II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 495

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4.9. Anatol - Zyklu-

Dan
Aber Artur ist doch Dichter geworden.
Lulu Thürheim“, die mich durch einige Wochen
Wiener Theaterwoche.
auf das angenehmste beschäftigten. Da las ich Nichtsde
Der „Anatole-Zyklus im Josefstädter Theater.
am Schlusse des dritten Bandes ein Kapitel, während
Von den sieben Einaktern des „Anatol."
„Die Frage an das Schicksal oder: Lügen Frauen
betitelt: „Franz Liechtenstein", das mich mit Neugierd
in der Hypnose? — Cora und die längst ver¬
Zyklus hat mich am längsten der erste be¬
eine Fra¬
aller Lebhaftigkeit an die „Schicksalsfrage
storbene Fürstin Therese Esterhazy.
schäftigt, die „Frage an das Schicksal". Man Artur Schnitzlers erinnerte. Ich erkannte: Er zuerst ni¬
wird sich ja so ungefähr der Handlung er¬ hatte wieder einmal — ohne es zu ihnen
darauf
Montag bringt das Josefstädte
innern, die da in einen leichten Dialog ge¬
zum Sp.
ein bißchen Wirklichkeit gedichtet. Es ist aus
Theater unter der Spielleitung
Paul
hüllt wird, so ungefähr wie Rosen aus Nizza
geschlossen, daß Schnitzler die Bücher der Thür= Worte de
Kalbecks eine Neuaufführung
chnitz
das die wir in Samt gehüllt des Winters emp¬
heim kannte. Denn die Gräfin ist in den sie die 2
lerschen „Anatol=Zyklus.
fangen. Anatol ist wieder einmal verliebt und
sechziger Jahren gestorben und hatte verfügt, einer Un
Jugendwerk des Dichters. Ein
Wien
wieder einmal ein bißchen melancholisch. Denn daß ihre französisch geschriebenen Memoiren konnte si
zieht an uns vorüber, ein junge
n dessen
und
er weiß nicht, ob seine Cora ihm treu ist, das geheimgehalten
erst
mehr er¬
fünfzig
Freude ein Tropfen Melancholie
len ist
reizende, liebe Wiener Frühlingsgeschöpf!
Jahre nach ihrem Tode herausgegeben
Epä
der sie so eigentlich adelt. Anatol
sein
jenen Ta¬
Freunde und Freundinnen, es sind Wiener und bringt ihn sein Freund Max auf den Ge- werden dürfen. Was die Familie auch
danken, eines Mittels der Mode sich zu be¬
getreulich hielt. Doch nach Ablauf dieser Frist der Fürst
Wienerinnen, aber so ganz andere als uns die
kam der Weltkrieg, so konnten die Lebens gefragt
berufswienerischen Schriftsteller des Josef¬ dienen, der Hypnose, um die Wahrheit zu er¬
erinnerungen erst nach dem Umsturz erscheinen, wissen he
fahren. Das Gespräch zwischen den beiden
städter Lokalbezirkes gezeigt hatten. Wiener
Was erzählt nun die Gräfin in diesem magnetis
die den Smoking mit Anstand tragen, Wiener Freunden spielt sich in Anatols Wohnung ab
Da tritt Cora plötzlich ein. Max bringt das Kapitel: Dieser Franzi Prinz Liechtenstein Lachen
Frauen und Mädchen, nicht nur bezaubernd
Gespräch auf die Hypnose, und das Mädchen war ein kreuzbraver junger Offizier, wahn
ganz gut
schön, sondern auch gebildet, und doch in ihren
sinnig verliebt in die Fürstin Therese Ester
Neigungen so unbedenklich, so wahrhaftig verlangt sofort, hypnotisiert zu werden, weil
Herr M.
