se
diesen harten Zeiten kaum weniger siss
geworden sein dürften, und ein Gruss
aus jenen Tagen, in denen das Leben
noch nicht so streng und noch nicht so
voll des Schreckens und der Trauer war.
„Anatol“ ist ein Typus, der heute fast
anachronistisch wirkt, aber vielleicht hat
er gerade deswegen seinen starken Reiz.
Denn man fühlte gestern, dass diese
Szenen, trotzdem sie vor viel mehr als
zehn Jahren geschrieben wurden und
trotzdem auch Schnitzler selbst inzwi¬
schen ein ziemich anderer geworden ist,
nicht von jener Schichte Staub bedeckt
waren, die sich sonst so oft auf viele,
einst beliebte und ganz aus ihrer Zeit ge¬
borene Bühnenarbeiten zu legen pflegt.
Sie hatten noch viel an sich von
ihrer Entstehungszeit, an die man zurück¬
denkt als an etwas längst, längst Ver¬
gangenes, und vor deren Wiederkehr
einem beinahe etwas bange ist. Die
kleinen Amouren dieses beneidenswert
sorglosen jungen Mannes können einem
in der weichen, ein wenig ironischen, ein
wenig sentimentalen Linienführung tat¬
sächlich von einiger Wichtigkeit er¬
scheinen, ohne Zweifel aber steht fest,
dass diese verschiedenen Coras, Biankas,
Annies und wie sie sonst noch heissen
mögen, noch immer zu den begehrens¬
wertesten Geschöpfen im Wiener Weich¬
bilde gehören, mögen sie auch dann und
wann in der Treue nicht jene exakte
Genauigkeit walten lassen, die ihrer
Vollkommenheit erst das Tüpfelchen
aufsetzen würde.
Anton Tiller war Anatol und Hans
Olden sein Freund Max, der um einige
Töne Skeptischere und Erfahrenere, beide
von der mondenen Eleganz, wie sie vor
dem Kriege noch zur selbstverständlichen
Pflicht eines jungen Mannes gehörte, der
sich in der Welt nicht langweilen wollte.
Für sie ist die Liebe ein Zwischending
zwischen Leidenschaft und Laune, und
ihr Spiel bewegte sich denn auch auf
dieser schwankenden Linie und war von
angenehmsten und sympathischstem Ein¬
druck. Die vier Damen, die durch das
Schnitzlersche Stück wandeln und ihre
Rosen streuen — Berta Windhopp in
der „Frage an das Schicksal, Friedl
Bonne in der „Episode“, Mizzi Frei¬
ler im Abschiedssouper, und Helene
Lauterböck in „Anatols Hochzeits¬
morgen" — entzückten durch die Anmut
ihrer Erscheinungen nicht weniger als
durch ihr fein abgetöntes Spiel, das der
leichten Schwermut dieser Szenenfolge
ebenso gerecht wurde, wie dem sorg¬
losen wienerischen Einschlag, der dies
Schnitzler-Drama so berühmt gemacht
hat. Das Publikum war von Anfang an in
allerbester Stimmung und lohnte die Dar¬
steller mit lebhaftestem Beifall.
N. F.
4.9. Anatol
Zyklus
Schnitt aus:
APR 1917
Prager Tagblatt.
Landestheater. In Schnitzlers bei uns
oft und ger gespielten „Anato trat gestern
Herr Friedrich Feher in der Titelrolle auf. Ein
gewandter Darsteller, der mit Leichtigkeit, wenn
auch nicht sonderlicher Eleganz auf den glatten
Wellen des Schnitzlerschen Dialogs schaukelt, und
dem es auch nicht an Humor gebricht. Als Part¬
nerinnen traten ihm nach einander, mit gleichem
Glück, die Damen Thetter, Newes, Ko¬
wacz, Medelsky und Hübner entgegen.
