4.9. Anatol - Zyklus
box 9/1
Ausschnitt auf
it
A
vom
gen
Theater und Musik.
Schners Anatol.
Köln. Vor de hat gestern das Deutsche
Theater fünf von den sieben Einaktern des Anatol-Julius auf¬
führt. Diese kleinen seinen dramatischen Arbeiten, die vor 21 Jahren
Schnitzler den ersten literarischen Ruhm brachten, fesseln bei der Lektüre
sowohl stofflich wie durch die geschmeidige, reizvolle Sprache, die Sicher¬
heit der Dialogführung, die außerordentlich geschickte Zuspitzung der Be¬
gebnisse zu geistreichen Schlußwendungen. Die Aufführung dieser
Stücke bietet insofern Schwierigkeiten, als das Wort peinliche Achtsam¬
keit verlangt, sollen manche Feinheiten und Klugheiten der Rede nicht
verloren gehen, und als die Gefahr besteht, durch Vergröberungen und
übertreibungen in Ton und Gebärde die Schnitzlersche Art zu entstellen,
Man wird der gestrigen Darbietung nachrühmen dürfen, daß sie in
ganzen der Schwierigkeiten Herr geworden ist. Die Regie des Herrn
Kuhnert hatte jedenfalls die besondere Wesenheit der Arbeiten gut erfaß
und brachte sie deutlich zur Geltung. Man weiß, um was es sich in
den Einaktern handelt, um kleine, sauber gerundete Szenen aus dem
Liebesleben des reichen beruflosen Junggesellen wienerischer Färbung, den
Schnitzler zu dem Typus Anatol erhoben hat. Dieser Anatol, der sich selbst
schönfärberisch als den „leichtsinnigen Melancholiken kennzeichnet, ist
der vornehme Müßiggänger, der seine kleinen Herzensangelegenheiten
sehr wichtig nimmt, ein „guter Junge, ohne viel Grütze im Kopf, ohne
lieferes Gefühl, unfähig starker Leidenschaft, ein wenig nachdenklich,
ein wenig sentimental, ein Freund der schönen Gebärde und der weichen
Stimmung. In fünf Situationen zeigt er uns seine kleine Seele. Die
Frage an das Schicksal; Anatol argwöhnt, daß die kleine hübsche
Näherin Cora ihm die Treue bricht. Die Hypnose erlaubt ihm, darüber
Gewißheit zu erlangen. Im entscheidenden Augenblick aber wagt er nicht,
die Frage zu stellen, da ihm seine Illusionen lieber sind
als die Wahrheit. — Weihnachtseinkäufe: In einer
Straße neben dem Weihnachtsmarkt trifft er Frau Gabriele,
die er verehrt, und spricht ihr von dem Faber des „süßen
Mädels" und seiner kleinen Welt". Gabriele neidet dem glücklichen
Vorstadtkinde sein Glück und seine Liebe — eine Liebe, deren sie wohl
auch fähig wäre, zu der sie aber nicht den Mut hat. — Episode:
Anatol glaubt der Zirkuskünstlerin Bianca im Liebesgenuß eine aus der
Erinnerung nimmer zu tilgende „ewige Stunde" bereitet zu haben, ob¬
wohl sie ihm nur Episode war. Er muß die seine männliche Eitelkeit
kränkende Wahrnehmung machen, daß Bianca ihn bei einer spätern
Begegnung mit einem andern (dem sie eine andere ewige Stunde
verdankt) verwechselt. So war in Wirklichkeit er ihr Episode gewesen.
Abschieds souper: Anatol und die Ballettfliege Annie haben sich
versprochen, wenn eins des andern überdrüssig werde, das wahre Gefühl
zu bekennen und sich dann ruhig zu trennen. Als Annie ihm nun das
Verhältnis aussagt, rühmt er sich männlich=brutal seiner Untreue. Aus
ihrer Entgegnung geht hervor, daß sie in der gleichen Lage war, aber
das aus größerer weiblicher Rücksicht in der Trennungsstunde ver¬
schweigen wollte. — Anatols Hochzeitsmorgen: Anatol hat,
um Abschied von der schönen Freiheit des Junggesellentums zu feiern,
nach dem Polterabend die Redoute aufgesucht und hier seine frühere
Geliebte, die Schauspielerin Ilona, gefunden. Er muß sie mit nach
Haus nehmen. Am Morgen erfährt sie von der bevorstehenden Trauung,
führt eine zorn- und tränenreiche Szene auf und scheidet dann mit einem
„Auf Wiedersehen!" Es eröffnet sich die Aussicht, daß Anatol seine
junge Frau betrügen und nach Gefallen zur Geliebten zurückkehren wird.
