Die Anatol-Szenen wurden überhaupt recht frisch
gespielt und waren von Emil Lessing mit vielem Ge¬
schmack inszeniert. Freilich waren die Vertreter der
beiden Hauptrollen für ihre Aufgaben geistig zu reif.
Herr Monnard war mit allem Geschick bestrebt, den
4-DENIS.
weichen, schleppenden Ton des dekadenten Wiener Giger
zu treffen wie er im Aeußern das Wesen charakterisierte.
Herr Reicher, der vor zwanzig Jahren an der ersten
Berlin
Börsen Courier, Be¬
Aufführung eines dieser Stückchen mitwirkte und also
aus Pietät wieder mittat, gab den liebenswürdigsten
Morgenausgabe
Räsonneur, aber man sträubte sich gegen die Annahme,
daß diese beiden wuchtigeren Darsteller sich andauernd
mit derlei Primaner= oder Studenten=Liebeleien ernst¬
haft befassen. Frl. Somary war flott und frisch im
Vor den Kulissen.
ersten Stückchen, Frl. Lossen wollte aus der kleinen
Rolle im zweiten mehr herausschlagen, als sie bietet
Das Lessing=Theater, das uns bald Arthur
- der Zettel verzeichnet übrigens hier wieder den
Schnitzlers neuestes Werk darbieten will, brachte uns Max, der aber gar nicht erscheint. Im Abschieds¬
gestern sei ältestes. An die zwanzig Jahre sind die
souper bewährte Frl. Sussin sehr viel Geschick
Anatol-Szenen alt, seit achtzehn Jahre liegen si
und überlegene Sicherheit — die Nawetät nur
im Druck vor, der Autor ist längst und hoch über die
fehlte, die diesem Stücken das Verletzende
Entwicklungsphase hinausgewachsen, der jene Skizze
nimmt. Die kleine Szene der Zirkus=Bianca im
entstammen, und gestern erst wurden sie auf eine
Berliner Bühne, zu einem Strauß gebunden, einer vierten Stückchen lag Frl. Herterich recht gut und
verständnisvoll empfänglichen Zuschauerschar vor die Ilona gab denn Frau Irene Triesch Gelegen¬
heit, ihre erstaunliche Vielseitigkeit zu bewähren.
gesetzt. Nicht alle sieben freilich, aber doch fünf,
den Zeitumfang eines Theaterabends gerade füllen. Diese temperamentsprühende kleine Frau, anschmieg¬
Zwei dieser kleinen, pikanten Dialoge und sam und schmeichelnd wie ein Kätzchen, ungebärde
Szenen sind hier schon früher gespielt worden. „Die wie eine Wildkatze, ist das wirklich unsere reichbeseelte
Ibsen=Darstellerin, wirklich die geistgetragene Jeanne
Frage an das Schicksal im Residenz=Theater
d'Are, wirklich die Priesterin im Tempel unserer klassi¬
mit Jarno als Anatol, das „Abschiedssouper" wurde
hier sogar viel und oft und auf sehr vielen Bühnenschen Dichtung
Der ganze Anatol-Abend ist als eine hübsche
gegeben, mit Hansi Niese, mit Gisela Schneider=Nissen
Studie zur Kenntnis von Schnitzlers Entwick¬
mit der Sorma sogar, und mit der ersten Dar¬
stellerin der Rolle, mit Adele Sandrock. In ihrem ung, nicht als Charakterisierung Schnitzlers an¬
Zusammenhange erst, in ihrer Geschlossenheit, geben zusehen. Derlei auf einen ironisch-pessimistischen
Ton gestimmte Jugendarbeiten haben viele unserer
die fünf von den sieben Anatol-Szenen ein Bild des
Dramatiker einmal veröffentlicht. Sudermanns
jugendlichen Verfassers, des Arthur Schnitzler vor
Geschichten „Im Zwielicht" sind den Schnitzlerschen
1890 oder 1891.
Skizzen nahe verwandt.
