lus
4.9. Anatol-
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
5. SEP. 12
vom
Theater und Kunst
Akademietheater. Ein neuer „Anatol“
stellt sich vor. Er heißt Haus Wengraf und
kommt über Hamburg und andre deutsche
Städte nach Wien. Er ist ein Wiener, aber
von Wien nach Wien zu kommen, ist ja un¬
gleich schwerer und seltener, als über aus¬
wärtige Engagements. Direktor Röbbeling, der
ihn aus Hamburg schätzt, hat Hans Wengraf
als Regisseur und Bonvivant ans Burg¬
theater berufen. Sein „Anatol“ bewies, daß
Wien durch diesen Wiener nur gewinnen kann.
Schnitzlers Geschichte eines jungen Mannes
und seiner Lieben liegt uns ja heute ferner als
manches Stück, das um hundert Jahre älter
ist. Glücklicher, unglücklicher Anatol, der keine
andern Sorgen hatte als die Liebe! Im
Akademietheater wird „Anatol“ in richtiger
Einsicht der veränderten Lage erstens im
Kostüm von damals, als es noch in Wien von
Anatols wimmelte, gespielt, und zweitens das
Hauptgewicht auf die komische Seite gelegt.
Grundmotiv: wer nimmt die Liebe ernst?
Hans Wengraf wird in den letzten Szenen
zum Komiker. Er persifliert sich selbst
auf diskrete, nette Art. Er nimmt die
Liebe noch immer ernst, aber er hat
nichts dagegen, wenn es die andern nicht tun,
Und im Prolog wie in den ersten Episoden ist
er der nachdenkliche junge Mann von einst,
der das süße Mädel preist, das heute auch
kaum mehr zu finden ist. Ein Mensch, der
leichtsinnig ausschaut, es aber gar nicht ist.
Einer, den der Dichter Schnitzler als Selbst¬
portrat gezeichnet hat. So hat das Burgtheater
wieder einen jugendlichen Bonvivant, den es
auch in einer Zeit braucht, in der die
wenigsten „gut leben". Die Frauen um Anatol
waren durchweg vorzüglich. Zart und sein
ließ Marie Mayen die Liebe einer „an¬
ständigen Frau durchschimmern, die Anatol
Maria
überläßt.
dem Vorstadtmädel
Kramer gab dieses süße Mädel frisch und
echt. Es konnte sogar von 1932 sein. Lach¬
sturme erregte Alma Seidler mit ihrer
Lilli
karikierten Ballettänzerin.
stark
Marberg und Ebby Johannsen schufen
Typen, die nie aussterben werden. Emmerich
Reimers gab den diskreten Freund Max.
Das Publikum lachte über Anatol und seine
Zeit, nach der es sich eigentlich zurücksehnt.
Dr. H. H.
box 9/4
„OBSERVER
1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
vom
SE2 Wr. Allgemeine Zeitung
Leider kein Anatol
Hans Wengrafs Burgtheaterdebut
Hans Wengraf ist im günstigsten Fall
ein trockener Anatol. Altväterlich steif, mit
leichten Biedermeier-Koteletten, hat er
nichts, aber schon gar nichts vom leisen,
hold närrischen Herzens= und Gesprächs¬
charme des „leichtsinnigen Melancholikers".
Er spielt einen nachsichtigen Pedanten des
Liebesdialogs, der überdies erstaunlich
unwienerisch, ja in seiner gemessen mitge¬
launten Lustigkeit fast antiwienerisch wirkt.
Brutal, aber ehrlich: Also kein Anatol.
Außer Direktor Röbbeling überrascht das
niemand. Der junge Hans Wengraf, schon
in seiner noch locker begabten Volkstheater¬
zeit, deutete eine ganz andere Entwicklung
an. Keinesfalls die zum Bonvivant, wie ihn
das Burgtheater jetzt trotz Herrn Bettacs
persönlicher Zartheit und sanft verhaltener
Kultur der Empfindung energisch rekla¬
mieren zu müssen glaubt. Mit Recht, wenn
es einen in Tonfall und seelischen Akzent
österreichischen Parallelspieler sucht. Daß
der nicht zu finden, ist auch eine der ge¬
wissen leichtfertig parteiischen Behaup¬
tungen des hochhoffiziösen Theatermarkts.
Röbbeling schätzt Herrn Wengraf auf
Grund erprobter Hamburger Beziehungen.
Man schätzt ihn selbst als einen im aktiv¬
sten Sinn auch heute noch jungen Schau¬
spieler von intensivem Ernst und unver¬
kennbar regem Gewissen. Von seinem Ehr¬
geiz wird man sich hoffentlich bald gegebe¬
nenfalls gern überraschen lassen.
