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4.9. Anatol Zyklus
Seite 26
Sonntag
Burgtheaters eingedrungen war, der Burgtheaterjugend ge¬
hören. Der tatkräftige neue Herr auf dem Franzensring scheint
zuer
nun zumindest eine der Haupteigenschaften eines guten Theater¬
enga¬
direktors zu besitzen, nämlich entweder Glück oder diplomatisches erste
Geschic. Jedenfalls wurde man noch im letzten Augenblick merk
davor bewahrt, daß die beiden Helden an die unrichtigen Dar¬ ber
steller gekommen sind. Der Plan, auch die weibliche Burg¬ kein
theaterjugend im „Anatol" aufmarschieren zu lassen, ist nur
klassi
teilweise gelungen. Die Cora ist während der Abwesenheit
Röbbelings, anscheinend durch einen Generalsturm, für die
Familie Reimers erobert worden, eine andere Umbesetzung wen
mußte aus Repertoiregründen vorgenommen werden.
So erland denn eine Vorstellung, die vorderhand nur
andeuten konnte, was der neue Direktor im Akademietheater
zu bieten gedenkt. Erfreulich, daß er Herterich als Regisseur
aus der Versenkung auftauchen ließ, der seiner Inszenierung
jenen Duft französischen Parfüms gab, den Anno 1890 die
Anatols so gern aus ihren Taschentüchern aufsteigen ließen.
Sehr stimmungsvoll wirkte die musikalische Untermalung des
Prologs und die Ausfüllung der Pausen durch Schubert=Musik, um
Aslan ist in diesem Milieu wohl der ideale Anatol, wie er
auch den Prolog Hofmannsthals ganz im Sinne des jungen
Loris sprach, „früh gereift und zart und traurig“, wenn auch
mehr in das Gestern als in das Heute eingefühlt. Emmerich
Reimers sehr gut, hat aber zu oft vom Fach des Intriganten
genascht, als daß er die liebenswürdige Leichtigkeit des nachdenk¬
denklichen Mitgenießes Max aufbringen könnte. Von den fünf
Frauengestalten, die ja eigentlich nur Spiegel sind, in denen immer
wieder das Bild des Anatol erscheint, ist jedenfalls die lona
Johansens die lebensvollste, hebenswerteste. Mit einer
Fülle köstlicher Nuancen spielt Alma Seidler die Annie im
„Abschiedssouper". Man freut sich, daß sie sich endlich einmal
außerhalb des Backfischfaches versucht hat. Von den übrigen
Frauen um Anatol zeigt Lilli Marberg, obwohl erst durch
Zufall in den Besitz der Rolle der Bianka gelangt, daß eine
wirkliche Künstlerin vom Zeitstil unabhängig ist, während
Gabriele und Cora im Aeußerlichen stecken blieben. Das
Publikum war schon nach den reizend inszenierten Weihnachts¬ keit
einkäufen so beifallslustig und nützte die Aufhebung des Vor¬ ein
hangverbotes reichlich aus, um die Darsteller, aber besonders
Aslan, stürmisch zu feiern. Röbbeling kann einen neuen Erfolg
buchen.
Der Dank Wilhelm Kienzls.
Dr. Wilhelm Kienzl schreibt uns: „Beglückt, aber auch
bedrückt durch die zahllosen Versicherungen und Beweise von
Sympathie und Liebe, mit denen ich in der verschiedensten
Art zu meinem 75. Geburtsfest geradezu überschüttet worden
bin, empfinde ich das unabweisliche Bedürfnis, allen Glück¬
wünschenden innigen Dank zu sagen. Ich fühle mich jedoch da¬
außerstande, jedem einzelnen, wie ich es so gern getan hätte,
zu schreiben, bitte also um gütige Nachsicht, wenn ich meinen
Dank zusammenfassend auf dem Wege durch die Presse zum
Ausdruck bringe. Ich danke allen aus tiefstem Herzen für
die mir als Künstler in so überreichem Maße gewidmeten
anerkennenden Worte, noch mehr aber für die dem Menschen
geltenden, und schließe mit dem Versprechen, mich der mir
stil
entgegengebrachten Schätzung und Treue auch im letzten Ab¬
schnitt meines Lebens würdig zu erweisen.
a
Wien, 28. Januar 1932.
Dr. Wilhelm Kienzl."
auf
vere
kam-
la
31. Jänner 1932
Nr. 81
Das Haus war nach neuesten, erfreulichem Volksopern¬
brauch ausverkauft und rief die Solisten samt dem
dirigierenden Direktor Kraus zahllose Male hervor. Es
kann also auch in Währing eine gute, animierte, ja sen¬
sationelle „Tosca=Aufführung geben. Ernst Decsey.
Akademietheater.
