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4.9. Anatol - Zyklus
Telephon 12.80.
OBSER
österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
chrichten
telligen Blatt
vom 29.
Frankfurt a. M.
zweite Stuck „Weihnachtseinkäufe, es bemüht sich mäßiger ausmalen können. So im Handumdrehen
soll das Zurechtfinden gar nicht abgehen. Frl.
schon ein wenig tiefer in das Seelenleben der
Kunst und Wissenschaft.
Wulf hatte in der Straßenszene die einzige
Frau. Die beneidete vornehme Dame beneidet
Dame aus der gebildeten Gesellschaft zu geben.
ihrerseits die süßen Mädels um ihre ungeniert
Arthur Schnitzlers „Anatol.
Es läßt sich daraus wesentlich mehr machen, aber
selbstverständliche Hingabe an die Gunst des
dazu müßte die Sprache weniger gepreßt und
Augenblicks, zu der sie selber nach Erziehung und
Fünf Einakter im Frankfurter Schauspielhaus.
maniriert behandelt werden. Hübsch gab Fräulein
Ueberlegung nicht den Mut findet. „So macht
Eine späte Premiere brachte kürzlich das Ber¬
Gewissen Feige aus uns allen sagt Hamlet, Wo-Sangora die Anni, das Ballettmädchen von der
liner Lessingtheater heraus. Seit achtzehn Jahren
nichtsentimentalen Art, trefflich Fräulein Hart¬
bei dann auch viel Aermlicheres als „Gewissen
kennt man das Buch des jugendlichen Schnitzler
mann die Zirkusdame mit der liebenswürdigen
mit seinen frisch nach dem Leben festgehaltenen Ge¬ ausgegeben wird. Dann kam das „Abschieds¬
Geschäftsmäßigkeit, deren gesunde Ehrlichkeit der
souper, das auch diesmal den meisten Erfolg hatte
stalten des Wiener Lebemanns und seiner „süßen
trüben Empfindsamkeit des egoistischen Melancho¬
mit seinem Ballettmädel, das sich mit Genuß einen
Mädels" aus der Vorstadt
Dieser Anatol, so
likers so ernüchternd in die kümmerliche Gefühls¬
letzten Schwips holt, um sich dann mit der Liebe
wenig er von einem „Charakter" hat, ist der
seligkeit fährt. Am besten aber traf Fräulein
eines Kollegen zu begnügen, der ihr keine Soupers
charakteristische Vertreter jener goldenen Jugend
Irmen den kleinen Satan des letzten Stücks; sie
leisten kann. Und diese Entsagung bringt Hoch¬
ohne Lebensernst: nichtstuerisch, elegant, liebens¬
gefühl, weil sie einmal etwas anderes ist. Die war zärtlich, liebenswürdig anmaßend, und köstlich
würdig, immer auf sein Vergnügen bedacht, dessen
„Episode spielt wie das Anfangs= und das wienerisch in ihrem Zernesausbruch: „Ihr wollt's
Inbegriff die kleine Freundin ist; nur darf das
mich nicht auslassen?" Herr Bolz sprach den
Schlußkapitel zu viel auf dem gleichen Moll¬
Verhältnis nicht lästig werden, und darum muß
Prolog von Hoffmannsthal mit klarer Gliederung
Akkord, aber es liegt Stimmung darin, die bei
es wechseln, bevor es gefährlich werden könnte.
und gab sich auch alle Mühe, den ganzen Nach¬
guter Darstellung sowohl über das Alter des Mo¬
Das bischen Melancholie über dem Abschieds¬
druck auf die Schlußwendung mit ihrer Parallele
tivs wie über die Breite der Verarbeitung hin¬
souper paßt gerade recht zu der Weichlichkeit
zu legen, die auf die Ewigkeit des gleichen Spiels
weghilft. „Anatols Hochzeitsmorgen" endlich
solchen Scheindaseins ohne große Leidenschaften
und seiner Spielarten bei allem Wandel der
rettet das Ganze vor zu trockenem Ausgang durch
ohne Fähigkeit zur Begeisterung und dient zur
äußeren Formen und der Zeitläufe hinweist.
