4.9. Anatol - Zyklu-
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Wien, Donnerstag
DER TAO
nachmittags: Andreas Reischek über „Japan und gehen. Sie ist wie ein vorsichtiger Eiertanz, oder raschte
seine Kultur". (Film.) — Hörsaal 28 der juridi¬
mehr noch, als hätte er das Gefühl, auf lebendigen der viel
schen Fakultät, um 7 Uhr abends: Dr. Hans
Leibern zu schreiten. se nervöse Empfindsamkeit „Fechta
Prager über „Dostojewski als Kriminalphilo¬
soph"
ist es eben, die uns alle Dinge um ihn lebendig
sellschaf
macht, wenn er von ihrer Berührung zusammen= Werdn,
Jubiläumskonzert der „Zuflucht
Die „Zuflucht" veranstaltet anläßlich ihres zuckt. Er schafft sich eine Atmosphäre, in dem er meisten
sie erleidet.
Marie
fünfundzwanzigjährigen Bestandes ein Fest¬
Der sonst so ausgezeichnete Herr Rainer war gung
konzert, das Mittwoch den 18. März im Großen
als Max unzulänglich. Er forcierte eine Feschig
„Geschi
Musikvereinssaale stattfindet. Ihre Mitwirkung keit, die ihm nicht steht, und seine Ironie hatte Laune
haben in liebenswürdigster Weise zugesagt
einen kalten Unterton, der uns an der Freund¬
man
Frau Kammersängerin Selma Kurz¬
schaft des Freundes zweifeln ließ. Hingegen ließ eine W
Halban, Frau Margarete Gelbar¬
das Josefstädter=Theater mit den fünf Frauen der den sich
Assea; die Herren Kammersänger Leo Sleza
fünf Einakter eine imposante Parade seines Reich¬
trug di
und Willi Wolski. Beginn 7 Uhr. Karten zum tum defilieren. Frau Urban=Kneidinger berg
Preise von 1 bis 10 Schilling zu haben an der
als Cora war frisch wie Quellwasser, das einem half,
Konzertkasse Gutmann und bei den Damen durch die Finger fließt und nicht zu fassen ist heimni
des Vorstandes.
Frau Fein produzierte in einem Zehnminuten¬
puppe
spiel eine Polyphonie an Nuancen, mit denen eine nicht
Die Wiener Fleischbänke=Gesellschaft verkauft
Durchschnittsschauspielerin ihr Leben lang aus¬
in ihren Filialen ab Donnerstag den 5. März un¬
und
kommen könnte. Den Fachmann würde eine Statis
erreichbar billig hochprima gefrorene amerikanische
Schweinsleber à 15.000 K., Schweinsnierndeln mikroskopische Detaillierung reizen. Frau Hagen anstalt
à 18.000 K. per Kilogramm.
als die Wiener Vorkriegsdame Gabriele schuf in
Fraue¬
einem kurzen Gespräch einen prägnanten Typus
fen mi
der herzlichen Vornehmheit und der mit verhal¬
Billige Hafen.
tenem Schmerz leicht parfumierten süddeutschen
In den ungarischen Tiefebenen haben erst jetzt
Eleganz, die gewiß zu den delikatesten Wiener Er¬
die Großjagden stattgefunden. Infolge großer
innerungen gehört. Frau Terwin-Moissi
Zufuhren gelangen bei sämtlichen Wildbret¬
händlern in Wien Hafen zum Verkaufe.
war eine Ilona voll Temperament und Schmiß
Und Frau Geßner als Annie im Abschieds¬
neeseen
Samm¬
souper war eine Sensation für sich. Nie wurde Bespe¬
noch plebejische Unverfrorenheit mit so viel Ge¬
Volks
Bühne und Kunst
schmack und Takt restlos in Charme aufgelöst, nie Diese
wurde noch Zynismus so herzenswarm durch un¬
zurück
Anatol.
widerstehliche Natur! Und wir wollen noch Herrn und
Kalbeck für die Regie danken die diesem Spielen
Fünf Episoden von Artur Schnitzler. — Josef
der schwerelosen Melancholie und des verträumten Einke
städter=Theater.
Scherzes den lückenlosen, leichten Fluß gab und
Bezü¬
Die Regisseure des Josefstädter=Theaters be¬ in dem Miniaturtumult, im Kammerchaos sozu
A. E.
rieten seinerzeit darüber, ob man diese lieben Ein¬
sagen, der Souperszene eine hohe technische Vir¬
tagsa=
akter der tränenfeuchten Frivolität nicht im tuosität zeigte. Es war gewiß einer der erquickend
garan
Kostüm der Zeit spielen sollte. Im „Kostüm der sten Abende der Saison.