Ein bis auf den letzten Platz besetztes Haus; Applaus,
wie man ihn schon lange nicht mehr im Akademietheater er¬
lebt hat: das ist die jüngste Wirkung des Schnitzlerschen
„Anatol", des alten Anatol, den so oft Nichtskönner für
veraltet, wenn nicht für tot erklärt haben. Dabei muß sich die
von Herterich sehr fleißig vorbereitete Aufführung mit
einem Anatol behelfen (Herr Aslan), der nur in ganz ver¬
einzelten Momenten der Anatol ist. Das gleiche gilt für den
Max; das gleiche..., aber wir kommen darauf noch zurück¬
4.9. Anatol Zyklus
Seite 26
Sonntag
Burgtheaters eingedrungen war, der Burgtheaterjugend ge¬
hören. Der tatkräftige neue Herr auf dem Franzensring scheint
zuer
nun zumindest eine der Haupteigenschaften eines guten Theater¬
enga¬
direktors zu besitzen, nämlich entweder Glück oder diplomatisches erste
Geschic. Jedenfalls wurde man noch im letzten Augenblick merk
davor bewahrt, daß die beiden Helden an die unrichtigen Dar¬ ber
steller gekommen sind. Der Plan, auch die weibliche Burg¬ kein
theaterjugend im „Anatol" aufmarschieren zu lassen, ist nur
klassi
teilweise gelungen. Die Cora ist während der Abwesenheit
Röbbelings, anscheinend durch einen Generalsturm, für die
Familie Reimers erobert worden, eine andere Umbesetzung wen
mußte aus Repertoiregründen vorgenommen werden.
So erland denn eine Vorstellung, die vorderhand nur
andeuten konnte, was der neue Direktor im Akademietheater
zu bieten gedenkt. Erfreulich, daß er Herterich als Regisseur
aus der Versenkung auftauchen ließ, der seiner Inszenierung
jenen Duft französischen Parfüms gab, den Anno 1890 die
Anatols so gern aus ihren Taschentüchern aufsteigen ließen.
Sehr stimmungsvoll wirkte die musikalische Untermalung des
Prologs und die Ausfüllung der Pausen durch Schubert=Musik, um
Aslan ist in diesem Milieu wohl der ideale Anatol, wie er
auch den Prolog Hofmannsthals ganz im Sinne des jungen
Loris sprach, „früh gereift und zart und traurig“, wenn auch
mehr in das Gestern als in das Heute eingefühlt. Emmerich
Reimers sehr gut, hat aber zu oft vom Fach des Intriganten
genascht, als daß er die liebenswürdige Leichtigkeit des nachdenk¬
denklichen Mitgenießes Max aufbringen könnte. Von den fünf
Frauengestalten, die ja eigentlich nur Spiegel sind, in denen immer
wieder das Bild des Anatol erscheint, ist jedenfalls die lona
Johansens die lebensvollste, hebenswerteste. Mit einer
Fülle köstlicher Nuancen spielt Alma Seidler die Annie im
„Abschiedssouper". Man freut sich, daß sie sich endlich einmal
außerhalb des Backfischfaches versucht hat. Von den übrigen
Frauen um Anatol zeigt Lilli Marberg, obwohl erst durch
Zufall in den Besitz der Rolle der Bianka gelangt, daß eine
wirkliche Künstlerin vom Zeitstil unabhängig ist, während
Gabriele und Cora im Aeußerlichen stecken blieben. Das
Publikum war schon nach den reizend inszenierten Weihnachts¬ keit
einkäufen so beifallslustig und nützte die Aufhebung des Vor¬ ein
hangverbotes reichlich aus, um die Darsteller, aber besonders
Aslan, stürmisch zu feiern. Röbbeling kann einen neuen Erfolg
buchen.
Der Dank Wilhelm Kienzls.
Dr. Wilhelm Kienzl schreibt uns: „Beglückt, aber auch
bedrückt durch die zahllosen Versicherungen und Beweise von
Sympathie und Liebe, mit denen ich in der verschiedensten
Art zu meinem 75. Geburtsfest geradezu überschüttet worden
bin, empfinde ich das unabweisliche Bedürfnis, allen Glück¬
wünschenden innigen Dank zu sagen. Ich fühle mich jedoch da¬
außerstande, jedem einzelnen, wie ich es so gern getan hätte,
zu schreiben, bitte also um gütige Nachsicht, wenn ich meinen
Dank zusammenfassend auf dem Wege durch die Presse zum
Ausdruck bringe. Ich danke allen aus tiefstem Herzen für
die mir als Künstler in so überreichem Maße gewidmeten
anerkennenden Worte, noch mehr aber für die dem Menschen
geltenden, und schließe mit dem Versprechen, mich der mir
stil
entgegengebrachten Schätzung und Treue auch im letzten Ab¬
schnitt meines Lebens würdig zu erweisen.
a
Wien, 28. Januar 1932.
Dr. Wilhelm Kienzl."
auf
vere
kam-
la
31. Jänner 1932
Nr. 81
Das Haus war nach neuesten, erfreulichem Volksopern¬
brauch ausverkauft und rief die Solisten samt dem
dirigierenden Direktor Kraus zahllose Male hervor. Es
kann also auch in Währing eine gute, animierte, ja sen¬
sationelle „Tosca=Aufführung geben. Ernst Decsey.
Akademietheater.
Ein bis auf den letzten Platz besetztes Haus; Applaus,
wie man ihn schon lange nicht mehr im Akademietheater er¬
lebt hat: das ist die jüngste Wirkung des Schnitzlerschen
„Anatol", des alten Anatol, den so oft Nichtskönner für
veraltet, wenn nicht für tot erklärt haben. Dabei muß sich die
von Herterich sehr fleißig vorbereitete Aufführung mit
einem Anatol behelfen (Herr Aslan), der nur in ganz ver¬
einzelten Momenten der Anatol ist. Das gleiche gilt für den
Max; das gleiche..., aber wir kommen darauf noch zurück¬