einen kühnen Griff ins Derbkomische: die mit der
Rechtfertigung vor sich selbst, daß man doch auch
Dennoch sieht man die Notwendigkeit dieses Pro¬
tragischen Geste angedrohte Katastrophe wandelt
kein Unmensch ist, daß man sogar mit der eigenen
sich bei kleiner Eitelkeit und Schadenfreude in logs zur Einführung nicht ein, da er den fünf
Flatterhaftigkeit ein herzinniges Mitleid haben
Episoden kein einheitliches Gerüst baut und den
einen ernüchternden Ausblick auf weitere fünf Akte
darf. Das hilft dann trefflich über das unbehag
Zuschauern eher die Meinung beibringt, sie sollten
des gleichen Lieds. Je nachdem sie danach ist, hat
liche Gefühl begangenen Unrechts hinweg.
sich auf das Rokoko von 1760 gefaßt machen. Insze¬
ja allerdings die Braut dieses Anatol gründlicheren
Literarisch bedeutend sind die fünf Einakter
Anlaß zur Betrübnis, als Ilona oder Cora. Herr nierung und Ausstattung waren im Ganzen sach¬
nicht, gefällig begnügen sie sich mit der Oberfläche
Lengbach spielte den Anatol in allen fünf gemäß und stilvoll, nur die Schaufensterszene gab
der Erscheinungen, ohne mehr als deren getreues
keine Illusion und die völlige Menschenleere der
Stücken mit vielen Nuancen und kleinen Stim¬
Abbild sein zu wollen, aber sie halten mit ihrem
Straße ließ befürchten, daß die armen Laden¬
mungsreizen, die den an sich nicht besonders rei¬
frisch geschriebenen Dialog eine gewisse Kulturlinie
inhaber an diesem Weihnachtsabend nicht auf die
vollen „leichtsinnigen Melancholiker in seinen
inne und sind von den Wienern auch als ihres
Beleuchtungskosten gekommen sein dürften. Ein
Nöten und Katzenjammerlichkeiten für andauerndes
Wesens Spiegelbild anerkannt worden, ja, man
wenig Aufmachung gehört dazu, die Aufmerksam¬
Interesse würdig erhielten. Das Tempo aller¬
bemühte sich sogar, ihm ähnlich zu bleiben. Das
keit braucht darum von dem Gespräch der Beiden
dings ließ er, besonders in der „Episode gar zu
nennt man zwischen Kunst und Leben die Wechsel¬
noch nicht abgelenkt zu werden.
behaglich schleppen. Herr Bauer traf die
wirkung. Eins der Stückchen, das „Abschieds¬
souper, ist bei manchen Bühnen angekommen, das wienerische Spielart liebenswürdiger Freundschaft
sehr lebenswarm, den „Hauch kalter, gesunder
Ganze aber blieb ein literarischer Erfolg;
Heiterkeit" aber spürte man doch zu wenig, selbst
den dramatischen holte sich der Verfasser
im „Abschiedssouper“ hatte er seine wohlgemessene
dann mit einer energischeren Zusammenfassung des
Temperatur, und das war am Ende auch, ganz
nämlichen Stoffes in der „Liebelei", die bis heute
gesund. Die süßen Mädels" waren natürlich in
sein bekanntestes Bühnenwerk geblieben ist.
jedem Akte andere. Fräulein Urban hätte in der
Nach Brahms Beispiel hat nun auch unser
„Frage an das Schicksal“, diesem modernen Seiten¬
Schauspielhaus mit einer Gesamtaufführung der
stückchen zu Rabelais köstlicher Satire auf den
fünf Einakter den Versuch gemacht und die auch
unruhvollen Hahnrei in „Gargantua und Panta¬
gelegentlich aufgeführte „Frage an das Schicksal
an die Spitze gestellt. Den feineren Zug hat das gruel", das Erwachen aus der Hypnose wahrheits¬
4.9. Anatol - Zyklus
Telephon 12.80.
