II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 465

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4.9. Ana ol- zyklus
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin 10. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitun¬
Zeitung:
.
Ort:
OJAN 192.
Datum:

Berliner Theater
rum sed dieser von Seiten
lebendig? Diese leisten, zarten, spinwebseinen Schöpfungen
erweisen sich als widerstandsfähiger und trotzen dem berühmten
Zahn der Zeit erfolgreicher, als manches festgebaute schwere
Drama. Warum? Weil die Achse, um die sie kreisen, die Liebe
ist, wenn auch eine schwache Abzweigung, und dieses Gefühl ewig
is, unabhängig von Mode und Zeitereignissen, unabhängig von
Rasse, Stamm und Volk. Und ebenso ewig ist das Gefühl, das
mit der Liebe, dem Gipfel des Lebenstriebs und drangs, ver¬
bunden ist: das Todesgefühl. Die Gegensätze berühren sich. Wie
man in sehr inniger Freude die Tränen aufsteigen frürt, so
pocht häufig im Liebesdrang der dürre Finger des Todes leise
ans Herz. Bei Schnitzler ist es die Melancholie, die Erkenntnis
des Vergänglichen, mitten in der Oberflächlichkeit eines
wienerischen Don Juan eine stille, seine Trauer, die in zarten
Farben wiedergegeben wird, in einem geschliffenen und doch
natürlich bleibenden Dialog, der ohne Drücker und Witzchen
unsere ästhetischen Sinne erfreut und unseren Ohren wohlgefällig
ist. Kein Pathos, keine Anklagerede (Anklagereden veralten am
raschesten). Darum sind die Anatol-Einakter, ebenfalls ein
„Reigen“, noch heute uns lieb, und in den Kammer¬
spielen zeigen sie sogar ein frischeres Gesicht, als früher an
anderen Städten. Das kam daher, daß Iwan Schmith versuchte,
das Lustige schärfer herauszuarbeiten, so daß z. B. „Am Hoch¬
zeitsmorgen ein in flottem Tempo gespieltes forsches Lustspiel
wurde, in dem allerdings die leiseren Töne unhörbar blieben.
Von den sieben Einaktern wurden uns fünf geboten, in denen
Ethofer ein geschmeidiger, im Aeußeren etwas blasser, fast
wie ein Pierrot aussehender Anatol und Hermann Thimig ein
rotbäckiger, bebrillter, frischer und liebenswerter Max war. Von
den fünf weiblichen Gegenkontrahenten sind Lina Lossen, eine
wahrhaft ablige Dame, und Fräulein Christians besonders zu
nennen.
Das Staatstheater läutete das neue Jahr mit
Nestrons „Lumpagi vagabundus ein. Recht aktuell war
die Glücksnummer, die den drei Handwerksgesellen im Traum er¬
schien; die Zahl 1922. und der Hausierer wünschte ihnen, als sie ge¬
meinsam das Los erstanden, „Viel Glück mit 1922“ Sonst war alles
erfreulich unaktuell. Eine versunkene Zeit hob sich aus der Stur
dunklen Bogen und zeigte uns, was wir verloren. Freilich,
Bagabunden gibt es auch heute noch, aber schärfere, kantigere,
gefährlichere, und Arbeitshasser sind heute nicht seltener als
damals; doch der Ton macht die Musik. Das Gemütliche und
gemütvoll Ironische der Zauberposse umgab uns mit angenehmer
Laulichkeit, und angesichts der versunkenen altwienerischen Welt
versank unsere eigene Zeit. Etlinger als Knieriem war ein
echter Altwiener, sparsam im Humor, ein volkstümliches
Charakterbild; Hirsch als Schneider fing die Zuhörer mehr mit
Zappligkeit der Glieder ein. Die Neuaufführung fand mit Recht
großen Beifall.
Ich muß noch berichten, daß das Steglitzer Schloßpark¬
theater seit Beginn der Spielzeit eine zweite Bühne eröffnet
hat, das „Große Haus“, das wegen seiner goldigschimmernden Decke
märchenhaft „Das Goldene Haus“ genannt wird. Es dient ab¬
wechselnd Filmaufführungen, Konzerten, Rezitationen, der
Volksoper. Zum erstenmal habe ich diesen Raum in der Weih¬
nachtswoche betreten an einem Nachmittag, als ich mit meinem
Jüngsten den „Gestiefelten Kater", von Herrmann be¬
arbeitet, besah. Es ist ein echtes, rechtes Kinderstück, das die
Märchenschicht nicht verläßt und auf die üblichen Plattheiten und
Späte anderer sogenannter Märchenstücke verzichtet. Auch die
Erwachsenen konnten ihre Freude an Stück und Darstellung
haben,
Jakob Scherer,
lose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Berliner Morgenpost
Berlin
Ort:
O. I. 1922
Datum:
nada.
Dagegen um Anatol nich in der
Kammerspielen nicht ganz wie Arthur
Schnitzler ihn sich dachte, aufgeführt. Gewiß
versinnlicht die Vorstellung, unter der Regie von
Iwan Smith ganz im Geist des Dichters
die fünf Szenen, die Anatols, des Müssiggängers
und Aestheten unrühmliches Liebesleben behan¬
deln. Nur sind zwei der kleinen Köstlichkeiten
des Zyklus fortgelassen werden und Anatols
Leporelloliste bleibt darum ein bißchen lücken¬
haft. Der Wiener Jüngling, den sein Schöpfer
selbst mit einem ganz leichten Lächeln betrachtet,
ein Typ der Vorkriegszeit als man von ererbten
Renten noch leben konnte und seine Zeit (die jetzt
längst Geld geworden ist) nicht besser anzuwen¬
den wußte, als möglichst viele süße Mädel zu
lieben, in der Hauptsache aber, sich von ihnen
heiß und wahr und leidenschaftlich lieben zu
lassen, wird von Anton Edthofer dargestellt,
der den etwas müden Liebling der Wiener
Frauenwelt ohne besondere Merkmale läßt.
Nichts was er gab, war anfechtbar, aber man
konnte manches vermissen, was er nicht gab. Her¬
mann Thimig, humorvoll und fröhlich¬
skeptisch als Max Anatols Freund, Mitwisser und
Mitspieler, brachte sein kluges, sonniges Lächeln
dazu, und der Zug der Frauen wurde unbestreit¬
bar von Lina Lossen angeführt, obgleich sie
erst im zweiten Stückchen „Weihnachtsein¬
käufe erschien, verhalten, scheu, vornehm, als
die Dame von Welt, die sich verschwiegen nach
dem Glück des süßen Rädels sehnt. Erika von
Theilmann, Marge the von Bukovics
Stella Arbenina spielte drei dieser etwas
physiognomielosen Einzelerscheinungen und er¬
füllten das Haupterfordernis, hübsch auszusehen,
aufs beste. Margarete Christians als Annie
im Abschiedssouper gab den Wildling aus dem
Volke mit allem Temperament, dessen sie fähig ist,
immerhin sanfter und wohlerzogener als ihre be¬
rühmten Vorgängerinnen in dieser begehrten
E. M
Rolle.