Herr Huttig, der die Aufführung leitete, spielte
Anatols Freund, eine Rolle, in der man ihn seit
Langem kennt und schätzt.
rungen und
Ausschnitt aus:
Menen Malags=Zeiten,
20 1977
(Theater an der Wien) Eine der üblichen Wohltätigkeits¬
vorstellungen, bei denen die Kritik von vornherein einen Knebel
im Munde hat und denen man aus ganzen Herzen größten
Erfolg wünscht, zumal, wann es dem Roten Kreuz zum Vorteil
gereichen soll. Zuerst sah man Schnitzlers „Weihnachtseinkäufe
aus dem Gediegensten und Unruhen, das dieser Dichter
geschaffen, aus dem Anatol-Zyklus. Sah man, denn von Hören
war keine Rede. Der Herr, der statt des aus unbekannten
Gründen ausgebliebenen Herrn v. Lessen den Anatol gab, ist
kühn, sehr kühn. Diese Eigenschaft sei ihm ohneweiters zugestanden.
Womit seine schauspielerische Leistung erschöpft ist. Ich glaube
aber, die prächtige Gabriele der Steinsteck wäre besser daran
gewesen, hätte man ihr eine stumme Person als Partner hin¬
gestellt. Im „Versprechen hinterm Herd erfreuten Fräulein
Kaurina sowie die Herren Haydter, Mail und Leuer.
Das bunte, anspruchslose Ballett Schreders, zu dem Jose
Klein eine nicht ganz passende Musik geliefert hat, bot vor
allem Fräulein Cerri Gelegenheit, ihre Meisterschaft zu ent¬
falten. Von ihr verkörpert, wird der Tanz wahrlich zu einem
Wunderwerk. Konstatiert sei schließlich — und dies ist ja die
Hauptsache das augenscheinlich reiche materielle Ergebnis der
Veranstaltung. Was entschieden erwärmt. Angesichts der im
Saale herrschenden Nordpoltemperatur sicherlich nicht zu unbe¬
schätzen
box 9/2
diesen harten Zeiten kaum weniger siss
geworden sein dürften, und ein Gruss
aus jenen Tagen, in denen das Leben
noch nicht so streng und noch nicht so
voll des Schreckens und der Trauer war.
„Anatol“ ist ein Typus, der heute fast
anachronistisch wirkt, aber vielleicht hat
er gerade deswegen seinen starken Reiz.
Denn man fühlte gestern, dass diese
Szenen, trotzdem sie vor viel mehr als
zehn Jahren geschrieben wurden und
trotzdem auch Schnitzler selbst inzwi¬
schen ein ziemich anderer geworden ist,
nicht von jener Schichte Staub bedeckt
waren, die sich sonst so oft auf viele,
einst beliebte und ganz aus ihrer Zeit ge¬
borene Bühnenarbeiten zu legen pflegt.
Sie hatten noch viel an sich von
ihrer Entstehungszeit, an die man zurück¬
denkt als an etwas längst, längst Ver¬
gangenes, und vor deren Wiederkehr
einem beinahe etwas bange ist. Die
kleinen Amouren dieses beneidenswert
sorglosen jungen Mannes können einem
in der weichen, ein wenig ironischen, ein
wenig sentimentalen Linienführung tat¬
sächlich von einiger Wichtigkeit er¬
scheinen, ohne Zweifel aber steht fest,
dass diese verschiedenen Coras, Biankas,
Annies und wie sie sonst noch heissen
mögen, noch immer zu den begehrens¬
wertesten Geschöpfen im Wiener Weich¬
bilde gehören, mögen sie auch dann und
wann in der Treue nicht jene exakte
Genauigkeit walten lassen, die ihrer
Vollkommenheit erst das Tüpfelchen
aufsetzen würde.
Anton Tiller war Anatol und Hans
Olden sein Freund Max, der um einige
Töne Skeptischere und Erfahrenere, beide
von der mondenen Eleganz, wie sie vor
dem Kriege noch zur selbstverständlichen
Pflicht eines jungen Mannes gehörte, der
sich in der Welt nicht langweilen wollte.