OBSER
österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
chrichten
telligen Blatt
vom 29.
Frankfurt a. M.
zweite Stuck „Weihnachtseinkäufe, es bemüht sich mäßiger ausmalen können. So im Handumdrehen
soll das Zurechtfinden gar nicht abgehen. Frl.
schon ein wenig tiefer in das Seelenleben der
Kunst und Wissenschaft.
Wulf hatte in der Straßenszene die einzige
Frau. Die beneidete vornehme Dame beneidet
Dame aus der gebildeten Gesellschaft zu geben.
ihrerseits die süßen Mädels um ihre ungeniert
Arthur Schnitzlers „Anatol.
Es läßt sich daraus wesentlich mehr machen, aber
selbstverständliche Hingabe an die Gunst des
dazu müßte die Sprache weniger gepreßt und
Augenblicks, zu der sie selber nach Erziehung und
Fünf Einakter im Frankfurter Schauspielhaus.
maniriert behandelt werden. Hübsch gab Fräulein
Ueberlegung nicht den Mut findet. „So macht
Eine späte Premiere brachte kürzlich das Ber¬
Gewissen Feige aus uns allen sagt Hamlet, Wo-Sangora die Anni, das Ballettmädchen von der
liner Lessingtheater heraus. Seit achtzehn Jahren
nichtsentimentalen Art, trefflich Fräulein Hart¬
bei dann auch viel Aermlicheres als „Gewissen
kennt man das Buch des jugendlichen Schnitzler
mann die Zirkusdame mit der liebenswürdigen
mit seinen frisch nach dem Leben festgehaltenen Ge¬ ausgegeben wird. Dann kam das „Abschieds¬
Geschäftsmäßigkeit, deren gesunde Ehrlichkeit der
souper, das auch diesmal den meisten Erfolg hatte
stalten des Wiener Lebemanns und seiner „süßen
trüben Empfindsamkeit des egoistischen Melancho¬
mit seinem Ballettmädel, das sich mit Genuß einen
Mädels" aus der Vorstadt
Dieser Anatol, so
likers so ernüchternd in die kümmerliche Gefühls¬
letzten Schwips holt, um sich dann mit der Liebe
wenig er von einem „Charakter" hat, ist der
seligkeit fährt. Am besten aber traf Fräulein
eines Kollegen zu begnügen, der ihr keine Soupers
charakteristische Vertreter jener goldenen Jugend
Irmen den kleinen Satan des letzten Stücks; sie
leisten kann. Und diese Entsagung bringt Hoch¬
ohne Lebensernst: nichtstuerisch, elegant, liebens¬
gefühl, weil sie einmal etwas anderes ist. Die war zärtlich, liebenswürdig anmaßend, und köstlich
würdig, immer auf sein Vergnügen bedacht, dessen
„Episode spielt wie das Anfangs= und das wienerisch in ihrem Zernesausbruch: „Ihr wollt's
Inbegriff die kleine Freundin ist; nur darf das
mich nicht auslassen?" Herr Bolz sprach den
Schlußkapitel zu viel auf dem gleichen Moll¬
Verhältnis nicht lästig werden, und darum muß
Prolog von Hoffmannsthal mit klarer Gliederung
Akkord, aber es liegt Stimmung darin, die bei
es wechseln, bevor es gefährlich werden könnte.
und gab sich auch alle Mühe, den ganzen Nach¬
guter Darstellung sowohl über das Alter des Mo¬
Das bischen Melancholie über dem Abschieds¬
druck auf die Schlußwendung mit ihrer Parallele
tivs wie über die Breite der Verarbeitung hin¬
souper paßt gerade recht zu der Weichlichkeit
zu legen, die auf die Ewigkeit des gleichen Spiels
weghilft. „Anatols Hochzeitsmorgen" endlich
solchen Scheindaseins ohne große Leidenschaften
und seiner Spielarten bei allem Wandel der
rettet das Ganze vor zu trockenem Ausgang durch
ohne Fähigkeit zur Begeisterung und dient zur
äußeren Formen und der Zeitläufe hinweist.