es sich das „sehr hübsch vorstellt. Cora wird hazy, selbstverständlich eine verheiratete Frau
wie das Wiener Vorstadtmädel eines Anton
also eingeschläfert. Anatol schärft der Ge¬
Sie hatte den denkbar schlechtesten Ruf, Aber Jahrhun
Langer oder O. F. Berg. Das ist, was imme
Worte
Franzi hoffte sie zur Tugend zu führen, da¬
gleich bleibt in allen Wiener Frauengene liebten sofort ein, nur die Wahrheit zu sagen
in allem — und Cora verspricht's. Nun heißt nämlich, daß sie ihren fürstlichen Gatten in der
rationen. Doch was das eigentlich Künstle¬
nur mit ihm betrüge. Eines Nachts wird der
stellt Anatol die erste verfängliche Frage¬
rische dieses Zyklus, und das unnachahmlich
Fürstin in Gegenwart des Geliebten furchtba¬
„Wie alt bist Du?" — „21 Jahr!" antwortet
Persönliche bedeutet, das ist der feine, dunkle
Wol
übel. Schon will er die Glocke ziehen, un
die Schlafende
glitzernde, geheimnisvolle Florvorhang, der
Schnitzler
Hilfe herbeizurufen, doch sie erklärt, sie stürbe
uns von Anatol und seiner Gesellschaft trennt
Es war die erste Wahrheit! Denn bisnun
nicht er
überraschte ein Dritter sie beide in solch näch¬
so daß wir nie wissen: leben diese Gestalten
Wachhyt
hatte Cora immer nur gesagt, sie sei Neun¬
licher Stunde. In ihrer Verzweiflung legt sie
oder sind es nur Gespenster von Fleisch und
zehn! Nun drängt Max seinen Freund, die
Geständ¬
plötzlich seine Hand auf ihr Herz und beschwör
Blut, die unsere Sprache sprechen? Dieser eigentliche Frage zu stellen, die Anatol
zuzauber
ihn, ihr den Schmerz durch sanfte Striche weg
Flor, den der Dichter über sein Jünglings¬
schwermütig gemacht hatte, die Frage: „Cor¬
Atem. T
werk hat herabgehen lassen — er ist heute noch bist Du mir auch immer treu gewesen?" Doch zumagnetisieren. Damals (1827) war ja der
des Stück
nicht aufgezogen. Und wir sehen auch fast Anatol findet diese Frage plötzlich doch zu Mesmerismus gang und gäbe,
schwach
In der Tat: Die schmerzhaften Krämpfe
alle späteren Helden der Gesellschaftsdrame
schauen
brutal. Er hat offenbar Furcht, die Wahrhei
und der Romane Schnitzlers nur immer hinter
schwanden, zugleich verfiel die schöne Frau in verlieren
zu erfahren. Er findet plötzlich, es sei unedel
diesem mysteriösen Gewebe von Gaze, so daß die Vorteile einer solchen Situation auf diese einen somnambulen Zustand, in dem sie er auch
alles in andere Sphären entrückt scheint, Art auszunützen. Max erwidert überrascht, plötzlich über metaphysische und rein religiöse das schick
alles in jenen Höhen schwebt, wo Tag und
„Wie? Nun könntest Du die Wahrheit er¬ Fragen zu schwärmen begann. Seither be¬
Lippen
diente sich die Fürstin des öftern bei ihren
Nacht, Wirklichkeit und Traum, einander um¬
Abe
fahren über die Treue der Geliebten. Dies
schmerzhaften Anfällen der magnetischen Hilf
armen, ineinander verschwimmen. Nichts Wahrheit liegt auf dem Boden vor Dir und
träumeri
ihres Freundes. Schließlich wurde aber auch
zauberhafter als der Florvorhang, den ein
Geist,
Du fürchtest Dich, sie aufzuheben
Künstler mit seinen traumhaften Händen
der Arzt ins Vertrauen gezogen. Der Doktor Mittel
Nun schämt sich Anatol seiner Feighei¬
spannt. Und wenn wir lange durchblicken und
empfahl dem jungen Magnetiseur, den Zustand verwende
Ja, er will die Frage stellen, aber nur, wenn
die Bilder Anatols und seiner Freunde, und
der Trance (eine Art Verzückung) bei der Stückes
Max aus dem Zimmer geht. Denn wenn Cor¬
Fürstin nicht zu weit zu treiben und sie nich
Hofrichters, und des jungen Medardus schließ
ist vor
die Treue verneint, so will er das Furchtbar
lich zu verblassen beginnen, dann steht au
anderen
allein hören. Unglücklich sein, sei erst das halbe über Dinge zu befragen, die sie allzu sehr auf
einmal die Gestalt Artur Schnitzlers vor uns
regen könnten. Denn ein solcher Zustand könne tigen Fr.
Unglück, bedauert werden, das ganze.
Gefahr bringen!
aber viel
Denn auch er, der Dichter, ist stets hinter dem
Der Freund verläßt also de. Zimmer
Flor geblieben.
Die Gräfin Thürheint unterbricht hier Ebenso
Anatol betrachtet die schlafende Geliebte mi¬
schlagene
ihren streng sachlichen Bericht durch eine per
Angst und mit Bewunderung. Endlich wir
Phantasi
sönliche Bemerkung. Diese liebenswürdig
Der „Anatolzyklus hätte dem junger
er entschlossen und — erweckt Cora und küß
daß sie
seine Dame, die inmitten der von ihr so tie
Artur Schnitzler leicht verhängnisvoll werden
sie! Und als der Freund gleich darauf eintritt
bedauerten sittlichen Fäulnis des österreichi¬ guten F.
können. Denn der Vater, Regierungsrat Doktor
weiß er, Anatol habe es nicht gewagt, die
schen Hochadels reinen, unschuldsvollen Geistes mehr an
Schnitzler, hatte seinem Freunde Adol
Frage an das Schicksal zu stellen. Uebrigen¬
Wa¬
geblieben war, gibt da ihrer Vermutung
Sonnenthal, damals Leiter des Burgtheaters
Ma¬
ist er überzeugt: die Frauen lügen auch in der Raum, diese Warnung des Arztes sei von
das Anatol=Manuskript zur Prüfung über
Hypnose.
Therese Esterhazy ausgegangen, die sich nicht geht: An
lassen. Je nach seinem Urteil sollte Artur ent¬
und Pri
habe der Gefahr aussetzen wollen, als Som¬
weder Mediziner oder Dichter werden. Wie da¬
Vor drei Jahren ungefähr stieß ich auf die nambule ihre Liebesabenteuer auszu¬
Urteil Meister Sonnenhals über den Anal eine Lebenserinnerungen der Gräfin Ander¬
lautete? „Völlig talents