II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 460

4.9. Anatol - Zyklus
Kammerspiele.
Schnitzler: Anatol.
Auch die haben kein Programm
mehr. Unverständlich ist mir, warum sie plötzlich
in der Hochaison wo man doch immerhin einmal
etwas erwarten dürfte, von dem man sagen kann,
es sei eine Leistung, mit diesem halbverstäubten Erst¬
lingswerk des Dichters der Wiener Lebewelt auf¬
warten. Das Stück ist doch wirklich in Berlin aus¬
gespielt oder ist Schertzler wieder Konjunktur
Wenn natürlich die Kasse dauernd den Spielplan
bestimmt, denn mag für die Kunst und das neue
Wollen in ihr wenig übrig bleiben.
Für Schnitzlers beladene und kraftlose Weichheit
hoben wir heute nicht viel mehr übrig. Nach dem
Krieg ist uns die Weit fremd geworden. Jener
Anatol, der die Tage an das Schicksal nicht stellt,
weil die Antwort in aus seiner Illusionswelt her¬
ausreißen könnte, der im Abschiedssouper die Maske
der Heuchelei fallen läßt und sich als einen gemein¬
widerlicher Kerl encupet, der in der Episode vom
gischen Weltschmerz befallen wird, ein solcher
halb pathologischer Mensch vermag uns heute nicht
mehr zu führen. Wir sind keine Analytiker mehr.
Außer den angedeuteten Szenen wurden nach
„Weihnachtseinkäufe" und „Anats Hochzeits¬
morgen aufgeführt, beide mit wenig Durchschlags¬
kraft. Höchstens des Spiel der Lossen (Ga¬
briele) fesselte einige Augenblicke während Stelle
Arbenina (Ilona) ein an der Orska geschultes
aber dafür um so unselbständigeres Spiel bot. Den
Anatol spielte Anton Edthofer, gut, wo er
poltern und lebhaft sein konnte, aber die kribbende
Sensibilität der Schnitzlerschen Gestalt fehlte in
Wenn nicht Hermann Thimig den Max als
einen gesunden Naturburschen gespielt hätte, wäre
der Abend ganz verloren gewesen. Aber so hatte
man Muße, sich seiner natürlichen frischen Art (die
nicht der wurde) hinzugeben. Das einzige Schu¬
lersche an ihm war die Brille, die er ab und
aufsetzte. Meinem Gefühl nach nicht besonders vor¬
teilhaft, da hierdurch der Gegensatz zu Anatol ver¬
wischt wird. Mehr aus Höflichkeit nenne ich noch
die Damen Erika von Thellmann, Mar¬
garethe Christians, Margarethe von
Bukovics. Nur Fraulein Christians bot etwas
mehr als man sonst von ihr gewohnt ist.
Für die Regie zeichnete Iwan Schmith, der
in der Wiedergabe der Stimmungen worauf es hier
nur ankommt, nicht besonders glücklich war. Sp.
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Kammerspiele des Deutschen Theaters,
Erstaufführung: „Anator von Schnitzler.
Jn der Schumannstraße gab es gestern abend eine liebens¬
würdige Auferstehung von fünf „Anatolzenen, jenen teil¬
melancholischen, teils graziös heiteren Dialogen zu zweien und
zu dreien über das beliebte Thems Liebe, das heißt, was man in
der Welt der Wiener Delabenz=Salons „Liebe nennt. Doch ob¬
schon die Luft parfümierter Salons und ihrer Geistgewichte den
Forderungen und Erwartungen unserer Tage keinen Wert be¬
deuter, so muß doch gesagt werden, daß Schnitzler in der Hand¬
habung flüchtiger Farben, zarter Streiche, in der Darstellung nach¬
denklich ironischen Schlanzustände Meister ist und mit durch¬
scheinen andeutenden Worten mehr sagt, als kampfiges Wallen
unserer Zeit mit viel Lärm nicht sagt. Und es muß ferner ohne
ebengedanken gesagt werden, daß es bei dieser Aufführung
heiteren Herzens und auf eine ungemein feine Art zu lachen gab.
Und das ist immerhin Kunst, und keine keine oder leichte.
Dafür sorgte in erster Linie die Regie Iwan Schmiths,
die den luftigsten Reigen von entzückenden Wiener Mädels vor
unsern Augen durch Anatole Leben gleiten ließ, von der nicht¬
ausgesprochenen „Frage an das Schicksal, über das Straßenbild
der „Weihnachtseinkauf hin, über „Abschiedsouner" und „Epi¬
sode (es sind ja alles nur Episoden!) bis zum „Hochzeitsmargen
— Von den beiden Freunden bot nicht Anatol, sondern Max das
beglückendste Geschenk des Abends. Und Max war Hermann
Thimig. Man muß sehen, wie dieser Spieler nicht spielt, wenn
er zu der Emphase Anatols seine Stirn in skeptische Falten legt,
sein Mund von sarkastischen Lichtern umzückt wird. Man muß
hören, wenn er trocken und ironischen Geistes, liebevoll und gütig,
klug und sicher, die Ideologie seines weltfremden Freundes zer¬
sprengt. Unendlich viel Komik, Heiterkeit und Gold=Humor quillt
aus diesem gesunden, reinen Herzensmenschen. — Anton Ent¬
hofer als Anatol schien um einige Atemzüge zu schwer, um
einige Töne zu fremd in seiner Rolle; sein Plauderton ist nicht
selbstvergessen genug, sein Traumton nicht träumerisch genug,
weder seine Hyversensibilität, noch sein Dichtertum, noch sein
tänzelndes, nippendes Genießertum ward recht glaubhaft, wogegen
ihm sein Skeptizismus allzu norddeutsch melancholisch geriet.
Prächtig aber war der Kranz der Frauen der Mädchengestalten.
Gab auch Lina Lossen keine „böse Mondaine Gabriele, son¬
dern eine nach tiefer Liebeshingabe sich sehnende Frau, so bot
Erika von Thellmann als Lora das herzliebste „füße
Mädel“, Margarethe Christians eine prachtvoll natür¬
liche und burschikose Ballettratte Annie, Margarethe von
Bukowics eine etwas lyrisch weich geratene Zinsdame und
Stella Arbenine eine elegante und temperamentvolle Ilona.
— John Heartfield hatte für sein abgetönte und geschmack¬
volle Dekorationen gesorgt. Man dankte, wenn auch nicht stür¬
misch, doch man dankte; es war ein amüsanter, auch leise nach¬
deutsamer Abend.
Albert Peters.