einen kühnen Griff ins Derbkomische: die mit der
Rechtfertigung vor sich selbst, daß man doch auch
Dennoch sieht man die Notwendigkeit dieses Pro¬
tragischen Geste angedrohte Katastrophe wandelt
kein Unmensch ist, daß man sogar mit der eigenen
sich bei kleiner Eitelkeit und Schadenfreude in logs zur Einführung nicht ein, da er den fünf
Flatterhaftigkeit ein herzinniges Mitleid haben
Episoden kein einheitliches Gerüst baut und den
einen ernüchternden Ausblick auf weitere fünf Akte
darf. Das hilft dann trefflich über das unbehag
Zuschauern eher die Meinung beibringt, sie sollten
des gleichen Lieds. Je nachdem sie danach ist, hat
liche Gefühl begangenen Unrechts hinweg.
sich auf das Rokoko von 1760 gefaßt machen. Insze¬
ja allerdings die Braut dieses Anatol gründlicheren
Literarisch bedeutend sind die fünf Einakter
Anlaß zur Betrübnis, als Ilona oder Cora. Herr nierung und Ausstattung waren im Ganzen sach¬
nicht, gefällig begnügen sie sich mit der Oberfläche
Lengbach spielte den Anatol in allen fünf gemäß und stilvoll, nur die Schaufensterszene gab
der Erscheinungen, ohne mehr als deren getreues
keine Illusion und die völlige Menschenleere der
Stücken mit vielen Nuancen und kleinen Stim¬
Abbild sein zu wollen, aber sie halten mit ihrem
Straße ließ befürchten, daß die armen Laden¬
mungsreizen, die den an sich nicht besonders rei¬
frisch geschriebenen Dialog eine gewisse Kulturlinie
inhaber an diesem Weihnachtsabend nicht auf die
vollen „leichtsinnigen Melancholiker in seinen
inne und sind von den Wienern auch als ihres
Beleuchtungskosten gekommen sein dürften. Ein
Nöten und Katzenjammerlichkeiten für andauerndes
Wesens Spiegelbild anerkannt worden, ja, man
wenig Aufmachung gehört dazu, die Aufmerksam¬
Interesse würdig erhielten. Das Tempo aller¬
bemühte sich sogar, ihm ähnlich zu bleiben. Das
keit braucht darum von dem Gespräch der Beiden
dings ließ er, besonders in der „Episode gar zu
nennt man zwischen Kunst und Leben die Wechsel¬
noch nicht abgelenkt zu werden.
behaglich schleppen. Herr Bauer traf die
wirkung. Eins der Stückchen, das „Abschieds¬
souper, ist bei manchen Bühnen angekommen, das wienerische Spielart liebenswürdiger Freundschaft
sehr lebenswarm, den „Hauch kalter, gesunder
Ganze aber blieb ein literarischer Erfolg;
Heiterkeit" aber spürte man doch zu wenig, selbst
den dramatischen holte sich der Verfasser
im „Abschiedssouper“ hatte er seine wohlgemessene
dann mit einer energischeren Zusammenfassung des
Temperatur, und das war am Ende auch, ganz
nämlichen Stoffes in der „Liebelei", die bis heute
gesund. Die süßen Mädels" waren natürlich in
sein bekanntestes Bühnenwerk geblieben ist.
jedem Akte andere. Fräulein Urban hätte in der
Nach Brahms Beispiel hat nun auch unser
„Frage an das Schicksal“, diesem modernen Seiten¬
Schauspielhaus mit einer Gesamtaufführung der
stückchen zu Rabelais köstlicher Satire auf den
fünf Einakter den Versuch gemacht und die auch
unruhvollen Hahnrei in „Gargantua und Panta¬
gelegentlich aufgeführte „Frage an das Schicksal
an die Spitze gestellt. Den feineren Zug hat das gruel", das Erwachen aus der Hypnose wahrheits¬