Nur daß uns hier
Daß die fünf kleinen Schöpfungen weder einzeln
Dramen irgendwelcher Art bilden, noch insgesamt zu manche aus Uebermut in Wehmut, aus Wehmut in
Uebermut umspringende Momente
so recht
einem einheitlichen Stück sich zusammenschließen, ob¬
wohl die zwei männlichen handelnden oder sprechen Wienerisch anmuten, wie Straußische Melodien.
Nur daß der „leichtsinnige Melancholiker Anatol die
den Personen dieselben bleiben und auch die
weiblichen nur die Namen wechseln, das würde Züge des jungen Schnitzler zeigt. Dem ge¬
reiften Schnitzler von heute werden wir an gleicher
dem Erfolge wahrlich keinen Eintrag tun. Gerade
J. L.
unsere Zeit hat ja eine fast krankhafte Vorliebe Stätte bald wieder begegnen.
für alles was von der Norm, vom Gewohnten ab¬
weicht. Aber die immer wieder, immer aufs Neue sich
wiederholenden Gespräche über das Thema Liebe er¬
müden — oder eigentlich über das Thema „Lie¬
belei. Denn erste, flüchtige Entwürfe zum erfolg¬
reichsten Stück Schnitzlers, zu „Liebelei, stellen diese
Szenen dar: Erste Skizzen zu dem später so vor¬
trefflich, so meisterlich ausgeführten Porträt des
sind
Wiener füßen Mädels. Die Gespräche
jedesmal durch ein pikantes Beispiel, durch
ein psychologisches Experiment belebt, aber die
manieriert pessimistische Weltanschauung, die in diesen
Gesprächen und Beispielen sich kundgibt, ist nirgends
xtrakt von Leben und Erfahrung, sondern überall
nur Aeußerung genialischer Altklugheit. Ein etwas
affektiert müdes Dekadententum geht träg durch diese
Szenen. Sie sind das Wiener Gigerltum, auf eine
feine sozialphilosophische Formel gebracht, zu einer
geistvollen oder witzigen Pointe zugespitzt. Sie atmen
den Geist des ehemaligen Wiener Café-Stammtisches
in Schnitzlerscher Verfeinerung.
Die „Frage an das Schicksal" hat hie¬
schon früher eine angeregte Zuhörerschaft mit einem
heiteren Erfolg beantwortet. Anatol hypnotisiert sein
füßes Mädel, diesmal heißt es Cora, um die Wahr¬
heit, die lauterste Wahrheit zu erfahren, ob sie ihm treu
ist. So treu wie er selbst es — nie sein kann. Aber
er hat schließlich Angst vor der Wahrheit und weckt
die Kleine, ehe er die gefährliche Frage wagt, um
glücklich zu bleiben in der Illusion. „Weihnachts¬
einkäufe nennt sich die zweite, novellistische Dialog¬
skizze. Anatol malt einer anständigen Frau, der er
einst vergeblich den Hof machte, das Glück aus, das
er bei einem Vorstadtkind gefunden; die Eifersucht er¬
weckt nun ihre Liebe, vor der sie freilich ängstlich
flieht. Der Inszenierung gibt diese Szene eine schwere
Aufgabe, denn die schwüle Erörterung findet bei
rechter Winterkälte auf der Straße statt. Kühl ließ
dies kleine Werk denn auch die Hörerschaft, trotz sehr
feiner Bemerkungen.
Das „Abschiedssouper, die Anekdote von
Anatol, der seine Tänzerin verabschieden will, der
aber entsetzt ist, da er von ihr verabschiedet wird, übte
die stärkste Wirkung des Abends, die altgewohnte
Wirkung. „Episode" ist wieder eine kleine, nicht
eben neue Pikanterie. Anatol bildet sich ein, seine
Liebesbegegnung mit Bianca sei für sie Lebens¬
schicksal geworden und ist enttäuscht, da sie ihn nicht
wiedererkennt. Die keckste der fünf Szenen ist „Anatols