II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 101

4.9. Anatol - Zyklus
OBSERVER
letter behördl.
esse
Boren
in Leitungen ersten
Wien,

Prager Tagblatt
4-12. 1910
in s.
Berlin, 3. Dez. (Priv.) J. Lessing=Theater
wurden fünf Akte aus Schnitters Einakter=
Zyklus „Anatol zum erstenmal aufgeführt. Die
Darstellung wich der Gefahr, schwankmäßig zu
wirken, vorsichtig aus und holte alle Stimmungen
und Feinheiten des Dialogs sorgfältig aus. Mon¬
nard spielte den Anatol recht gut, Reicher den
Max. Am besten aber waren die Tamen Herte¬
rich und Triesch. Das Publikum spendete leb¬
haften Beifall, vor allem nach dem „Abschieds¬
souper".
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Vossische Zeitung. Ber¬
Theater und Musik.
Lessing=Theater.
Sonnabend, 3. Dezember. Zum 1. Male: „Anatol. Fünf
Einakter von Arthur Schnitzlei
Mit diesen liebenswürdigen Plaudereien wurde Schnitzler und
das ganze Geschlecht der neuen Wiener Poeten entdeckt, dieser
ironischen, welchen, koketten und sehr begabten Herren, die die Ver¬
führungskraft der alten Phaafenstadt in ihrer träumerischen
Sinnlichkeit erneuert haben. Das Leben diktiert der Literatur
und die Literatur dem Leben. Der junge Wiener ist ent¬
weder Anatoll oder Max, der heitere Melancholicus mit der Be¬
ständigkeit eines Schmetterlings oder der gelassene spöttische Beob¬
achter. Dieses Büchlein der geplauderten Dialoge, die die besten
Franzosen nicht übertroffen haben, begehrte ursprünglich wohl nicht
nach der Bühne. Nur das „Abschiedssouper", das man als voll¬
ständige kleine Komödie herausnehmen konnte, hat für sich eine
Theaterexistenz geführt, wobei es sich gewöhnlich eine ziemlich
minderwertige Gesellschaft gefallen lassen mußte. Herr Brahm
hat die ebenso einfache wie gescheidte Idee gehabt, den ganzen
Anatol-Zyklus zu einem Abend zusammenzufassen, und er hat sich
den herzlichen Dank aller notleidenden Theaterbesucher verdient, die
einmal lachen wollen, ohne es hinterher zu bereuen. Es gab einen
stürmischen Erfolg, von dem auch die Aufführung ihr wohl ge¬
messenes Teil beanspruchen kann. Herr Monnard, dessen ein¬
fache Tüchtigkeit vielleicht gerade wegen ihrer Selbstverständ¬
lichkeit noch nicht genügend bemerkt worden ist, dürfte gestern
als Anatol endlich durchgedrungen sein. Sein Wesen hat
einen Vorzug, den ich als mimische Wahrscheinlichkeit bezeichnen
möchte. An diesem lyrischen Genüßling war alles weich, das Ge¬
sicht, die Figur, die Geste, und er trägt seine Abenteuer mit einem
so pastosen Anstrich vor, daß die kleine Übertreibung und der Hauch
von Selbstpersiflage den Typus nur befestigt. Herr Reicher als
Max sekundierte ihm mit gutem Humor, obgleich ich von dem
kühleren Lebemann eine elegantere und weniger bürgerliche
Erscheinung erwartete. Die beiden kamen plandernd immer
wieder, während die holde Weiblichkeit sich fünfmal variiert
durch sehr reizvolle Vertreterinnen, die sich zwar ähneln
aber nicht gleichen. Die Dame der Gesellschaft war nur in einem
Exemplar vorhanden, das Fräulein Lossen in seine Haltung faßte.
Die lieben süßen Mädel, die Anatol glücklich machen bis zu seinem
Hochzeitsmorgen und bis zum Verlust der jugendlichen Locken, ver¬
dienen viel Lob und Preis, von Fräulein Somary bis zu Fräulein
Herterich und Frau Triesch. Die ergiebigste Rolle im „Abschieds¬
souper" war Fräulein Sussin zugefallen, was zu einer Entdeckung
führte. Wir kannten diese Dame bisher nur in der Spezialität von
unglücklichen Frauen und vernachlässigten Tanten, bis sie gestern
als leichteste dieser leichten Damen durch verwegene Laune und
graziöse Spitzbübigkeit überraschte. A. E.