Von den Darstellern überraschte Herr Wittig in der großen Rolle des
Anatol. Er erwies sich darin als ein sehr geschickter Verkörperer die er
weichen Wiener Art, zeigte ein beredtes Mienen- und gutes Gebärden¬
spiel und gab die Rede (die er leicht wienerisch zu färben verstand) mit
sorgfältiger Herausarbeitung der Feinheiten des Sinnes. Minder ge¬
lungen erschien uns die Gestalt des nüchtern skeptischen Max (Herr
Habel). Von den weiblichen Kräften verdienen die Damen Bischof
(Cora), Förster (Annie), Bilger (Bianca) und Malten (Gabriele) warmes
Lob; Frl. Sartoff (Ilona) dagegen wollte uns nicht recht zusagen. Die
Regie hatte auf die Herrichtung der Schauplätze große Sorgfalt ver¬
wandt; sehr hübsch war im besondern das nächtliche Straßenbild mit den
Lichtern des Weihnachtsmarktes im Hintergrund¬
usschnitt aus:
an
: 1801 1915
thur Schnitzer ANATOLE traduction
de Maurer Rémon et Maurice Vaucaire.
1 vol. 3 fr. 50 P. V. Stock etc.
éditeurs.)
Les récits dialogués de M. Arthur
Schnitzler ont du charme et de la fantaisie.
mas quelle amertume delusionnée trans¬
paraît sous leur forme légère ! Cet humo¬
riste voit l'humanité en laid, et son sourire
a souvent l'apparence d'une douloureuse
grimace.
Les traductions de M. Féron et von
caire sont sans doute excellentes, puis
quelles s'enlèvent à ces petites histoires
amoureuses rien de leur piquant ni de leur
vérité railleuse. Certains auteurs autri¬
ne auraient donc un geste de ne
rappelle notre verve française ?
C. D.
box 9/1
Ausschnitt auf
it
A
vom
gen
Theater und Musik.
Schners Anatol.
Köln. Vor de hat gestern das Deutsche
Theater fünf von den sieben Einaktern des Anatol-Julius auf¬
führt. Diese kleinen seinen dramatischen Arbeiten, die vor 21 Jahren
Schnitzler den ersten literarischen Ruhm brachten, fesseln bei der Lektüre
sowohl stofflich wie durch die geschmeidige, reizvolle Sprache, die Sicher¬
heit der Dialogführung, die außerordentlich geschickte Zuspitzung der Be¬
gebnisse zu geistreichen Schlußwendungen. Die Aufführung dieser
Stücke bietet insofern Schwierigkeiten, als das Wort peinliche Achtsam¬
keit verlangt, sollen manche Feinheiten und Klugheiten der Rede nicht
verloren gehen, und als die Gefahr besteht, durch Vergröberungen und
übertreibungen in Ton und Gebärde die Schnitzlersche Art zu entstellen,
Man wird der gestrigen Darbietung nachrühmen dürfen, daß sie in
ganzen der Schwierigkeiten Herr geworden ist. Die Regie des Herrn
Kuhnert hatte jedenfalls die besondere Wesenheit der Arbeiten gut erfaß
und brachte sie deutlich zur Geltung. Man weiß, um was es sich in
den Einaktern handelt, um kleine, sauber gerundete Szenen aus dem
Liebesleben des reichen beruflosen Junggesellen wienerischer Färbung, den
Schnitzler zu dem Typus Anatol erhoben hat. Dieser Anatol, der sich selbst
schönfärberisch als den „leichtsinnigen Melancholiken kennzeichnet, ist
der vornehme Müßiggänger, der seine kleinen Herzensangelegenheiten
sehr wichtig nimmt, ein „guter Junge, ohne viel Grütze im Kopf, ohne
lieferes Gefühl, unfähig starker Leidenschaft, ein wenig nachdenklich,
ein wenig sentimental, ein Freund der schönen Gebärde und der weichen
Stimmung. In fünf Situationen zeigt er uns seine kleine Seele. Die
Frage an das Schicksal; Anatol argwöhnt, daß die kleine hübsche
Näherin Cora ihm die Treue bricht. Die Hypnose erlaubt ihm, darüber
