4.9. Anatol
lose & Seidel
für Zeitungsausschnitte.
. 43, Georgenkirchplatz 21
le meisten Zeitungen und ist das
lierteste Barons Deutschland)
Landeszt.
Braunschweig
Ma
7.
box 9/1
Braunschweigische Landeszeitung.
charakteristisch ist, und seinen Bühnendichterruhm be¬ auf der Chaiselongue herumrangelt und mit den Beiner
gründete, andererseits aber auch das Wiener „süße Ma¬
in der Luft strampelt, bis zur vollen Echtheit jedes To
del", das durch Schnitzler eigentlich erst für die Bühne nes und jeder Geste unterzutauchen.
entdeckt wurde, dort heimisch gemacht hat. Die in ihrer
Das Publikum, das durch keine übermäßig langer
ganzen Gestaltung merkwürdig reife Jugend=Dichtung
Pausen aus der Stimmung gerissen wurde, dankte sehr
sie ist bereits im Jahre 1902 erschienen und
freundlich für den Abend. Wir auch
jetzt also zwanzig Jahre alt — trägt schon alle
Chr. Satz,
Züge von Schnitzlers literarischem Charakte¬
scharf ausgeprägt an sich: seine sichere Beobachtung der
Wirklichkeit, seinen ausgesprochenen, aber durch ein wei¬
ches Stimmungselement gemilderten Naturalismus,
seine Vorliebe für das rauschende Großstadtleben Wiens
mit seiner sinnenfreudigen, schwülen Atmosphäre und
endlich seinen geistvollen Feuilletonismus, der sich am
liebsten in den kleinen Formen der dramatischen Skizze
ausgibt. Der Zyklus besteht aus einer glänzenden Folge
von in sich abgeschlossenen Augenblicksbildern aus dem
Dasein eines Lebemannes, dessen Widersprüche und in¬
nere Unwahrheit er mit sprühendem Humor ans Licht
bringt. Ohne von allzu viel Handlung belastet zu sein,
sind es fast mehr Dialoge, in denen zwei Freunde über
das Thema „Liebe" disputierten, und jedesmal eine Frau
durch Haltung und Benehmen den Streit entscheidet.
Aber die Dichtung geht nicht auf in der komischen Spie¬
gelung des großstädtischen high life. Ihre Lustigkeit
hat einen ernsteren Hintergrund, denn die Szenenreihe
entwirft das Bild einer unter der Herrschaft der Mo¬
derne weit verbreiteten Krankheit, die daria besteht, daß
man in einer Sensibilität, die wehrlos jedem Eindruck
preisgegeben ist, das Kennzeichen einer vornehmen Na¬
tur und die Garantie eines verfeinerten Lebensgenusses
sieht. Schnitzlers Anatole ist ein Schwächling dieser
Art, der stolz auf seine Schwäche ist. Nicht stark genug,
seine Leidenschaft zu zügeln, als Zögling einer hohen
Kultur zu reich und zu sein organisiert, die Liebe
obenhin in gedankenlosem Genießersinn, wie sein Freund
Max, zu genießen, läßt er sich durch ein gesteigertes Be¬
dürfnis nach immer neuen farbigen Eindrücken vom
Leben in verzehrender Hast von einer Liebe in die an¬
dere treiben, bis er, was uns die heutige Auswahl aus
den sieben Einzelbildern des „Anatole leider
vorenthielt, im letzten Stücke sich mühsam in den Armen
eines leidenschaftlichen Weibes anträgt, um, erschöpft
und kraftlos geworden, im Fühlen und Wollen, in ein¬
konventionelle, von vornherein zerrüttete Ehe zu wanken.
Es ist schade, daß man nicht noch oder wenigstens statt einem
der aufgeführten Einakter den „Hochzeitsmorgen uns ge¬
boten hat, der ganze Abend hätte dadurch eine schärfe
ausgeprägte Note, ein Ziel, seine eigentliche Pointe be¬
kommen. Immerhin waren es auch so genußreich¬
Stunden, ein Schmaus für Auge und Ohr, denn es
lebt in den Stücken eine Weichheit der Empfindung,
eine Grazie des Ausdrucks, eine Ungezwungenheit und
Nonchalance und zuletzt eine Echtheit des Kolorits,
wie wir sie vorden nur den Franzosen zutrauten.
