II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 440

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Anekde im Landestheater.
Wenn ich bitten darf, nur kein Rokoko=Kostüm,
das aus dem Vorhang tritt, um den Prolog des
weiland Loris=Hofmannsthal auszusagen. Man er¬
weist damit dem „Anatol“ einen schlechten Dienst.
Denn wir vertragen heute den ästhetischen Mummen¬
schanz nicht mehr. Das Bologneser=Hündchen, das
den Pfau anbellt, hat sich in einen Köter verwandelt.
Das Wien des Canaletto? Nein, das Wien des Weis¬
kirchner. „Böser Dinge hübsche Formel“? Ja, böse
Dinge! Aber die Formel reicht längst nicht mehr aus.
„Agonien, Episoden? Agonien schlechthin. Wenn der
ernste und so feinfühlige Mensch und Künstler Artur
Schnitzler heute seiner Jugendfigur, dem Anatol, be¬
gegnet, er würde zurückschrecken, angewidert
nicht weniger vom Geiste als von der Menschlichkeit
seiner Figur, die mit Grazie schnellplaudert und
preziös tut, während sie ordinär handelt. Wie alt
und häßlich ist diese eitle und sentimentale jeunesse
dorée von Schöngeistern geworden! Diese Lebens¬
kunft setzt heute einen Papa Kriegsgewinner voraus.
Der Dichter Artur Schnitzler ist nur zu retten, wenn
man die Anatol-Figur als Persiflage nimmt. Daß
man das kann, beweist auch heute noch den Dichter
Artur Schnitzler. Diese Art Geist war noch vor we¬
nigen Jahren Caviar; daß sie inzwischen volkstümlich
geworden ist, finde ich tragisch! Denn ich möchte mit
Leuten, denen der Typus „Anatole wohltut, nicht
verkehren; tiefbetrübt sehe ich daher diesen Typus
volksbildend wirken.
Im „Landestheater" haben die „Weihnachts¬
einkäufe, die „Frage an das Schicksal, die „Episode
und der „Hochzeitsmorgen", das an Frauen reiche
Ensemble angenehm entfaltet, und die Damen Thei¬
ter, Bogs, Mittler und Breda rührend und
amüsant vorgeführt. Die beste Szene ist und bleibt
das „Abschiedssoupée, weil da Anatol vom robu¬
sten, lachenden Leben selbst abgeführt und hineinge¬
legt erscheint. Frau Medelsky eine prächtige An¬
nie, ein Triumph der echten Natur über den Talmi¬
geist. Mit einer gesunden, frischen, herzhaften Bewe¬
gung, nicht von Alkohol, sondern von Spielfreude
beschwipst, übermütig und jovial, riß sie das mit
Recht entzückte Publikum an sich. Sie machte nichts
aus der Rolle, sie war die Wienerin und rächte gut
gelaunt alle süßen Mädeln, Herr Feher, als Ana¬
tol, plauderte ungezwungen und virtuos, aber es
fehlte ihm der lichtägige Charme, die unwidersteh¬
liche Liebenswürdigkeit, welche allein die Figur schau¬
spielerisch entschuldigen könnte. Herr Romanow¬
ky ist zu gut für den Freund Max, der indiskreterweise
bei allem dabei sein muß — aber er ist kein guter
Max. Sein drastischer, auf Nestroy angelegter Mur¬
terwitz zerreißt das feuilletonistische Sonntagsgeplauder
und indem man über seine Bodenständigkeit lacht,
möchte man über den Bodengewinn Anatols weinen.
— Das Publikum freute sich, als stünden wir noch
Berthold Viertel,
vor dem Weltkrieg.
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len
Allgemeine Kundschau München
Ausschnitt aus:
vom
Bühne Maikundschau.
