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4.9. Anato
Zyklus
Bitte Rückseite beachten!
Telephon 12.801.
et
OBSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für
Zeitungsausschnitte
Wien, I., Konkordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis.
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
ellenangabe ohne Gewähr).
vor Nachten
Ausschnitt aus:
Hamburg
vom 3. 5 1911
Deutsches Schauspielhaus.
Anatol von Arthur Schnitzler.
Die sieben Gespräche des „Anatol=Buches sind das
Bekenntnis eines Dreißigjährigen. Als Erstlingswerk Arthur
Schnitzlers ist der schlanke Band mit einem moschusweichen
Rokokoprologe des achtzehnjährigen Gymnasiasten Hugo von
Hofmannsthal im Jahre 1893 erschienen. Die Mädchen¬
Katastrophen „Das Märchen“ und „Liebelei“ folgten nach
dieser gedämpften Ouvertüre. Con sordino spielte
Schnitzler mit dem atlaszarten Poeten der szenischen So¬
nate „Gestern die mildesten Cello=Träume vor. Schon
waren die Bildhauer geneigt, das künftige Denkmal des
Aratolsängers in Sèvres-Biskuit oder in kaiserlich=alt¬
wienerischer Porzellanmasse zu denken. Wobei sie in
ihren Entwürfen den glorifizierten Dichter von der musen¬
haften Gestalt eines „süßen Mädels" mit Oleanderblüten
und Fliederzweigen bekränzen ließen. Da zerbrach Arthur
Schnitzler mit entrüsteter Faust den goldenen Käfig, der
ihn allzu literarisch beengte. Dramen aus Blut und Feuer
schlugen den falschen Sezessionisten ins Gesicht. Das „Ver¬
mächtnis“, der „Grüne Kakadu", der „Schleier der
Beatrice“ die „Lebendigen Stunden", der „Einsame Weg
das „Zwischenspiel, der „Ruf des Lebens wurden ein
siebenfältiges Ereignis. Inzwischen war auch Hofmanns¬
thal bei seiner tierischen „Elektra“ angelangt. Das süße
Mädel lag in Scherben. Wenn das traditionelle Mai¬
lüfterl darüber hinstrich, seufzten die papierdünnen Trüm¬
mer melancholisch=heiter auf. Aber eine neue Tradition
hub an. Und in der Bühnenhistorie des „Jungen Herrn
schicksalformender
Medardus“ meldete sich (1909) ein
Meister, der seine kunstgewerbliche Periode endgiltig über¬
wunden hatte und nun zwischen monumentalen Gebilden
als großzügiger Plastiker dastand. „Beatrice" und „Me¬
dardus“ sind die Gipfel seines Oeuvres. Wer heute ein
Schnitzler=Denkmal entwerfen will, kann die winzige
Figur des süßen Mädels nur noch als galvanoplastisches
Zierstück auf der Rückseite des steinernen Sockels ver¬
wenden.
Ein Theater, das mit der Zeit und mit den Ent¬
wicklungen der zeitgenössischen Dichter Schritt hält und
nicht in bequemen Aufgaben sein Heil sucht, wird also die
fundamentalen und unbequemen Werke der respektiven
Autoren bevorzugen müssen. Aber das Deutsche Schau¬
spielhaus richtet sich nach Berlin. Berlin bringt den ver¬
ballhornten „Pourceaugnac. Das Hamburger Schauspiel¬
haus tut es auch. Berlin versucht den Amphitryon Mythos.
Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch. Berlin ser¬
viert: „Herr und Diener“, „Die drei Grazien“, „Der Feld¬
berrnhügel“. Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch.
Berlin gräbt (Winter 1910) fünf Szenen aus dem „Anatol¬
Zyklus aus. Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch
Dagegen wäre nun gar nichts zu sagen, wenn sich diese
ornamentalen Randleisten den Hauptschöpfungen Arthur
Schnitzlers als ergänzende Arabesken anschließen würden.