Für sie ist die Liebe ein Zwischending
zwischen Leidenschaft und Laune, und
ihr Spiel bewegte sich denn auch auf
dieser schwankenden Linie und war von
angenehmsten und sympathischstem Ein¬
druck. Die vier Damen, die durch das
Schnitzlersche Stück wandeln und ihre
Rosen streuen — Berta Windhopp in
der „Frage an das Schicksal, Friedl
Bonne in der „Episode“, Mizzi Frei¬
ler im Abschiedssouper, und Helene
Lauterböck in „Anatols Hochzeits¬
morgen" — entzückten durch die Anmut
ihrer Erscheinungen nicht weniger als
durch ihr fein abgetöntes Spiel, das der
leichten Schwermut dieser Szenenfolge
ebenso gerecht wurde, wie dem sorg¬
losen wienerischen Einschlag, der dies
Schnitzler-Drama so berühmt gemacht
hat. Das Publikum war von Anfang an in
allerbester Stimmung und lohnte die Dar¬
steller mit lebhaftestem Beifall.
N. F.
4.9. Anatol
Zyklus
Schnitt aus:
APR 1917
Prager Tagblatt.
Landestheater. In Schnitzlers bei uns
oft und ger gespielten „Anato trat gestern
Herr Friedrich Feher in der Titelrolle auf. Ein
gewandter Darsteller, der mit Leichtigkeit, wenn
auch nicht sonderlicher Eleganz auf den glatten
Wellen des Schnitzlerschen Dialogs schaukelt, und
dem es auch nicht an Humor gebricht. Als Part¬
nerinnen traten ihm nach einander, mit gleichem
Glück, die Damen Thetter, Newes, Ko¬
wacz, Medelsky und Hübner entgegen.
Herr Huttig, der die Aufführung leitete, spielte
Anatols Freund, eine Rolle, in der man ihn seit
Langem kennt und schätzt.
rungen und
Ausschnitt aus:
Menen Malags=Zeiten,
20 1977
(Theater an der Wien) Eine der üblichen Wohltätigkeits¬
vorstellungen, bei denen die Kritik von vornherein einen Knebel
im Munde hat und denen man aus ganzen Herzen größten
Erfolg wünscht, zumal, wann es dem Roten Kreuz zum Vorteil
gereichen soll. Zuerst sah man Schnitzlers „Weihnachtseinkäufe
aus dem Gediegensten und Unruhen, das dieser Dichter
geschaffen, aus dem Anatol-Zyklus. Sah man, denn von Hören
war keine Rede. Der Herr, der statt des aus unbekannten
Gründen ausgebliebenen Herrn v. Lessen den Anatol gab, ist
kühn, sehr kühn. Diese Eigenschaft sei ihm ohneweiters zugestanden.
Womit seine schauspielerische Leistung erschöpft ist. Ich glaube
aber, die prächtige Gabriele der Steinsteck wäre besser daran
gewesen, hätte man ihr eine stumme Person als Partner hin¬
gestellt. Im „Versprechen hinterm Herd erfreuten Fräulein
Kaurina sowie die Herren Haydter, Mail und Leuer.
Das bunte, anspruchslose Ballett Schreders, zu dem Jose
Klein eine nicht ganz passende Musik geliefert hat, bot vor
allem Fräulein Cerri Gelegenheit, ihre Meisterschaft zu ent¬
falten. Von ihr verkörpert, wird der Tanz wahrlich zu einem
Wunderwerk. Konstatiert sei schließlich — und dies ist ja die
Hauptsache das augenscheinlich reiche materielle Ergebnis der
Veranstaltung. Was entschieden erwärmt. Angesichts der im
Saale herrschenden Nordpoltemperatur sicherlich nicht zu unbe¬
schätzen
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