Zeit? Ist es denn schon so lange her? Dem
für
Béla Balas.
diese
größten Pedanten der historischen Treue würde es
nicht einfallen, ein vorjähriges Stück in der vor¬
Modernes Theater.
jährigen Mode spielen zu lassen. Das Wechseln der
eine
Mode bedeutet meistens nur ein Wechseln der „Fräulein Jeanne — unsere Geliebte", Lustspiel Aus
von Felix Gandera.
Saison und nicht das der Zeit. Und doch scheint
der
in diesem Fall das Bedenken der Josefstädter Re¬
Fräulein Jeanne, die Kammerzose, ist ein
gisseure nicht unangebracht gewesen zu sein. Denn
anständiges Mädchen. Da der Herr sie zu sich
diese lebensfrische, in jeder psychologischen Einzel¬ nehmen will, verrät siie's der Frau. Die Frau
heit auch heute noch gültige Dichtung ist ein¬
geht zum Rendezvous. Und niemand hat's ge¬
historische Miniature aus der Vorkriegsepoche, die
sehen. Nicht einmal der Herr. Weil's finster war.
(so nahe gebracht, wie sie es nur die dufterhaltend
Auch nicht der Hausfreund. Beide halten die
Schnitzlersche Kunst nahebringen kann, zeigt es sich
Gattin für die Zofe. In der Nacht. Das stiftet
erst) uns ferner dünkt als Krinolinen und Pe
heitere Verwirrung.
rücken. Gewiß: die süße Wehmut der leichten Liebe
Verwirrt ist rasch was. Die Fäden auf drei
ist uns auch heute nicht fremd. Die Sehnsucht
Akte auszudehnen hält dann schwerer. „Fräulein
dichtet auch heute noch jedes Abenteuer zum
Jeanne" —, das ist unsere geliebte, französische
Gleichnis der großen Liebe um, und parfumier
Schwankidee. Eine sieht wie die andere aus. In
die flüchtige Stunde mit Ewigkeitsstimmung, um
zweiten Akt ist sie noch munter, im dritten steht
den Verwesungsgeruch zu unterdrücken. Doch eine
sie auf schwachen Beinen. Das Thema ist immer
scheint uns heute an diesem Anatol und an allen
das gleiche, das ewig Menschliche, der Text änder
andern so exotisch fremd, daß man sie nur in
sich. Hier lustspielt er vom Zofen zum Zoten¬
Kostüme kleiden wollte, die mit unserer Trach¬
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Wien, Donnerstag
DER TAO
nachmittags: Andreas Reischek über „Japan und gehen. Sie ist wie ein vorsichtiger Eiertanz, oder raschte
seine Kultur". (Film.) — Hörsaal 28 der juridi¬
mehr noch, als hätte er das Gefühl, auf lebendigen der viel
schen Fakultät, um 7 Uhr abends: Dr. Hans
Leibern zu schreiten. se nervöse Empfindsamkeit „Fechta
Prager über „Dostojewski als Kriminalphilo¬
soph"
ist es eben, die uns alle Dinge um ihn lebendig
sellschaf
macht, wenn er von ihrer Berührung zusammen= Werdn,
Jubiläumskonzert der „Zuflucht
Die „Zuflucht" veranstaltet anläßlich ihres zuckt. Er schafft sich eine Atmosphäre, in dem er meisten
sie erleidet.
Marie
fünfundzwanzigjährigen Bestandes ein Fest¬
Der sonst so ausgezeichnete Herr Rainer war gung
konzert, das Mittwoch den 18. März im Großen
als Max unzulänglich. Er forcierte eine Feschig
„Geschi
Musikvereinssaale stattfindet. Ihre Mitwirkung keit, die ihm nicht steht, und seine Ironie hatte Laune
haben in liebenswürdigster Weise zugesagt
einen kalten Unterton, der uns an der Freund¬
man
Frau Kammersängerin Selma Kurz¬
schaft des Freundes zweifeln ließ. Hingegen ließ eine W
Halban, Frau Margarete Gelbar¬
das Josefstädter=Theater mit den fünf Frauen der den sich
Assea; die Herren Kammersänger Leo Sleza
fünf Einakter eine imposante Parade seines Reich¬
trug di
und Willi Wolski. Beginn 7 Uhr. Karten zum tum defilieren. Frau Urban=Kneidinger berg
Preise von 1 bis 10 Schilling zu haben an der
als Cora war frisch wie Quellwasser, das einem half,
Konzertkasse Gutmann und bei den Damen durch die Finger fließt und nicht zu fassen ist heimni
des Vorstandes.