Wo aber bleibt die Bewältigung der großen und neueren
Werke: Die „Lebendigen Stunden“ und das „Zwischen¬
spiel stehen seit einigen Jahren im Repertoire oder in den
Archiven des Deutschen Schauspielhauses. Damit ist das
Schnitzler=Besitztum dieser Bühne erschöpft. Nun hat man
uns vor wenigen Monaten den „Schleier der Beatrice" in
Aussicht gestellt. Aber aus nichtsbesagenden Gründen wird
der mehrfach angekündigte „Schleier" auf einmal zurück¬
gezogen und dem nächsten Spieljahre vorbehalten. Wofür
der „Anatol“ Ersatz bieten soll. Gibt sich der Ehrgeiz des
Deutschen Schauspielhauses mit Miniaturen zufrieden, wo
ein Freskogemälde versprochen und erwartet wurde
Fünf Gespräche — fünf Beichten. Der Dichter zieht die
zierlichste Diagonale durch jene tragikomische Frauen¬
kennerschaft, die er als spielerisch überlegener Mensch
zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahre er¬
worben. Gedankenstimmungen wechseln mit Stimmungs¬
gedanken. Das Verhältnis zum „Weibe" spiegelt sich in
nervösen Reflexen. Spitze Gesichtswinkel, stumpfe Gesichts¬
winkel ergeben psychologische Guckkastenbilder, die am
äußersten Ende eines langgestreckten Stereoskops in lieb¬
lich ernsten Dämmerfarben zu tanzen scheinen. Der Weib¬
Begriff schwankt zwischen den Konturen der anspruchslosen
Vorstadtmädchen, der begehrlichen Maitressen, der an¬
standssichtigen Halbweltdamen und der halbanständigen
Weltdamen. Ein Wiener Gourmand führt seine Amouren
vor. Er stöbert in lebendigen und fast schon zu Ende ge¬
schriebenen Liebesbriefen. Jeder Brief ist eine Frau mit
den naturwissenschaftlichen Merkmalen ihres besonderen Typs.
Und jeder Typ ist eine szenische Skizze, die knisternd und
duftend verbrennt. „Die Frage an das Schicksal“, „Weih¬
nachtseinkäufe", „Abschiedssouper", „Episode, „Anatols
Hochzeitsmorgen" bilden in dieser summarischen Art einen
rätselhältigen Reigen. Inmitten der wirbelnden Kette
steht Anatol. Steht ein Pierrot im Frack. Er ist Melan¬
choliker und Optimist, Träumer und Realpolitiker, Frauen¬
lob und Zyniker, Troubadour und Büßer, Abenteurer und
Mönch, Kantianer und Nietzscheaner, Leichenbitter und Har¬
lekin, Totengräber und Auferstehungsapostel, Neurasthe¬
niker und Phlegmatiker, Philister und Genie. Geist und
Grazie bewegen den komplizierten und doch so einfältigen
Mechanismus dieses wienerischen Don=Juans. Aber man
fügt sich ohne Widerspruch der Stimmungsgewalt seiner
nachdenklichen Launen, weil er im Grunde das autobio¬
graphische Geschöpf eines echten, lieben und starken
Dichters ist.
Dieser Stimmungsgewalt, die den magischen Zauber des
Zwielichts hat, sucht das Deutsche Schauspielhaus sozusagen
bei hellem Tage beizukomm
die doch sonst stilistische Neig¬
ganz ausschließlich mit na
sieht vier kompakt gestellte
„Ausstellung bemalter Woh¬
dem Kamin der ersten un
ein Hamburgisches Heidebild¬
im Wohnraume des Wien
Dazu gesellt sich im zweiter
machung einer Wiener Stra
Spaziergängern und Gesch
von Ed. Weishappel, Seife
Brandhuber“). Auch ein re¬
ohne Zylinder) fährt zwei
nimmt die Heldin eines für
gesprächs auf. So werden
unausgesprochenen Dramer
Zeitseele. Und die Galerie
und Darstellerinnen geher
erster Linie Heinrich Lang¬
intensivere Ueberlegenheit,
winnen muß. Hermann
versagt und läßt Rober
bewünschen. Eugenie
und Tony Heydor se
pikantesten Weiblichkeiten.
aber ungezügeltes Tempero
Strange.