Nur die Bonvivant=Träume scheinen,
loco, nach dieser Anatol-Kostprobe, gründ¬
lich erledigt. Herr Wengraf hat jene un¬
absichtlich beschattete Leichtigkeit, jene
galant müde Anmut, jene unbiegsam weiche
Mannessüße nicht, wie sie Kramer, Edt¬
hofer, Waldau ihrem Anatol geschenkt
haben, und Raoul Aslans kleiner Finger
zaubert mehr fürstlich phlegmatischen
Liebesgram hervor.... Es war eine
Fehlbesetzung, aber auch des Fachs. Wen
Wien
4.9. Anatol-
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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
5. SEP. 12
vom
Theater und Kunst
Akademietheater. Ein neuer „Anatol“
stellt sich vor. Er heißt Haus Wengraf und
kommt über Hamburg und andre deutsche
Städte nach Wien. Er ist ein Wiener, aber
von Wien nach Wien zu kommen, ist ja un¬
gleich schwerer und seltener, als über aus¬
wärtige Engagements. Direktor Röbbeling, der
ihn aus Hamburg schätzt, hat Hans Wengraf
als Regisseur und Bonvivant ans Burg¬
theater berufen. Sein „Anatol“ bewies, daß
Wien durch diesen Wiener nur gewinnen kann.
Schnitzlers Geschichte eines jungen Mannes
und seiner Lieben liegt uns ja heute ferner als
manches Stück, das um hundert Jahre älter
ist. Glücklicher, unglücklicher Anatol, der keine
andern Sorgen hatte als die Liebe! Im
Akademietheater wird „Anatol“ in richtiger
Einsicht der veränderten Lage erstens im
Kostüm von damals, als es noch in Wien von
Anatols wimmelte, gespielt, und zweitens das
Hauptgewicht auf die komische Seite gelegt.
Grundmotiv: wer nimmt die Liebe ernst?
Hans Wengraf wird in den letzten Szenen
zum Komiker. Er persifliert sich selbst
auf diskrete, nette Art. Er nimmt die
Liebe noch immer ernst, aber er hat
nichts dagegen, wenn es die andern nicht tun,
Und im Prolog wie in den ersten Episoden ist
er der nachdenkliche junge Mann von einst,
der das süße Mädel preist, das heute auch
kaum mehr zu finden ist. Ein Mensch, der
leichtsinnig ausschaut, es aber gar nicht ist.
Einer, den der Dichter Schnitzler als Selbst¬
portrat gezeichnet hat. So hat das Burgtheater
wieder einen jugendlichen Bonvivant, den es
auch in einer Zeit braucht, in der die
wenigsten „gut leben". Die Frauen um Anatol
waren durchweg vorzüglich. Zart und sein
ließ Marie Mayen die Liebe einer „an¬
ständigen Frau durchschimmern, die Anatol
Maria
überläßt.
dem Vorstadtmädel
Kramer gab dieses süße Mädel frisch und
echt. Es konnte sogar von 1932 sein. Lach¬
sturme erregte Alma Seidler mit ihrer
Lilli
karikierten Ballettänzerin.
stark
Marberg und Ebby Johannsen schufen
Typen, die nie aussterben werden. Emmerich
Reimers gab den diskreten Freund Max.
Das Publikum lachte über Anatol und seine
Zeit, nach der es sich eigentlich zurücksehnt.
Dr. H. H.
box 9/4
„OBSERVER
1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
vom
SE2 Wr. Allgemeine Zeitung
Leider kein Anatol
Hans Wengrafs Burgtheaterdebut
Hans Wengraf ist im günstigsten Fall
ein trockener Anatol. Altväterlich steif, mit
leichten Biedermeier-Koteletten, hat er
nichts, aber schon gar nichts vom leisen,
hold närrischen Herzens= und Gesprächs¬
charme des „leichtsinnigen Melancholikers".
Er spielt einen nachsichtigen Pedanten des
Liebesdialogs, der überdies erstaunlich
unwienerisch, ja in seiner gemessen mitge¬
launten Lustigkeit fast antiwienerisch wirkt.
Brutal, aber ehrlich: Also kein Anatol.
Außer Direktor Röbbeling überrascht das
niemand. Der junge Hans Wengraf, schon
in seiner noch locker begabten Volkstheater¬
zeit, deutete eine ganz andere Entwicklung
an. Keinesfalls die zum Bonvivant, wie ihn
das Burgtheater jetzt trotz Herrn Bettacs
persönlicher Zartheit und sanft verhaltener
Kultur der Empfindung energisch rekla¬
mieren zu müssen glaubt. Mit Recht, wenn
es einen in Tonfall und seelischen Akzent
österreichischen Parallelspieler sucht. Daß
der nicht zu finden, ist auch eine der ge¬
wissen leichtfertig parteiischen Behaup¬
tungen des hochhoffiziösen Theatermarkts.
Röbbeling schätzt Herrn Wengraf auf
Grund erprobter Hamburger Beziehungen.
Man schätzt ihn selbst als einen im aktiv¬
sten Sinn auch heute noch jungen Schau¬
spieler von intensivem Ernst und unver¬
kennbar regem Gewissen. Von seinem Ehr¬
geiz wird man sich hoffentlich bald gegebe¬
nenfalls gern überraschen lassen.
Nur die Bonvivant=Träume scheinen,
loco, nach dieser Anatol-Kostprobe, gründ¬
lich erledigt. Herr Wengraf hat jene un¬
absichtlich beschattete Leichtigkeit, jene
galant müde Anmut, jene unbiegsam weiche
Mannessüße nicht, wie sie Kramer, Edt¬
hofer, Waldau ihrem Anatol geschenkt
haben, und Raoul Aslans kleiner Finger
zaubert mehr fürstlich phlegmatischen
Liebesgram hervor.... Es war eine
Fehlbesetzung, aber auch des Fachs. Wen
Wien