sie vor Jahr und Tag
sicher gewesen wären. Dennoch konnte
der Dichter an seinem Erstlingswerke noch
helle Freude erleben. Man gab: „Die
Frage an das Schicksal“, „Weihnachtsein¬
käufe", „Abschiedssouper“, „Episode und
„Anatols Hochzeitsmorgen. Das Haus¬
auf Sensation gestimmt, von Frauen und
Mädchen überfüllt — stand vom ersten
Augenblicke in des Dichters Bann und gab