II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 403

4.9. Anatol - Zyklus
box 9/1
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: DESE
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Albertheater. Erstaufführung: Anatol von Arthur
Anatol ist ein Exot. Schon der Name kündigt
das an. Er ist nicht auf herbem deutschem Boden gewachsen,
sondern ein Produkt gewisser Kreise der Donaustadt Wien,
die sich von östlichen Einflüssen nicht losmachen können.
Anatol ist ein Genußmensch. Er hat Geld zum Genießen
und genießt jedes Weib, das ihm in den Weg kommt. Da¬
mit ist seine Lebensaufgabe erfüllt. Augenscheinlich um sich
sympathisch zu machen, hängt er seine Seele, soweit über¬
haupt davon die Rede sein kann, ein gefühlvolles Mäntel
chen um. Aber die Träne, die ihm aus dem Auge rollt,
wirkt widerlich, weil sie nur den Beginn einer neuen Be¬
gierde ankündigt. Die Szeur, in der der schlappe, süßliche
Dekadent sich den Armen einer Kokotte entwindet, um zum
Standesamt zu eilen, muß in ihrer Brutalität jedes feinere
Empfinden verletzen. Die fünf Stücke, die uns die Auf¬
führung darbot, stellen wohl eine hier und da raffi¬
niert gemachte Satire auf das drohenhafte Lehemänner¬
um Wiens dar. Aber wie unendlich fern liegt uns dies
alles! Selbst die Satire kann uns diese Welt künstlerisch
nicht näherbringen, — auch nicht in einer Zeit, wo Prinz
Karneval dazu auffordert, über die Stränge zu schlagen
Denn Anatol ist ja auch nicht etwa das Produkt einer von
allen modernen geistigen Strömungen übersättigten Über¬
kultur, die menschliches Mitleid erwecken könnte, sondern
einer bornierten Unkultur. Er gehört zu den fanten
Blättern, die vom Baume des Lebens fallen, weil die reine
Säfte nicht erreichten über sie kann der Fuß achtlos hin¬
wegschreiten, und selbst ein Arthur Schnitzler gibt sich ver¬
geblich Mühe, uns für Anatols Geilheiten und Feilheiten
zu interessieren. Die Darstellung hielt sich vollkommen auf
der Höhe. Die weichlichen, patschuldurchdränkten Lebens¬
kreise Anatols fanden eine getreue Wiedergabe. Otto
Groß gab den Anatol typisch, und Georg Schnel
war ihm als kraftvollerer Freund Max ein würdiger
Partner. Asta Bergen, Leontine Sagan, Else
Saar-Millowitsch, Ide Drexler, Paula
Ah — die Freundinnen Anatols, lieferten anerken¬
erte Kabinettstücke guter Charakter darstellung, Ra¬
Ausschnitt aus:
RESONER ANZEIGE¬
vom
21. N. 1914
6 Uhr.
Alberttheater. Freitag den 23. Januar abends 8 Uhr
Erstaufführung von Arthur Schnitzlers Anatol
Die Dialogreihe Anatol erschien als Schütter erste Buch
1893 mit einem Gedicht als Vorwort, das von Lori¬
stammte, wie sich damals Hugo v. Hofmannsthal nannte.
Als ein Klang aus der Jugendzeit der modernen Wiener
Dichtung berührt uns heute der Reigen von Liebesszenen
in dem der Dichter und Lebemann Anatol als „leichtsinniger
Melancholiker, im Innern tief berührt und doch ohne das
Bedürfnis der Treue, durch eine Schar von Mädchen und
Frauen geht. An diese sieben Dialognovellen des Schnitz¬
lerschen Erstlingswerkes haben sich die Bühnen nur zögernd
herangewagt; 1806 führte das Theater der Literarischen Ge¬
sellschaft zu Leipzig unter Regie von Karl Heine das Ab¬
schiedssouper und den Hochzeitsmorgen auf, die danach
öfter mit gutem Erfolge auf deutschen Bühnen erschienen
sind. Das Alberttheater unternimmt es für Dresden zu
erst, fünf der heiteren, die Stimmung des Wiener Lebens
atmenden Stücke dieses Liebesreigens, nämlich: Die Frage
an das Schicksal, Weihnachtseinkäufe, Episode, Abschieds¬
souper und Anatols Hochzeitsmorgen, zusammenhängend
szenisch darzustellen.

allen und
wir ihren
Ausschnitt aus:
von
la
de
Kritiken.
Dresden. Alberttheater. „Anatol“ von
Arthur Schnitzlern gesetzt von Dr. Emil
York; fünf belanglose Einakter, Jugendwerke, die
zwar eines gewissen Reizes nicht entbehren, von denen
ein berauschender, stark parfümert-poetischer Duft aus¬
strahlt, denen eine bald derbere, bald sentimentale, bald
übermütige, bald sammetweiche Erotik anhaftet, die aber
letzten Endes tres, blendender Technik doch nur aphrodi¬
sischen Charakter haben. Von den 7 Stücken, aus denen
diese Einakterfolge besteht, hat das Albertiheater fünf
ausgewählt, und zwar „Die Frage an das Schicksal
„Weihnachtseinkäufe", „Episode, „Abschiedssouper und
„Anatols Hochzeitsmorgen". Die beste Wirkung erzielte
„Weihnachtseinkäufe, vielleicht auch infolge des glänzen¬
den Spiels von Leontine Sagan und Otto Groß.
Sonst waren beteiligt Asta Bergen, Else Stassar, Ida
Drexler, Paula Wirth, Georg Schnell. Dekorativ wirkte
„Weihnachtseinkäufe auch am besten, die Zimmer waren
etwas nüchtern. Die Krise wirft ihre finsteren Schatten
schon weit in den Zuhörerraum hinein; denn die zweite
Vorstellung dieser fünf Einakter war erschreckend gering
besucht. Das ist bedauerlich; denn das Alberttheater
hatte sich schon das größte Interesse erobert, und
schließlich muß dann auch noch die Lust der Darsteller
sche, wenn die von der Bühne die nae ghe
Leere blicken müssen.
Otto Hollstein,