4.9. Anato
Zyklus
Bitte Rückseite beachten!
Telephon 12.801.
et
OBSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für
Zeitungsausschnitte
Wien, I., Konkordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis.
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
ellenangabe ohne Gewähr).
vor Nachten
Ausschnitt aus:
Hamburg
vom 3. 5 1911
Deutsches Schauspielhaus.
Anatol von Arthur Schnitzler.
Die sieben Gespräche des „Anatol=Buches sind das
Bekenntnis eines Dreißigjährigen. Als Erstlingswerk Arthur
Schnitzlers ist der schlanke Band mit einem moschusweichen
Rokokoprologe des achtzehnjährigen Gymnasiasten Hugo von
Hofmannsthal im Jahre 1893 erschienen. Die Mädchen¬
Katastrophen „Das Märchen“ und „Liebelei“ folgten nach
dieser gedämpften Ouvertüre. Con sordino spielte
Schnitzler mit dem atlaszarten Poeten der szenischen So¬
nate „Gestern die mildesten Cello=Träume vor. Schon
waren die Bildhauer geneigt, das künftige Denkmal des
Aratolsängers in Sèvres-Biskuit oder in kaiserlich=alt¬
wienerischer Porzellanmasse zu denken. Wobei sie in
ihren Entwürfen den glorifizierten Dichter von der musen¬
haften Gestalt eines „süßen Mädels" mit Oleanderblüten
und Fliederzweigen bekränzen ließen. Da zerbrach Arthur
Schnitzler mit entrüsteter Faust den goldenen Käfig, der
ihn allzu literarisch beengte. Dramen aus Blut und Feuer
schlugen den falschen Sezessionisten ins Gesicht. Das „Ver¬
mächtnis“, der „Grüne Kakadu", der „Schleier der
Beatrice“ die „Lebendigen Stunden", der „Einsame Weg
das „Zwischenspiel, der „Ruf des Lebens wurden ein
siebenfältiges Ereignis. Inzwischen war auch Hofmanns¬
thal bei seiner tierischen „Elektra“ angelangt. Das süße
Mädel lag in Scherben. Wenn das traditionelle Mai¬
lüfterl darüber hinstrich, seufzten die papierdünnen Trüm¬
mer melancholisch=heiter auf. Aber eine neue Tradition
hub an. Und in der Bühnenhistorie des „Jungen Herrn
schicksalformender
Medardus“ meldete sich (1909) ein
Meister, der seine kunstgewerbliche Periode endgiltig über¬
wunden hatte und nun zwischen monumentalen Gebilden
als großzügiger Plastiker dastand. „Beatrice" und „Me¬
dardus“ sind die Gipfel seines Oeuvres. Wer heute ein
Schnitzler=Denkmal entwerfen will, kann die winzige
Figur des süßen Mädels nur noch als galvanoplastisches
Zierstück auf der Rückseite des steinernen Sockels ver¬
wenden.
Ein Theater, das mit der Zeit und mit den Ent¬
wicklungen der zeitgenössischen Dichter Schritt hält und
nicht in bequemen Aufgaben sein Heil sucht, wird also die
fundamentalen und unbequemen Werke der respektiven
Autoren bevorzugen müssen. Aber das Deutsche Schau¬
spielhaus richtet sich nach Berlin. Berlin bringt den ver¬
ballhornten „Pourceaugnac. Das Hamburger Schauspiel¬
haus tut es auch. Berlin versucht den Amphitryon Mythos.
Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch. Berlin ser¬
viert: „Herr und Diener“, „Die drei Grazien“, „Der Feld¬
berrnhügel“. Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch.
Berlin gräbt (Winter 1910) fünf Szenen aus dem „Anatol¬
Zyklus aus. Das Hamburger Schauspielhaus tut es auch
Dagegen wäre nun gar nichts zu sagen, wenn sich diese
ornamentalen Randleisten den Hauptschöpfungen Arthur
Schnitzlers als ergänzende Arabesken anschließen würden.