Gewißheit zu erlangen. Im entscheidenden Augenblick aber wagt er nicht,
die Frage zu stellen, da ihm seine Illusionen lieber sind
als die Wahrheit. — Weihnachtseinkäufe: In einer
Straße neben dem Weihnachtsmarkt trifft er Frau Gabriele,
die er verehrt, und spricht ihr von dem Faber des „süßen
Mädels" und seiner kleinen Welt". Gabriele neidet dem glücklichen
Vorstadtkinde sein Glück und seine Liebe — eine Liebe, deren sie wohl
auch fähig wäre, zu der sie aber nicht den Mut hat. — Episode:
Anatol glaubt der Zirkuskünstlerin Bianca im Liebesgenuß eine aus der
Erinnerung nimmer zu tilgende „ewige Stunde" bereitet zu haben, ob¬
wohl sie ihm nur Episode war. Er muß die seine männliche Eitelkeit
kränkende Wahrnehmung machen, daß Bianca ihn bei einer spätern
Begegnung mit einem andern (dem sie eine andere ewige Stunde
verdankt) verwechselt. So war in Wirklichkeit er ihr Episode gewesen.
Abschieds souper: Anatol und die Ballettfliege Annie haben sich
versprochen, wenn eins des andern überdrüssig werde, das wahre Gefühl
zu bekennen und sich dann ruhig zu trennen. Als Annie ihm nun das
Verhältnis aussagt, rühmt er sich männlich=brutal seiner Untreue. Aus
ihrer Entgegnung geht hervor, daß sie in der gleichen Lage war, aber
das aus größerer weiblicher Rücksicht in der Trennungsstunde ver¬
schweigen wollte. — Anatols Hochzeitsmorgen: Anatol hat,
um Abschied von der schönen Freiheit des Junggesellentums zu feiern,
nach dem Polterabend die Redoute aufgesucht und hier seine frühere
Geliebte, die Schauspielerin Ilona, gefunden. Er muß sie mit nach
Haus nehmen. Am Morgen erfährt sie von der bevorstehenden Trauung,
führt eine zorn- und tränenreiche Szene auf und scheidet dann mit einem
„Auf Wiedersehen!" Es eröffnet sich die Aussicht, daß Anatol seine
junge Frau betrügen und nach Gefallen zur Geliebten zurückkehren wird.
Von den Darstellern überraschte Herr Wittig in der großen Rolle des
Anatol. Er erwies sich darin als ein sehr geschickter Verkörperer die er
weichen Wiener Art, zeigte ein beredtes Mienen- und gutes Gebärden¬
spiel und gab die Rede (die er leicht wienerisch zu färben verstand) mit
sorgfältiger Herausarbeitung der Feinheiten des Sinnes. Minder ge¬
lungen erschien uns die Gestalt des nüchtern skeptischen Max (Herr
Habel). Von den weiblichen Kräften verdienen die Damen Bischof
(Cora), Förster (Annie), Bilger (Bianca) und Malten (Gabriele) warmes
Lob; Frl. Sartoff (Ilona) dagegen wollte uns nicht recht zusagen. Die
Regie hatte auf die Herrichtung der Schauplätze große Sorgfalt ver¬
wandt; sehr hübsch war im besondern das nächtliche Straßenbild mit den
Lichtern des Weihnachtsmarktes im Hintergrund¬
usschnitt aus:
an
: 1801 1915
thur Schnitzer ANATOLE traduction
de Maurer Rémon et Maurice Vaucaire.
1 vol. 3 fr. 50 P. V. Stock etc.
éditeurs.)
Les récits dialogués de M. Arthur
Schnitzler ont du charme et de la fantaisie.
mas quelle amertume delusionnée trans¬
paraît sous leur forme légère ! Cet humo¬
riste voit l'humanité en laid, et son sourire
a souvent l'apparence d'une douloureuse
grimace.
Les traductions de M. Féron et von
caire sont sans doute excellentes, puis
quelles s'enlèvent à ces petites histoires
amoureuses rien de leur piquant ni de leur
vérité railleuse. Certains auteurs autri¬
ne auraient donc un geste de ne
rappelle notre verve française ?
C. D.