Frau Fein produzierte in einem Zehnminuten¬
puppe
spiel eine Polyphonie an Nuancen, mit denen eine nicht
Die Wiener Fleischbänke=Gesellschaft verkauft
Durchschnittsschauspielerin ihr Leben lang aus¬
in ihren Filialen ab Donnerstag den 5. März un¬
und
kommen könnte. Den Fachmann würde eine Statis
erreichbar billig hochprima gefrorene amerikanische
Schweinsleber à 15.000 K., Schweinsnierndeln mikroskopische Detaillierung reizen. Frau Hagen anstalt
à 18.000 K. per Kilogramm.
als die Wiener Vorkriegsdame Gabriele schuf in
Fraue¬
einem kurzen Gespräch einen prägnanten Typus
fen mi
der herzlichen Vornehmheit und der mit verhal¬
Billige Hafen.
tenem Schmerz leicht parfumierten süddeutschen
In den ungarischen Tiefebenen haben erst jetzt
Eleganz, die gewiß zu den delikatesten Wiener Er¬
die Großjagden stattgefunden. Infolge großer
innerungen gehört. Frau Terwin-Moissi
Zufuhren gelangen bei sämtlichen Wildbret¬
händlern in Wien Hafen zum Verkaufe.
war eine Ilona voll Temperament und Schmiß
Und Frau Geßner als Annie im Abschieds¬
neeseen
Samm¬
souper war eine Sensation für sich. Nie wurde Bespe¬
noch plebejische Unverfrorenheit mit so viel Ge¬
Volks
Bühne und Kunst
schmack und Takt restlos in Charme aufgelöst, nie Diese
wurde noch Zynismus so herzenswarm durch un¬
zurück
Anatol.
widerstehliche Natur! Und wir wollen noch Herrn und
Kalbeck für die Regie danken die diesem Spielen
Fünf Episoden von Artur Schnitzler. — Josef
der schwerelosen Melancholie und des verträumten Einke
städter=Theater.
Scherzes den lückenlosen, leichten Fluß gab und
Bezü¬
Die Regisseure des Josefstädter=Theaters be¬ in dem Miniaturtumult, im Kammerchaos sozu
A. E.
rieten seinerzeit darüber, ob man diese lieben Ein¬
sagen, der Souperszene eine hohe technische Vir¬
tagsa=
akter der tränenfeuchten Frivolität nicht im tuosität zeigte. Es war gewiß einer der erquickend
garan
Kostüm der Zeit spielen sollte. Im „Kostüm der sten Abende der Saison.
Zeit? Ist es denn schon so lange her? Dem
für
Béla Balas.
diese
größten Pedanten der historischen Treue würde es
nicht einfallen, ein vorjähriges Stück in der vor¬
Modernes Theater.
jährigen Mode spielen zu lassen. Das Wechseln der
eine
Mode bedeutet meistens nur ein Wechseln der „Fräulein Jeanne — unsere Geliebte", Lustspiel Aus
von Felix Gandera.
Saison und nicht das der Zeit. Und doch scheint
der
in diesem Fall das Bedenken der Josefstädter Re¬
Fräulein Jeanne, die Kammerzose, ist ein
gisseure nicht unangebracht gewesen zu sein. Denn
anständiges Mädchen. Da der Herr sie zu sich
diese lebensfrische, in jeder psychologischen Einzel¬ nehmen will, verrät siie's der Frau. Die Frau
heit auch heute noch gültige Dichtung ist ein¬
geht zum Rendezvous. Und niemand hat's ge¬
historische Miniature aus der Vorkriegsepoche, die
sehen. Nicht einmal der Herr. Weil's finster war.
(so nahe gebracht, wie sie es nur die dufterhaltend
Auch nicht der Hausfreund. Beide halten die
Schnitzlersche Kunst nahebringen kann, zeigt es sich
Gattin für die Zofe. In der Nacht. Das stiftet
erst) uns ferner dünkt als Krinolinen und Pe
heitere Verwirrung.
rücken. Gewiß: die süße Wehmut der leichten Liebe
Verwirrt ist rasch was. Die Fäden auf drei
ist uns auch heute nicht fremd. Die Sehnsucht
Akte auszudehnen hält dann schwerer. „Fräulein
dichtet auch heute noch jedes Abenteuer zum
Jeanne" —, das ist unsere geliebte, französische
Gleichnis der großen Liebe um, und parfumier
Schwankidee. Eine sieht wie die andere aus. In
die flüchtige Stunde mit Ewigkeitsstimmung, um
zweiten Akt ist sie noch munter, im dritten steht
den Verwesungsgeruch zu unterdrücken. Doch eine
sie auf schwachen Beinen. Das Thema ist immer
scheint uns heute an diesem Anatol und an allen
das gleiche, das ewig Menschliche, der Text änder
andern so exotisch fremd, daß man sie nur in
sich. Hier lustspielt er vom Zofen zum Zoten¬
Kostüme kleiden wollte, die mit unserer Trach¬