Wo aber bleibt die Bewältigung der großen und neueren
Werke: Die „Lebendigen Stunden“ und das „Zwischen¬
spiel stehen seit einigen Jahren im Repertoire oder in den
Archiven des Deutschen Schauspielhauses. Damit ist das
Schnitzler=Besitztum dieser Bühne erschöpft. Nun hat man
uns vor wenigen Monaten den „Schleier der Beatrice" in
Aussicht gestellt. Aber aus nichtsbesagenden Gründen wird
der mehrfach angekündigte „Schleier" auf einmal zurück¬
gezogen und dem nächsten Spieljahre vorbehalten. Wofür
der „Anatol“ Ersatz bieten soll. Gibt sich der Ehrgeiz des
Deutschen Schauspielhauses mit Miniaturen zufrieden, wo
ein Freskogemälde versprochen und erwartet wurde
Fünf Gespräche — fünf Beichten. Der Dichter zieht die
zierlichste Diagonale durch jene tragikomische Frauen¬
kennerschaft, die er als spielerisch überlegener Mensch
zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahre er¬
worben. Gedankenstimmungen wechseln mit Stimmungs¬
gedanken. Das Verhältnis zum „Weibe" spiegelt sich in
nervösen Reflexen. Spitze Gesichtswinkel, stumpfe Gesichts¬
winkel ergeben psychologische Guckkastenbilder, die am
äußersten Ende eines langgestreckten Stereoskops in lieb¬
lich ernsten Dämmerfarben zu tanzen scheinen. Der Weib¬
Begriff schwankt zwischen den Konturen der anspruchslosen
Vorstadtmädchen, der begehrlichen Maitressen, der an¬
standssichtigen Halbweltdamen und der halbanständigen
Weltdamen. Ein Wiener Gourmand führt seine Amouren
vor. Er stöbert in lebendigen und fast schon zu Ende ge¬
schriebenen Liebesbriefen. Jeder Brief ist eine Frau mit
den naturwissenschaftlichen Merkmalen ihres besonderen Typs.
Und jeder Typ ist eine szenische Skizze, die knisternd und
duftend verbrennt. „Die Frage an das Schicksal“, „Weih¬
nachtseinkäufe", „Abschiedssouper", „Episode, „Anatols
Hochzeitsmorgen" bilden in dieser summarischen Art einen
rätselhältigen Reigen. Inmitten der wirbelnden Kette
steht Anatol. Steht ein Pierrot im Frack. Er ist Melan¬
choliker und Optimist, Träumer und Realpolitiker, Frauen¬
lob und Zyniker, Troubadour und Büßer, Abenteurer und
Mönch, Kantianer und Nietzscheaner, Leichenbitter und Har¬
lekin, Totengräber und Auferstehungsapostel, Neurasthe¬
niker und Phlegmatiker, Philister und Genie. Geist und
Grazie bewegen den komplizierten und doch so einfältigen
Mechanismus dieses wienerischen Don=Juans. Aber man
fügt sich ohne Widerspruch der Stimmungsgewalt seiner
nachdenklichen Launen, weil er im Grunde das autobio¬
graphische Geschöpf eines echten, lieben und starken
Dichters ist.
Dieser Stimmungsgewalt, die den magischen Zauber des
Zwielichts hat, sucht das Deutsche Schauspielhaus sozusagen
bei hellem Tage beizukomm
die doch sonst stilistische Neig¬
ganz ausschließlich mit na
sieht vier kompakt gestellte
„Ausstellung bemalter Woh¬
dem Kamin der ersten un
ein Hamburgisches Heidebild¬
im Wohnraume des Wien
Dazu gesellt sich im zweiter
machung einer Wiener Stra
Spaziergängern und Gesch
von Ed. Weishappel, Seife
Brandhuber“). Auch ein re¬
ohne Zylinder) fährt zwei
nimmt die Heldin eines für
gesprächs auf. So werden
unausgesprochenen Dramer
Zeitseele. Und die Galerie
und Darstellerinnen geher
erster Linie Heinrich Lang¬
intensivere Ueberlegenheit,
winnen muß. Hermann
versagt und läßt Rober
bewünschen. Eugenie
und Tony Heydor se
pikantesten Weiblichkeiten.
aber ungezügeltes Tempero
Strange.