Und die Aufführung mühte sich, mit sehr gutem Erfolg,
ein Spiegel dieser Stimmung zu sein, sowie äußerlich
das Kolorit so echt wie möglich wiederzugeben. Herrn
Müller=Heintz als Spielleiter gebührt dafür
vollste Anerkennung. Die Interieurs hatten alle einen
so feinen, intimen Reiz, boten so glänzende Rahmen
er die geistreichen Plaudereien und amüsanten Ge¬
schehnisse, daß eins das andere hob. Das Lob triff
noch viel mehr für die äußere Herrichtung des zweiten
Bildes zu, ein Straßenbild mit Gassen und Gäßchen
mit riefelnden Flocken und haftig eilenden Passan¬
ten voll Winterstimmung und Weihnachtswonne, und
— mit einem eleganten, veritablen Auto, in das
mit elegantem Schwung Lotte Horst verschwand, wäh¬
rend der Chauffeur ankurbelte...
In einem Punkte freilich haperte es etwas: Der
Anatol-Zyklus wurzelt so tief in wienerischer Erde, daß
er eigentlich nur von echten Wienern — wobei nicht nur
der Dialekt, sondern auch die ganze leichte Wiener Le¬
bensauffassung zu verstehen ist — gegeben werden kann
Ist das bei uns in Norddeutschland aus leicht verständ¬
lichen Ursachen nicht möglich, so geht die weiche Melodi¬
des Wienertums verloren, und es entstehen schärfere
Linien. Darunter litt die Aufführung etwas, wenn
gleich sich alle Mitwirkenden mit mehr oder minder Er¬
folg auch um den leichten Wiener Dialekt mühten. Aber
nur Robert Schneeweiß gelang restlos die Durch
führung. Aber nicht das allein sicherte ihm einen Vor
lose & Seidel
für Zeitungsausschnitte.
. 43, Georgenkirchplatz 21
le meisten Zeitungen und ist das
lierteste Barons Deutschland)
Landeszt.
Braunschweig
Ma
7.
box 9/1
Braunschweigische Landeszeitung.
charakteristisch ist, und seinen Bühnendichterruhm be¬ auf der Chaiselongue herumrangelt und mit den Beiner
gründete, andererseits aber auch das Wiener „süße Ma¬
in der Luft strampelt, bis zur vollen Echtheit jedes To
del", das durch Schnitzler eigentlich erst für die Bühne nes und jeder Geste unterzutauchen.
entdeckt wurde, dort heimisch gemacht hat. Die in ihrer
Das Publikum, das durch keine übermäßig langer
ganzen Gestaltung merkwürdig reife Jugend=Dichtung
Pausen aus der Stimmung gerissen wurde, dankte sehr
sie ist bereits im Jahre 1902 erschienen und
freundlich für den Abend. Wir auch
jetzt also zwanzig Jahre alt — trägt schon alle
Chr. Satz,
Züge von Schnitzlers literarischem Charakte¬
scharf ausgeprägt an sich: seine sichere Beobachtung der
Wirklichkeit, seinen ausgesprochenen, aber durch ein wei¬
ches Stimmungselement gemilderten Naturalismus,
seine Vorliebe für das rauschende Großstadtleben Wiens
mit seiner sinnenfreudigen, schwülen Atmosphäre und
endlich seinen geistvollen Feuilletonismus, der sich am
liebsten in den kleinen Formen der dramatischen Skizze
ausgibt. Der Zyklus besteht aus einer glänzenden Folge
von in sich abgeschlossenen Augenblicksbildern aus dem
Dasein eines Lebemannes, dessen Widersprüche und in¬
nere Unwahrheit er mit sprühendem Humor ans Licht
bringt. Ohne von allzu viel Handlung belastet zu sein,
sind es fast mehr Dialoge, in denen zwei Freunde über
das Thema „Liebe" disputierten, und jedesmal eine Frau
durch Haltung und Benehmen den Streit entscheidet.