Münchener Schauspielhaus. Man hat schon einmal während des
Krieges die Wahrnehmung gemacht, daß die Zeit „Anatols" vorüber
ist. Leider nicht aus dem Grunde, daß der Held der Schnitzlerschen
Einakter einem p. t. Publiko zu unmoralisch sei, aber diese müden im
Grunde billigen „Lebensweisheiten" und Selbstbespiegelungen dieses
in der engen Welt seiner leichtfertigen Liebschaften aufgehenden Lebe¬
mannes dünken wohl keinem mehr, wie Hofmannsthal meinte, „die
Komödie unsrer Seele, frühgereift und zart und traurig, unsres Fühlen
heut und gestern“. Dennoch hat man sie neuerdings hervorgeholt und
zum Besten der Hindenburgspende gespielt. Große Männer
werden eben zuweilen auf eine merkwürdige Art „geehrt“. Ist es aber
taktvoll, den Namen unseres deutschen Helden mit Szenen in Verbin¬
dung zu bringen, die in ihrer, im letzten Akt bis zur Widerwärtigkeit
gesteigerten moralischen Fäulnis das Gegenteil deutschen Geistes dar¬
stellen? Die Wiedergabe war in früheren Zeiten charakteristischer, als
der wieder zum Hofschauspiel zurückgekehrte Gustav Waldau den Anator
spielte, und auch die verschiedenen zweifelhaften Weiblichkeiten hat man
hier schon vollkommener gesehen. — Zum 60. Geburtstag Suber¬
manns wurde „Johannisfeuer neueinstudiert, ein oft gegebenes
Stück, über das nichts Neues zu sagen ist. Es ist auffällig, wie wenig
aus Anlaß dieser Geburtstagsfeier überhaupt zu sagen ist. Die Federn,
die sonst so gerne literarische Jubiläen aus allen möglichen Gesichts¬
winkeln betrachten, scheinen der Meinung, daß über den Fall Suder¬
mann die Akten bereits geschlossen sind. Wir vermögen uns auch kaum
mehr, obwohl wir es miterlebten, das gewaltige Aufsehen zu erklären,
das einst bei Bewunderern und Gegnern die „Ehre machte. Die
Detailmalerei des Vorder= und Hinterhauses ließ Sudermann als Haupt
der gerade aufsteigenden naturalistischen Schule erscheinen und die
hohlen Tiraden der romanhaften Figur des Grafen Trast schmeichelten
der kritischen Neigung eines oberflächlichen Publikums. Sein künst¬
lerisch Wertvollstes hatte er schon vorher gegeben in „Frau Sorge und
dem „Katzensteg, Romane, die erst durch den Theatererfolg ihres Ver¬
fassers bekannt wurden. Von allen Stücken Sudermanns ist die
„Heimat“ am lebendigsten geblieben dank ihrer glänzenden Rolle, die,
wenn sie, wie vor kurzem eine große Künstlerin wie Hermine Körner
gibt, noch unmittelbar wirken kann. Sudermann erwuchs als Drama¬
tiker der Schule Paul Lindaus, die wiederum von Pariser Vorbildern
der siebziger Jahre ausging. Mit ihr teilte er das theatralische Ge¬
schick, die Kunst der Dialogsührung und Spannung, aber auch den
Glauben an eine Relativität aller ethischen Werte, obwohl er zu ver¬
schiedenen Zeiten sich auch gelegentlich in der Rolle des dramatischen
Bußpredigers gefiel. Siedermann hat zu seinem 60. Geburtstag seinen
„Katzensteg dramatisiert. Die Berliner Uraufführung brachte es zu
keinem starken Erfolg.
Oesterreichs Illustrirte Zeit
Wien
Kammerspiele, „Anatol“, fünf Einakter von
Arthur Schnitzler. Das Stück bewährt wieder seine
alte Zugkraft, zumal es darstellerisch einwandfrei gegeben
wurde. Es ist die lustige Geschichte eines Lebejünglings,
der noch am Hochzeitsmorgen sich nur schwer von seiner
alten Geliebten zu trennen vermag. Dem „Anatol“ wußte
Anton Edthofer Leben und Bewegung zu geben, eben¬
so Aurel Nowotny seinem „Max" einen sarkastischen
Humor. Die Damenrollen lagen in den bewährten Händen
der Nelly Hochwald, Lona Schmidt, Marianne Rub,
Charlotte Waldow und Lina Woiwode. Die Ansichten
über das Stück gehen weit auseinander. Immerhin aber
darf selbst die abfällige Kritik nicht vergessen, daß nicht
alle Menschen Heilige sein können.