Aber die Dichtung geht nicht auf in der komischen Spie¬
gelung des großstädtischen high life. Ihre Lustigkeit
hat einen ernsteren Hintergrund, denn die Szenenreihe
entwirft das Bild einer unter der Herrschaft der Mo¬
derne weit verbreiteten Krankheit, die daria besteht, daß
man in einer Sensibilität, die wehrlos jedem Eindruck
preisgegeben ist, das Kennzeichen einer vornehmen Na¬
tur und die Garantie eines verfeinerten Lebensgenusses
sieht. Schnitzlers Anatole ist ein Schwächling dieser
Art, der stolz auf seine Schwäche ist. Nicht stark genug,
seine Leidenschaft zu zügeln, als Zögling einer hohen
Kultur zu reich und zu sein organisiert, die Liebe
obenhin in gedankenlosem Genießersinn, wie sein Freund
Max, zu genießen, läßt er sich durch ein gesteigertes Be¬
dürfnis nach immer neuen farbigen Eindrücken vom
Leben in verzehrender Hast von einer Liebe in die an¬
dere treiben, bis er, was uns die heutige Auswahl aus
den sieben Einzelbildern des „Anatole leider
vorenthielt, im letzten Stücke sich mühsam in den Armen
eines leidenschaftlichen Weibes anträgt, um, erschöpft
und kraftlos geworden, im Fühlen und Wollen, in ein¬
konventionelle, von vornherein zerrüttete Ehe zu wanken.
Es ist schade, daß man nicht noch oder wenigstens statt einem
der aufgeführten Einakter den „Hochzeitsmorgen uns ge¬
boten hat, der ganze Abend hätte dadurch eine schärfe
ausgeprägte Note, ein Ziel, seine eigentliche Pointe be¬
kommen. Immerhin waren es auch so genußreich¬
Stunden, ein Schmaus für Auge und Ohr, denn es
lebt in den Stücken eine Weichheit der Empfindung,
eine Grazie des Ausdrucks, eine Ungezwungenheit und
Nonchalance und zuletzt eine Echtheit des Kolorits,
wie wir sie vorden nur den Franzosen zutrauten.
Und die Aufführung mühte sich, mit sehr gutem Erfolg,
ein Spiegel dieser Stimmung zu sein, sowie äußerlich
das Kolorit so echt wie möglich wiederzugeben. Herrn
Müller=Heintz als Spielleiter gebührt dafür
vollste Anerkennung. Die Interieurs hatten alle einen
so feinen, intimen Reiz, boten so glänzende Rahmen
er die geistreichen Plaudereien und amüsanten Ge¬
schehnisse, daß eins das andere hob. Das Lob triff
noch viel mehr für die äußere Herrichtung des zweiten
Bildes zu, ein Straßenbild mit Gassen und Gäßchen
mit riefelnden Flocken und haftig eilenden Passan¬
ten voll Winterstimmung und Weihnachtswonne, und
— mit einem eleganten, veritablen Auto, in das
mit elegantem Schwung Lotte Horst verschwand, wäh¬
rend der Chauffeur ankurbelte...
In einem Punkte freilich haperte es etwas: Der
Anatol-Zyklus wurzelt so tief in wienerischer Erde, daß
er eigentlich nur von echten Wienern — wobei nicht nur
der Dialekt, sondern auch die ganze leichte Wiener Le¬
bensauffassung zu verstehen ist — gegeben werden kann
Ist das bei uns in Norddeutschland aus leicht verständ¬
lichen Ursachen nicht möglich, so geht die weiche Melodi¬
des Wienertums verloren, und es entstehen schärfere
Linien. Darunter litt die Aufführung etwas, wenn
gleich sich alle Mitwirkenden mit mehr oder minder Er¬
folg auch um den leichten Wiener Dialekt mühten. Aber
nur Robert Schneeweiß gelang restlos die Durch
führung. Aber nicht das allein sicherte ihm einen Vor